1915-06-25-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R 19991
Zentraljournal: 1915-A-19981
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 06/26/1915 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Leiter der Zentralstelle für Auslandsdienst (Jäckh) an das Auswärtige Amt (Zimmermann)

Bericht


Berlin, den 26. Juni 1915

Euere Exzellenz, hochverehrter Herr Unterstaatssekretär!

Darf ich mir gestatten, Ihnen in der Beilage wieder einige Berichte aus Konstantinopel zu überreichen, die soeben bei mir eingegangen sind.


In aufrichtiger Verehrung
Ihr getreuer
Jäckh.
Anlage 1
Konstantinopel, den 9. Juni 1915.

……

Wir selbst befinden uns hier immer noch in einem Stadium böser Spannung. Fraglos haben die fabelhaften Siege unseres Heeres in Galizien eine politische Entlastung herbeigeführt. Militärisch jedoch nicht. Im Gegenteil machen die Verbündeten jetzt die denkbarsten Anstrengungen, um im Dardanellenkampfe vorwärts zu kommen, da Russland mit seinem Zusammenbruch droht. Dass dieser Zusammenbruch auch für sie - trotz Italien! - den Anfang vom Ende bedeutet, wissen sie nur zu gut.

Es haben jetzt zweieinhalb Tage lang sehr harte Vorstösse der Landungstruppen gegen die türkischen Linien stattgefunden. Die Engländer kämpfen mit dem Mute der Verzweiflung, da sie die Rücksichtslosigkeit ihrer Kriegführung kennen und genau wissen, dass kein Mensch daran denkt, sie wieder von der Gallipoli-Halbinsel herunter zu holen. Zum Geschlachtetwerden kriegen sie schliesslich auch ihre hohe Gage. Anderseits sehen sie ja sehr genau, dass die Türken keine Gefangenen machen. Das geschieht aber nicht aus bewusster Brutalität, sondern weil der Türke es in seiner geraden Einfalt für einen Unsinn hält, einen Mann, mit dem er kämpft, nicht totzuschlagen. Diese rigorose Kriegführung hat vielleicht ihre Nachteile, denn die wenigen Gefangenen, die es überhaupt gibt, sollen ausgesagt haben, dass sich ihre Kameraden massenhaft ergeben würden, wenn man nicht genau wüsste, dass die Türken sie alle totschlagen.

Die vorerwähnten Angriffe der letzten Tage haben den Gegnern keinen Gewinn an Terrain gebracht. Zeitweilig ging dieser oder jener Schützengraben verloren; er wurde aber in der folgenden Nacht mit dem Bajonett wieder gewonnen. 17 Maschinengewehre haben die Türken zudem erbeutet. Die krampfhaften Siegestelegramme der Alliierten sind durchsichtiger Schwindel, denn ein Angriff, der nichts vorwärts bringt, ist und bleibt eine Niederlage. Aber auch unsere Truppen haben schwer gelitten, besonders durch das ewige Auf-dem-Posten-sein gegen den Feind, der jeden Augenblick über sie herfallen kann. Die zähe Ausdauer des langausgebildeten Soldaten geht den braven Türken doch leider ab.

Unsere U-Boote sind bis auf eins nun alle hier und haben ohne Unfall, wenn auch mit vielen Abenteuern, ihre waghalsigen Fahrten vollendet. Das grosse Boot führt Hersing, ein alter Fähnrich von mir aus der lustigen Zeit auf dem „Mars“. Acht Schiffe hat er schon als moderne Skalps an seinem Siegergürtel hängen. Hier und in Smyrna sind die Boote überholt worden und werden hoffentlich bald wieder von sich hören lassen. Komisch-gefährlich ist wie immer bei den guten Türken auch jetzt die Überschätzung der neuen Waffe. Da sie sich kein Bild von der Verwendung und von den ungeheuren Schwierigkeiten machen, glauben sie ungefähr, dass selbst ein U-Boot genügen würde, um sämtliche Feinde, die sie im Mittelmeer haben, aufzufressen! Heute morgen hat der Scheich ül Islam das grosse Boot im Dock besucht: ein eigenartiges Bild von der neuen Zeit in der neuen Türkei. Das Hereinklettern hat er trotz allen Interesses mit Rücksicht auf seinen schönen Talar aber doch abgelehnt. Enver hingegen ist mit besonderem Vergnügen durch alle Löcher und Luken hindurchgekrabbelt.

Oberst von Leipzig hat von seiner plötzlichen Exkursion nach Sofia Erfreuliches berichtet und den falschen Alarm so ziemlich abgeblasen. Auch sonst scheinen die Bulgaren bemüht, den ungünstigen Eindruck zu verwischen, den die unmässige und unüberlegte Forderung ihres hiesigen Vertreters gemacht hat. Dieser günstige Barometerstand ist zwar sehr erfreulich, aber noch keine Befreiung. Man darf nicht vergessen, dass alle diese Balkanstaaten keine Faktoren sind, die selbständig handeln können, sondern nur Produkte einer allgemeinen Konstellation, die das Schicksal des Balkans bestimmen wird.

Wenn dieser Umstand bei Bulgarien betrüblich, so ist er bei Rumänien erfreulich, denn auch dieses kann seine Politik nicht nach eigenem Gusto machen, sondern muss sich bescheiden und sie den übrigen Verhältnissen anpassen. Unser bester „Balkandiplomat“ ist und bleibt daher der herrliche Hindenburg! So lange der die Russen weiter verhaut, wird für uns hier an einer günstigen Zukunft gesponnen. Wenn wir den nicht hätten, wäre es wahrscheinlich längst alle.

