1915-05-08-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14085
Zentraljournal: 1915-A-15877
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 05/13/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 286
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/22/2012


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Nr. 286

Pera, den 8. Mai 1915

Trotz der Bemühungen der armenischen Kreise, die Bedeutung der in den letzten Wochen an verschiedenen Stellen ausgebrochenen Unruhen abzuschwächen oder die Schuld den Massnahmen der türkischen Behörden zuzuschieben, mehren sich doch die Anzeichen dafür, dass diese Bewegung weiter verbreitet ist, als bisher angenommen wurde, und dass sie vom Ausland mit Hilfe des armenischen Revolutionskomitees gefördert wird.

Die bereits gemeldeten Kämpfe in Van, bei denen die Aufständischen zeitweilig sogar die Oberhand gehabt zu haben scheinen, deuten darauf hin, dass die dortige armenische Bevölkerung ausreichend mit Waffen und Sprengstoffen versehen war; unter den Toten wurden nach Mitteilung der türkischen Behörden vielfach Individuen in russischer Kleidung gefunden, und es wird auch von den Armeniern nicht geleugnet, dass einer ihrer Landsleute, ein gewisser Pasdirmakdjian, dort in russischem Interesse stark gewühlt hat. Dieser gefährliche Agitator war seinerzeit durch das von ihm geleitete Attentat auf die hiesige Banque Ottomane auch in weiteren Kreisen bekannt geworden, kehrte dann nach Wiedereinführung der Konstitution hierher zurück, ward Abgeordneter und ging später, weil er nicht wieder gewählt wurde, nach Russland. Nach den letzten Nachrichten (vom 8. d.Mts.) ist es armenischen Freischärlern mehrfach gelungen, sich von Van aus mit den Russen zu vereinigen.

Über die in Kaissarie gefundenen Bomben giebt das armenische Patriarchat an, dass ein aus Amerika zurückgekehrter Armenier, der sich in Everek bei Kaissarie niedergelassen hatte, sich mit ihrer Herstellung beschäftigte, und nachdem er drei verfertigt hatte, bei der vierten verunglückte; die drei fertigen Bomben wurden von seinen Landsleuten versteckt, aber von der Polizei, die durch Zufall von der Sache erfuhr, entdeckt; bei weiteren Nachforschungen kamen 24 leere, noch nicht geladene Hülsen, unter dem Ziegeldache der dortigen armenischen Kirche, zu Tage. Dies trug sich Anfang Februar zu. Seitdem scheinen noch weitere Funde von Bomben gemacht worden zu sein; der Minister des Innern gab kürzlich die Zahl der in Kaissarie gefundenen Bomben auf 400 an, ausserdem seien solche auch in Diarbekir zu Tage gefördert und nach Van geschickt worden, um dort im Kampf mit den Aufständischen verwendet zu werden.

Dass die armenische Bevölkerung in den östlichen Provinzen über Waffen verfügt, wird von den Armeniern zugegeben; angeblich sollen diese Waffen zur Abwehr gegen die räuberischen Überfälle durch Kurden und anderes Gesindel dienen; es lässt sich vermuten, dass sie in der Hauptsache von den armenischen Revolutionskomitees schon vor längerer Zeit dort angesammelt worden sind.

Die Behörden nehmen bestimmt an, dass auch die Armenier von Zeitun durch fremde Umtriebe zum bewaffneten Widerstande gegen die Regierung aufgestachelt worden seien.

Es lässt sich nicht leugnen, dass die armenische Bewegung in den letzten Wochen einen besorgniserregenden Charakter angenommen hat, der die Regierung zu scharfen Repressivmassregeln veranlasst hat.

Die Massenverhaftungen hier und anderwärts, wie z.B. in Erzerum, wo der Vali Beweise für eine armenische Verschwörung in Händen zu haben glaubt, in Aintab u.s.w. richten sich gegen die Komitees, die auf diese Weise ihrer Führer beraubt werden, in erster Linie gegen die Partei Daschnakzutiun.

In Zeitun ist ein Teil der Bevölkerung weggeschafft worden, hauptsächlich nach Konia; die gleiche Massregel ist für Siwas und einige nordsyrische Plätze beschlossen und in der Ausführung begriffen.

Hier in der Hauptstadt ist vor einigen Tagen die gesamte Bevölkerung aufgefordert worden, die in ihrem Besitz befindlichen Waffen aller Art abzuliefern.

Bei der Erregung, die sich auch der mohammedanischen Bevölkerung bemächtigt hat, werden Bedrückungen der ruhigen Elemente und Ausschreitungen seitens der Unterbehörden nicht zu vermeiden sein. Aber trotz der vielfach herrschenden Besorgnisse ist es bisher zu keinen Massakers gekommen, weder in Zeitun, noch in Marasch, noch in Aintab, noch in Erzerum, und es wird der Regierung auch wohl in Zukunft möglich sein, solche zu verhindern.


Wangenheim


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