1914-03-05-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 14084
Zentraljournal: 1914-A-05369
Erste Internetveröffentlichung: 2017 November
Edition: Armenische Reformen
Praesentatsdatum: 03/17/1914 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: J. Nr. 59/No. 92
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Vizekonsul in Erzerum (Anders) an den Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim)

Bericht



Nr. 59

Erserum, den 5. März 19141

In einer Unterredung mit dem hiesigen Führer der Tschnaksutiun-Partei, Rostom Effendi, betonte dieser, dass für die Durchführung der Reformen im Vilajet Erserum von der Bevölkerung keinerlei Schwierigkeiten zu erwarten seien. Die hier ansässigen Kurdenstämme seien nicht kräftig genug, der Regierung Opposition zu machen. Dagegen dürften im Vilajet Diarbekir bei den Boghtan-Kurden und im Liwa Hakkiari Vilajet Wan sich die Kurden nur widerstrebend in die Neuordnung der Dinge fügen. Die Hauptsache sei die Regelung der Agrarfrage. Die Regierung müsse die Dere-Beys, welche weite Landstrecken okkupirt haben, entfernen und somit den Frohndienst abschaffen. Den Bauern, gleichviel ob Kurden oder Armeniern, müsse ihr eigenes Stück Land überwiesen werden. Die russische Regierung habe, noch ehe in Russland selbst die Leibeigenschaft aufgehoben war, in Polen nach dem Aufstande die Feudalherrschaft abgeschafft und dabei friedliche geordnete Verhältnisse im Lande erzielt. Während der Armenier wohl begreife, worum es sich handele, fehle dem Kurden das Verständnis für die Reformen. Für ihn sei der Dere Bey der Frohnvogt, dem er willig Abgaben zahle und Gefolgschaft leiste. Aber ernstlich könnten auch die Bedrhan-Kurden nicht Opposition machen, da ihre ungeordneten Scharen dem Angriff einer wohldisciplinirten Truppe nicht Stand halten könnten. Das habe sich im letzten Jahre bei dem energischen Vorgehen des Valis von Van, Fahsin Bey, gezeigt. Man habe stets die Kraft der Kurden überschätzt und deshalb so lange Jahre mit ihnen paktirt. Rostom befürchtet, dass die Regierung denselben Fehler machen wird wie in Albanien. Hier nütze nicht die bewaffnete Macht, um Ordnung zu schaffen, sondern eine Änderung des ganzen Systems von Grund aus. Nach Abschaffung der Feudalherrschaft bei den Kurden würden von selbst geordnete Verhältnisse eintreten.

Der Chef der Taschnakisten teilte mir ferner mit, dass gestern eine Weisung vom Patriarchat eingetroffen sei, wonach die Armenier an den Wahlen hier teilhaben dürfen. Infolge einer in Constantinopel getroffenen Vereinbarung werde die Taschnaksutiun-Partei sich jeden Einflusses auf die Wahlen enthalten.


Anders


1 Von Wangenheim am 14.3.1914 urschriftlich dem Reichskanzler vorgelegt (No. 92).



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