Nicht geringe Sorge macht uns in letzter Zeit Wangenheim. Er ist nicht nur mit seinen Nerven, sondern auch körperlich kolossal herunter. Sein altes Herzleiden meldet sich wieder und das ist ein böses Zeichen. Schlimm ist, dass man sich im hiesigen Klima, besonders im Sommer, kaum erholen kann. Das gehört zu den berüchtigten Eigenheiten Konstantinopels. Man denkt daher trotz der kritischen Zeit und der vielen Arbeiten an den Umzug nach Therapia, der sich vielleicht so bewerkstelligen läßt, dass ein Teil der Botschaft hier drinnen bleibt. Ich selbst würde furchtbar gern hinausgehen, da ich dann einen grossen Teil meiner unnützen Quälgeister los bin. Ausserdem habe ich mir in den Kopf gesetzt, mir für die Zeit in Therapia ein kleines anatolisches Pferd zu kaufen. Das ist zwar ein gewisser Luxus, denn ein besserer Gaul kosten etwa 20 Pfd., aber meine Nerven haben diesen Luxus reichlich verdient.

Jäckh stellte mir in seinem letzten Brief eine eigenartige Frage, die mich etwas verblüfft hat: in Berlin gingen Gerüchte, dass Souchon bei den Türken unbeliebt geworden sei; ob das wahr wäre und warum? So genau lässt sich diese Frage nicht beantworten. Zu meinem Bedauern muss ich aber eher ja wie nein sagen! Die Gründe sind mannigfach und liegen grösstenteils in dem Mangel an politischer Begabung. Ein Mann in seiner Stellung, in diesem eigenartigen Hin- und Herbalancieren zwischen den verschiedenartigsten Interessen, kommt ohne ein gewisses Geschick nicht aus. An Busse hat er in dieser Richtung keine Stütze gehabt. Im Gegenteil, dessen Schroffheiten gegen fast alle hier befindlichen Offiziere haben eine allgemeine Misstimmung gegen das Flottenkommando hervorgerufen. Den misstrauischen und ewig beobachtenden Türken bleibt so etwas natürlich nicht verborgen. Hinzu kommt, dass die Türken in kindlichem Unverstand von der „Goeben“ nicht nur das Mögliche, sondern auch alles Unmögliche erhofften. Da hats natürlich im Laufe der Zeit viele Enttäuschungen gegeben, die, wenn sie auch auf unrichtigem Urteil beruhen, den Leuten doch nicht leicht auszureden sind. Man müsste sich um bessere Stimmung bemühen und dazu haben weder Souchon noch seine Leute Talent.


Anlage 2

Besprechung mit Enver Pascha am 3. Juni.


Enver Pascha spricht von den Operationen in Galizien und weist auf deren ausschlaggebende Bedeutung hin für die ganzen Verhältnisse auf dem Balkan. Solange Russland geschlagen wird, wird sich - seiner Ansicht nach - keiner von den Balkanstaaten rühren. Daher sei es verkehrt, wenn man jetzt Kräfte abzweigen wolle für ein Unternehmen gegen Serbien. Hauptsache sei und bleibe immer: Den Kernpunkt erkennen und dort alle verfügbaren Kräfte ansetzen; Konzentration der Kraft; sich nicht ablenken lassen durch Nebenerscheinungen von der Hauptaufgabe.

So sei z.B. auch das Dardanellen-Unternehmen, falls es nicht aus Verzweiflung unternommen wurde oder in einer geradezu sträflichen Verkennung des zu erwartenden Widerstandes und der ganz natürlichen Schwierigkeiten, ein strategischer Fehler. Das Dardanellen-Unternehmen beschäftigt alles in allem vom Gegner 1; 4 Million Menschen. Diese hätten zweifellos mit mehr Erfolg auf dem Hauptkriegsschauplatz eingesetzt werden können, wohingegen die Türkei nicht in der Lage war, ihre militärischen Kräfte anderswo für das gemeinsame Kriegsziel der Verbündeten einzusetzen. Dieser Fehler der Gegner sei sehr erfreulich, denn das gäbe der Türkei Gelegenheit, Streitkräfte des Gegners abzuziehen und so die Kriegführung der Zentralmächte durch eine fühlbare Entlastung der Hauptdruckpunkte zu unterstützen.

Zieht man auch die Kosten der Dardanellen-Expedition in Betracht, so sei die Belastung unserer Gegner durch unzweckmässige strategische Dispositionen erst recht hoch einzuschätzen.

Immerhin gäbe es auch politische Gesichtspunkte, die den Angriff auf die Meerengen haben bestimmen können. Die Verquickung von Politik und Strategie sei aber - wenn auch manchmal notwendig - immer eine missliche Sache. Sie führt zum Konflikt zwischen Staatsmann und Feldherrn, bei dem letzterer immer hereinfällt und erst wieder zu seinem Rechte kommt, wenn er ein Unglück wieder gut machen soll.

Das Telegramm, das vor kurzem der Ministerrat in Sachen der Offensive gegen Serbien an die deutsche und österreichisch-ungarische Kriegsleitung geschickt hat [Als Fußnote eingefügt: betraf Bitte: baldmöglichst Offensive gegen Serbien oder starke Offensive mit bald erkennbarem Erfolg gegen Italien], sei gar nicht nach seinem Sinn gewesen. Seine Ministerkollegen seien aber zu wenig Militär, um seinen Darlegungen und seinem Widerspruch folgen zu können. Er habe schliesslich nicht auf seinem Veto bestanden in der Annahme, dass die deutsche Kriegsleitung sich in ihren wahrscheinlich sehr sachlichen und militärischen Erwägungen nicht wird irre machen lassen.



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