1915-02-19-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 20178
Zentraljournal: 1915-A-6635
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 02/21/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr.
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Leiter der Zentralstelle für Auslandsdienst (Jäckh) an den Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt (Zimmermann)

Bericht


Berlin, den 19. Februar 1915.

Hochverehrter Herr Unterstaatssekretär, Euer Exzellenz!

Darf ich mir gestatten, Ihnen in der Beilage wieder einige Berichte zu überreichen, die ich aus Konstantinopel erhalten habe.


In aufrichtiger Verehrung
Ihr getreuer
Jäckh


Anlage

[Der 1. Teil des Jäckh-Berichts entspricht wortwörtlich dem in Dok 1915-01-31-DE-001 wiedergegebenen Bericht Wangenheims]. Folgen weitere Texte Jäckhs:


Vertrauliche Mitteilung vom 4. Februar 1915.

1.) Herr Weitz berichtet, dass er am 3. Februar nachmittags dem griechischen Marineattaché Kryesis begegnete. Dieser teilte ihm mit, dass die griechische Gesandtschaft am Tage vorher von der türkischen Regierung informiert worden sei, dass der zum Tode verurteilte griechische Reserveoffizier der Marine Franghakis begnadigt und in Freiheit gesetzt worden sei, mit der Anweisung, die Türkei sofort zu verlassen.

Kryesis gab an, auf dem Weg zur Deutschen Botschaft zu sein, um sich dort für die Begnadigung seines Mandanten zu bedanken (er hat auch tatsächlich auf der Botschaft eine Karte mit „p.r.“ abgegeben). Nach Ansicht des Kryesis wäre die Befreiung des Franghakis ohne die wirksame Intervention des deutschen Botschafters nicht möglich gewesen. Er wusste ferner von einer Unterredung des griechischen Geschäftsträgers in Berlin, Theodokis, zu berichten, die dieser mit dem Unterstaatssekretär Zimmermann gehabt und in welcher er darauf hingewiesen worden ist, dass er, Kryesis, seine Funktionen erheblich überschreite. In Konstantinopel sei sogar die Ansicht verbreitet, dass er Spionage zugunsten fremder Mächte triebe.

Kryesis hat Herrn Weitz gegenüber diese Verdächtigungen für unbegründet erklärt. Er gibt sich sogar der Hoffnung hin, dass es ihm jetzt nach befriedigender Beilegung des Zwischenfalls Franghakis möglich sein werde, zu der hier befindlichen deutschen Marine in bessere Beziehungen zu treten. Vor allem wollte er den Oberleutnant z.S. Wichelshausen wieder aufsuchen, den er von früher kenne. Zur Zeit erschien es ihm allerdings, als ob Wichelshausen ihn nicht wiedererkenne oder sogar nicht wiedererkennen wolle.

Herr Weitz wurde aufgefordert, die Auffrischung dieser früheren Beziehung zu ermöglichen durch eine gemeinsame Einladung, was er jedoch mit Ausflüchten abgelehnt hat.

Der Botschafter selbst gibt als Grund seiner Intervention im Falle Franghakis an, dass Berlin ihm diese Stellung aufgezwungen habe mit dem Hinweis, dass im Falle einer unbefriedigenden Lösung aus dieser Angelegenheit kriegerische Verwicklungen zwischen der Türkei und Griechenland entstehen könnten.

Die türkische Regierung hat die Mitteilung erhalten, dass die rumänische Regierung den Transport von 2 Dampferladungen an Kriegsmaterial, das von Frankreich und Italien nach Russland geschickt wird, übernommen habe. Talaat Bey hat daraufhin nach Adrianopel den Befehl gerichtet, diese von Dedeagatsch kommenden Waggons samt und sonders anzuhalten und zu sperren.

Nach einer heutigen Mitteilung soll die rumänische Regierung 80 für Konstantinopel bestimmte Waggons freigegeben haben.

