1918-11-20-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14105
Zentraljournal: 1918-A-50121
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 11/24/1918 a.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/02/2012


Johannes Lepsius an den Staatssekretär des Auswärtigen Amts (Solf)

Schreiben



z. Zt. Haag, den 20. November 1918.
Nassau Zuilensteinstr. 3

Euer Excellenz

bitte ich in Erwägung zu ziehen, ob ich als Delegierter für Fragen des Orients, speciell für Armenien, zu den Friedensverhandlungen ernannt werden könnte. Die Fragen der politischen, religiösen und wirtschaftlichen Neuordnung der Türkei, die Abgrenzung der nationalen Gebiete von Arabern, Türken, Kurden, Armeniern, Griechen, Syrern u.s.w., die Berücksichtigung der Eigenart von Religionen, Kirchen, Schul- und Missionswerken, die Wahrung der wirtschaftlichen und kulturellen Interessen Deutschlands auch im Inneren der Türkei, erfordern eine genaue Kenntnis der Zustände vor dem Kriege und der Wandlungen während des Krieges, die nur wenige Deutsche zu erwerben Gelegenheit hatten. Unsere bisherige Diplomatie in Konstantinopel kannte nur das europäische, aber nicht das asiatische Gesicht der Türkei. Die Fehler ihrer Politik, ihrer Handlungen sowohl als auch ihrer Unterlassungen wieder gut zu machen, muss schon bei den Friedensverhandlungen der ernstlichste Wille des neuen Deutschlands sein. Die verlorenen Sympathien der christlichen Nationen und der muhammedanischen Völker können nur durch gerechteste Wahrnehmung ihrer wirklichen Lebensinteressen zurückerobert werden. Ich stehe seit zwanzig Jahren in lebendigster Fühlung mit allen einschlägigen Fragen, habe nicht nur die Länder der Türkei nach allen Richtungen durchreist, sondern auch durch die Begründung grosser humanitärer Anstalten und wirtschaftlicher Betriebe in der Türkei und Nordpersien die Volkselemente in der Arbeit unter ihnen kennen gelernt. Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich sage, dass ich nahezu der einzige Deutsche bin, der auch jetzt noch das volle Vertrauen des armenischen Volkes und seiner Führer, der türkischen sowohl als auch der kaukasischen, besitzt. Ich bin mit den Delegierten der armenischen Nation, die das neue Armenien auf dem Friedenskongress vertreten werden, seit Jahren persönlich bekannt, ich kenne auch aus gemeinsamer Arbeit die Mitglieder des englischen parlamentarischen philarmenischen Kommittees und die führenden Männer der in Washington äusserst einflussreichen amerikanischen Missionen in der Türkei und Persien. Auch die Armenierfreunde der neutralen Länder stehen in persönlichen Beziehungen zu mir. Diese besonderen Umstände haben mich zu meiner Bitte veranlasst.

Ich hoffe in wenigen Tagen in Berlin zu sein, um der Regierung meine Vorschläge für Schritte, die nun oder später zu unternehmen sind, zu unterbreiten, möchte aber meine Bitte schon heute der Reichsregierung nahe legen.

Euer Excellenz ergebenster


Dr. Johannes Lepsius


[Notiz Solf]

Antrag ist ernstlich zu prüfen. Lepsius gilt im Ausland!

[Johannes Lepsius an das Auswärtige Amt 20. 11.]


Euer Excellenz

bitte ich, einliegendes Gesuch bei dem Rat der Volksbeauftragten vertreten zu wollen. Ich habe eine Abschrift desselben dem mir persönlich bekannten Unterstaatssekretär Dr. David übersandt. Die Erfordernisse, die die veränderte Lage des Orients an die deutsche Politik stellt, werden bei niemand soviel Verständnis finden wie bei Euer Excellenz. Vor allem gilt es auch der moralischen Offensive der Entente in der Frage der Mitschuld Deutschlands an den armenischen Massenmorden mit allen wahrhaften Mitteln zu begegnen und Deutschland zu entlasten.

In besonderer Verehrung
Euer Excellenz ergebenster


Dr. Johannes Lepsius

[Aufzeichnung Göppert 14.12.]


H. D. Lepsius hat vom Herrn St.S. den Auftrag erhalten, das Aktenmaterial über die Haltung der deutschen Regierung in der Armenierfrage zu veröffentlichen. Er hat den Auftrag angenommen und beabsichtigt zunächst einige Aktenstücke in einer Vorrede zu seiner Schrift über die Armenierverfolgungen, die jetzt deutsch, französisch und englisch veröffentlicht werden soll, abzudrucken. Dann soll möglichst bald eine Zusammenstellung von Aktenstücken ohne begleitenden Text folgen.



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