Der österreichische Botschafter Markgraf Pallavicini teilte dem Botschafter eine Depesche aus Wien mit, wonach der dortige Botschafter Italiens, Herzog von Avarna, im Auftrage der römischen Regierung bei dem neuen Minister für Auswärtige Angelegenheiten, Frhr. von Burian, einen Schritt unternommen habe wegen der in der Bukowina z.Zt. stattfindenden starken deutsch-österreichischen Truppenkonzentration. Avarna teilte mit, dass sich die rumänische Regierung - die eine Intervention der italienischen Regierung nachgesucht hatte - sich durch diese Truppenansammlungen in der Nähe ihrer Grenzen um so mehr beunruhigt fühlte, als sie bisher trotz ihrer äusserst schwierigen Lage eine durchaus korrekte Haltung gegen die Zentralmächte aufrecht erhalten habe. Der Herzog von Avarna fügte hinzu, dass Italien diese Intervention angenommen habe mit Rücksicht auf den bestehenden Bundesvertrag. Bei diesem befinde sich ein Annex, wonach Italien im Falle, dass Rumänien angegriffen würde, zur Hilfeleistung verpflichtet sei.

Gelegentlich der Abschliessung des Bündnisvertrages und des damit im Zusammenhang stehenden Annexes war gar nicht mit der Möglichkeit gerechnet worden, dass die Hilfeleistung Italiens sich gegen die Zentralmächte richten könnte. Diese Versicherung allein würde hoffentlich genügen, die Wiener Regierung zu überzeugen, dass seine, Avarnas, Demarche lediglich freundschaftlichen Beweggründen entspränge und dass ihr naturgemäss keinerlei feindliche Absichten zugrunde liegen.

Freiherr v. Burian hatte dem italienischen Botschafter geantwortet, dass die erwähnten Truppenkonzentrationen in keiner Weise Rumänien zu beunruhigen brauchten und in dieser militärischen Bewegung keinerlei Absicht gegen das Donau-Königreich liege. Minister v. Burian erblickte in dieser rumänisch-italienischen Demarche die erste grössere Wirkung des gemeinsamen Vorgehens in der Bukowina und beurteilte diese Wirkung sehr hoffnungsvoll.

Es ist bisher nicht bekannt geworden, dass ein gleicher Schritt in Berlin unternommen worden sei.

2.) Nach einer heute hier angekommenen telegraphischen Meldung soll Djemal Pascha die Filiale der Ottomanischen Bank in Damaskus gegen den Protest des dortigen Vali geschlossen und die vorhandenen Barbestände für Zwecke seiner Kriegführung konfisziert haben.

Der Geschäftsträge in Teheran telegraphiert, dass der arabische Stamm der Beni Lam unter Führung regulärer türkischer Truppen die persische Grenze überschritten habe und gemeinsam mit dem persisch-arabischen Stamm der Beni Tavaf auf Nasseri vorrücke. Diese Kolonnen sollen bereits die Petrolfelder in Mesdchede Suleiman besetzt haben und die Stadt Abumusa bedrohen. Die englischen Beamten sind entflohen, englische Truppen sollen zur Verteidigung der Petroleumfelder abgesandt worden sein.

Nach einer anderen Meldung soll diese englische durch Persien nach Amara rückende Abteilung bei den Petroleumfeldern durch Araber und Bachtiaren überfallen und geschlagen worden sein.

Diese Ereignisse hätten einen Stimmungswechsel bei den England-freundlichen Araberstämmen in Bassora hervorgerufen.


Streng vertraulich.
Konstantinopel, 9. Februar 1915

Graf Trautmannsdorf, der österreichisch-ungarische Botschaftsrat, welche auf Berufung Burians kürzlich in Wien weilte und nach seiner Rückkehr mir gegenüber nur einige reservierte Äusserungen tat, ging vorgestern mehr aus sich heraus. Er sagte mir, es habe im Dezember eine scharfe Misstimmung zwischen Wien und Berlin geherrscht. Sie war in der Hauptsache darauf zurückzuführen, dass man von Berlin aus eigenmächtig Verhandlungen mit Italien wegen Abtretung des „Trentino“ führte. Diese über den Kopf Österreich-Ungarns geführten Verhandlungen haben ungemein in Wien verletzt. In einem Augenblick, wo beide Armeen Schulter an Schulter kämpften und wo auch dort aufgetretene Missverständisse immer eine leichte Regelung fanden, hat die deutsche Diplomatie sich rücksichtslos über diese Tatsachen hinweggesetzt und über Gebietsteile der Doppelmonarchie zu verfügen gesucht, welche Österreich-Ungarn vielleicht nach einem unglücklichen Feldzug, niemals aber in der jetzigen Situation an Italien abtreten kann.

Der frühere Statthalter in Elsass-Lothringen, Graf Wedel, wurde in besonderer Mission nach Wien entsandt, um den Standpunkt der Abtretung des „Trentino“ im Auftrage der deutschen Reichsregierung zu vertreten. Seine Mission war gänzlich resultatlos.

Zur Charakteristik der gespannten Beziehungen der beiderseitigen Diplomatie erzählte mir Graf Trautmannsdorf, daß man in Rom befürchtete, es würde zwischen den Mitgliedern der deutschen und österreichisch-ungarischen Botschaft zu einem tätlichen Rencontre kommen. Der Hauptfehler war der, dass es zwischen den leitenden deutschen und österreichischen Staatsmännern in diesem wichtigen Moment niemals zu einer persönlichen Aussprache kam, sondern da wie dort unberufene Hintermänner die Action der Regierung beeinflussten. Seitdem Herr von Burian auf den Posten des Ministeriums des Äusseren berufen wurde, ist ein Umschwung eingetreten. Seine Reise in das deutsche Hauptquartier und nach Berlin habe Klarheit geschaffen und die Beziehungen zwischen Wien und Berlin wieder in das alte normale Gleise gebracht.


Djemal Pascha 8. Februar aus Ibn.

1.) Der Kampf, der am 2. II. begann, wurde am 3. abends abgebrochen. Am 4. II. vorm. wurden die letzten Truppen vom Kanal zurückgezogen und das Expeditionskorps blieb ausserhalb des feindlichen Feuers 7 - 10 km östlich des Kanals. Am 5. II. vorm. traten die Truppen staffelweise den Abmarsch an; VIII. Armeekommando befindet sich 2 Tagemärsche vom Kanal. Der Gegner hat sich östl. des Kanals nirgends, nicht einmal mit Patrouillen gezeigt. Wegen Wasser- und Verpflegungsmangel ist ein Zurückziehen des Expeditionskorps unbedingt nötig. Es geschieht in voller Ordnung. Armeeoberkommando bleibt einige Tage in Ibn. Gesundheitszustand und Moral der Truppen ist vortrefflich. Die Aufklärung gegen den Kanal wird fortgesetzt. Die ganze Wüste wird mit stehenden und fliegenden Kolonnen zur dauernden Beunruhigung des Gegners besetzt werden, der Befehl zur Bildung fliegender Kolonnen aller Waffen ist gegeben.

Was die Engländer veröffentlicht haben, ist mir nicht bekannt, bitte evtl. Siegesnachrichten energisch zu dementieren. Die Engländer habe nichts gewonnen, und wir nichts verloren. Das ganze Unternehmen war eine gewaltsame Erkundung, welche Klarheit über alles für den Hauptangriff Wissenswerte gebracht hat. Wir haben Verluste, aber die Engländer auch. Zwei englische Kreuzer sind schwer beschädigt, und unser Artilleriefeuer hat ihnen auch sonst Verluste beigebracht. Wir haben den Kampf freiwillig und nicht wegen der feindlichen Feuerwirkung abgebrochen. Dass der Feind an der Angriffsfront 9 Kreuzer - ausser Kanonbooten und Avisos - versammelt, beweist, wie unser Angriff ihn beunruhigt hat. Armeeoberkommando geht vorübergehend nach Jerusalem, um neue Vorbereitungen zu treffen, und kehrt dann wieder in die Wüste zurück.


Auszug aus den telegraphischen Berichten Djemal Paschas vom 9. und 10.II. 15.

Nachdem das VIII. AK. und 10. Div. den Marsch durch die Wüste ohne Marschverluste ausgeführt hatte, wurde der Angriff gegen den Kanal in der Nacht vom 2. zum 3. Februar ausgeführt.

Wegen Mangel an Wasser und Verpflegung hatte die 8. Division an der Expedition nicht teilgenommen, am Kanal selbst konnte das Eintreffen von Teilen der 10. Div. sowie der aus Maan anmarschierenden Teile der 22. (Hedjaz) Division nicht abgewartet werden.

Es waren daher an Kräften verfügbar:

10 Bataillone 7 Batterien des 8 A.K.

6 Bataillone 5 Batterien der 10. Div.

1 Haubizbatterie (15 cm).

Angriffsplan war:

Scheinangriffe gegen Kantara, Ferdan, Ismailie und Suez, Hauptangriff gegen Tossum und Serpium zwischen Timrah- und Bittersee.

Hauptangriffskolonne bestand aus 5 Bataillonen des VIII. A.K., welchen die 10. Div. unmittelbar folgen sollte.

Kanal sollte nachts überschritten werden. Starker Sandsturm verzögerte jedoch den Anmarsch, sodass Angriffskolonnen erst 2 Stunden vor Sonnenaufgang Kanal erreichten.

2 Kompagnien überschritten Kanal auf Pontonbrücke trotz schweren feindlichen Feuers, übrige Kolonnen kamen nur teilweise hinüber.

Gegner verstärkte Verteidigung durch herangezogene Panzerzüge und Kriegsschiffe in den Seen, wo bis zum 4.2. neun grosse Kreuzer eingetroffen waren. Kampf wurde 3. abends abgebrochen, feindlicher Gegenangriff, der unter Kreuzerschutz von Bittersee her gegen linken Flügel geführt wurde, brach zusammen.

Türkischerseits 500 Tote und Verwundete, 700 Vermisste, die teils ertrunken, teils auf feindlichem Ufer gefallen und gefangen sind.

Schwere Beschädigung englischen Kreuzers Hardinge durch unsere Artillerie von Engländern zugegeben, wahrscheinlich noch weitere Schiffe von uns beschädigt.

Wegen Wasser- und Verpflegungsmangel konnte Angriff nicht fortgesetzt werden, und muss Expeditionskorps vorläufig in den Raum El Arisch - Bir as Saba - Maan - Mekhi zurückgehen.

Unternehmung hat bewiesen, dass Überschreitung Kanals gelingen wird, sobald mehr schwere Artillerie vorhanden, sowie Wasser- und Verpflegungsschwierigkeiten auch für stärkeres Expeditionskorps gelöst sind. Dazu technische Hilfsmittel nötig, die hier z.Z. nicht verfügbar sind.


Zum Telegramm Djemal Paschas vom 8. II. 1915.

Die Auffassung aller Stellen des hiesigen Grossen Hauptquartiers ist die, dass man mit dem bisher Erreichten durchaus zufrieden sein muss.

Man hat sich über Gelände, Marschmöglichkeiten, Verproviantierungsschwierigkeiten, Wasserversorgung erschöpfend orientiert.

Man hat festgestellt, dass Lastautomobile und 15 cm Haubitz-Batterien auf dem Gelände einwandfrei vorwärts kommen (mehr als Marschgeschwindigkeit der Infanterie).

Man hat festgestellt, dass ein Überschreiten des Kanals durchaus möglich ist.

Die fliegenden Kolonnen, die auf dem östlichen Vorgelände des Kanals zurückbleiben (und die einwandfrei verproviantiert werden können) werden dafür sorgen, dass der Kanal für jeden grösseren Verkehr tatsächlich gesperrt ist.

Was der Türkei fehlt, sind die technischen Hilfsmittel für diesen Feldzug. Die sollen nun aus Deutschland beschafft werden: Haubitzen, Autos, Feldbahnen, Brückentrain, F.T.-Stationen, artesische Brunnen.

Die moralische Wirkung dieses raids nach Ismaila muss m.E. sowohl auf England wie auch auf die ägyptische Bevölkerung sehr gross sein.

Als künftige Stellung der Front ist in Aussicht genommen: El Arisch - el-Ibn - Nekhl.

Train pp. soll in die Linie Bir-es-Saba - Maan.


Streng vertrauliche Mitteilungen vom 11. Februar 1915.

Der Grosswesir teilte gestern Seiner Exzellenz dem Herrn Botschafter mit, dass die türkische Regierung im Besitze der Chiffre der griechischen Gesandtschaft sei, sie kontrolliere infolgedessen genau die Korrespondenz zwischen hier und Athen, sie habe unwiderlegbare Beweise, dass der hier verbliebene russische diplomatische Sekretär, Serafimow, seine politische Korrespondenz mit Herrn Sasanow über die griechische Gesandtschaft und von da über Athen nach Petersburg leite.

Sie habe ferner die unwiderleglichen Beweise, dass der griechische Marine-Attaché, Herr Kryesis, seine Stellung zu einem durchaus unlauteren Vorgehen benütze; die türkische Regierung schreite vorläufig dagegen noch nicht ein, um möglichst viel Beweismaterial in ihre Hände zu bekommen. Sie wird aber in dem Moment, wo Herr Venizelos von seiner bisherigen Haltung abweiche, es rücksichtslos tun. Der Grosswesir besteht mehr denn je darauf, dass in irgend einer Form Herr Kryesis von hier verschwinden müsse, er habe demgemäss kategorische Instruktionen seinen Gesandten nach Athen neuerdings übermittelt.



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