1919-09-03-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14106
Zentraljournal: 1919-A-26261
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 09/03/1919 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/01/2014


"Frankfurter Zeitung"

Zur Frage der Greuel in Armenien
Eine Rechtfertigungsschrift von A. Djemal Pascha


Djemal Pascha, der frühere türkische Marineminister und Oberkommandierende der türkischen Armeen in Syrien, bittet uns, die nachfolgende Rechtfertigungsschrift zu veröffentlichen. Wir kommen nur einer Pflicht der Billigkeit nach, wenn wir ihm, gegen den von den Blättern und Behörden der Entente schwere Beschuldigungen erhoben wurden, seinem Ersuchen entsprechend die Möglichkeit geben, sich in aller Öffentlichkeit zu verteidigen. Red.

Das Ministerium, dessen Mitglied ich war, wird, weil es das Bündnis der Türkei mit den Zentralmächten abgeschlossen hat und an ihrer Seite in den Krieg mit den Regierungen der Ententemächte getreten ist, von den letzteren mit unnachsichtlicher Feindschaft behandelt. Nachdem Bulgarien sich unter den allgemein bekannten Umständen von dem Bündnis losgesagt hatte, sah sich die Türkei in Uebereinstimmung mit der deutschen Regierung gleichfalls genötigt, von der Entente einen Waffenstillstand zu erbitten, worauf das Kabinett Talaat Pascha es im Interesse des Landes für richtig fand, von der Leitung der Staatsgeschäfte zurückzutreten und seinen Platz einem Koalitionsministerium einzuräumen. Einerseits der Haß und die Feindschaft der Ententeregierungen gegen die Mitglieder des Kabinetts Talaat Pascha und gegen die Jungtürken im allgemeinen, andererseits heftige aus der Mitte unserer Mitbürger losbrechende von der Ententepropaganda geschürte Gegenströmungen haben mich veranlaßt, zusammen mit Talaat und Enver Pascha und einigen anderen Parteifreunden das Land nach Unterzeichnung des Waffenstillstandes zu verlassen.

Durch den ständigen Druck der Ententeregierungen, welche seit ihrem Einzug in Konstantinopel unter vollständiger Außerachtlassung der Bedingungen des Waffenstillstandes die innere Unabhängigkeit der Türkei vernichtet haben, begann die Regierung von Konstantinopel ein Verfahren gegen die jungtürkische Partei einzuleiten unter dem Vorwand, daß diese Partei den Eintritt der Türkei in den Weltkrieg gegen die Entente und die Armeniermassacres verschuldet habe. Infolgedessen wurden über 150 unserer Parteigenossen, darunter die opferfreudigsten und achtbarsten Leute, gegen alle Loyalität und Gerechtigkeit verhaftet und ins Gefängnis gesperrt. Obwohl wie in anderen Ländern die Verfassung der Türkei für die Aburteilung von Ministern die Bildung eines Staats- bezw. Obersten Gerichtshofes vorschreibt, hat die Regierung von Konstantinopel uns einem unzuständigen Kriegsgericht überantwortet. Die Engländer aber, auch mit dieser Art von Rechtsverfahren noch nicht zufrieden, haben unter den Augen der türkischen Regierung die 150 verhafteten Parteimitglieder aus dem Gefängnis des Kriegsministeriums weggeschafft, sie in Lastautos verladen, an Bord eines Schiffes gebracht und nach Malta abgeführt.

Die gegenwärtige türkische Regierung benahm sich so, als ob sie den ganzen Ernst dieses Vorgehens, das den furchtbarsten Schlag bedeutet, den man der Unabhängigkeit eines Staates zufügen kann, nicht verstünde, und so hat sie sich in Fortsetzung dieser Handlungsweise bereit finden lassen, uns vor dem Kriegsgericht den Prozeß zu machen, der vor eineinhalb Monaten damit endete, daß Talaat und Enver Pascha, Dr. Nazim Bey, der frühere Unterrichtsminister, und ich in contumaciam zum Tode, der vormalige Scheich ul Islam Mussa Kiazim Effendi und der Finanzminister Djawid Bey zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurden.

Ein Hauptgrund, der zu unserer Verurteilung beigetragen hat, liegt in dem Vorwurf, daß wir die Türkei zum Kriege gegen die Ententemächte veranlaßt haben, der andere darin, daß wir die armenischen Massacres nicht verhinderten. Der Eintritt der Türkei in den Krieg gegen die Entente kann jedoch nicht als politisches Verbrechen qualifiziert werden; denn wir behaupten unsererseits, daß, wenn die Türkei im Bunde mit dem Deutschen Reich den Krieg gewonnen hätte, sie für immer von ihren schonungslosen Feinden, die sich sämtlich in den Reihen der Ententemächte befinden, befreit worden wäre, sie hätte frei und unabhängig leben und alle modernen und brauchbaren Faktoren der Zivilisation und des Wohlstandes bei sich einführen können. Ich werde versuchen, dieses Problem ausführlicher in meinem demnächst erscheinenden Denkwürdigkeiten zu erörtern.

Was aber den Vorwurf betrifft, daß wir die armenischen Massacres nicht verhindert haben, so ist darüber folgendes zu sagen: Das Kriegsgericht, außerstande, gegen jeden einzelnen Beschuldigten irgend welche konkrete Tatsachen festzustellen, hat eine moralische Verantwortlichkeit der jungtürkischen Partei angenommen und uns vier als angeblich einflußreichste Parteimitglieder kollektiv schuldig befunden. Ich bin ganz sicher, daß meine Freunde Talaat und Enver Pascha, die ihr Leben dem Glück und der Wohlfahrt der Türkei gewidmet haben, sowie meine anderen politischen Gesinnungsgenossen, sobald sie erst einmal mit der Veröffentlichung der Dokumente beginnen, um sich vor der zivilisierten Welt zu verteidigen, imstande sein werden nachzuweisen, daß sie persönlich an den Armeniergreueln keine Schuld trifft und daß sie ganz und gar frei sind von den verbrecherischen Absichten, die man ihnen zuschreibt; sie werden beweisen, daß die Feinde der Politik des Comités zu lügnerischen Behauptungen greifen, einzig zu dem Zwecke, die Partei zu vernichten. Indem ich ihnen die Pflicht und das Recht, sich selbst zu verteidigen, überlasse, werde ich mich hier begnügen, alle Schuldhaftigkeit, die man mir persönlich aufladen will, zurückzuweisen.

Als völlig unumstößlichen und unleugbaren, positiven Beweis dafür, daß ich niemals Ausschreitungen und Greueltaten gegen Armenier gestattet und alles nur irgend Mögliche getan habe, um das Los der Deportierten zu mildern, führe ich folgende Tatsachen an:

1. Ich habe alle wirksamen Maßregeln ergriffen, um die Hunderttausende von deportierten Armeniern, die durch die Zone meines Befehlsbereiches zogen, vor Belästigungen und Gewalttätigkeiten zu schützen, und mich erfolgreich bemüht, sie mit Lebensmitteln aus dem Etappendepots, die für die Bedürfnisse der Divisionen der zweiten Suezexpedition bestimmt waren, zu versehen.

2. Mehrere Tausend armenischer Deportierter brachte ich bei der Bagdadbahn zwischen Taurus und Aleppo unter und verschaffte ihnen Anstellung bei der Bahngesellschaft, damit sie ihren Lebensunterhalt verdienen.

3. Mehrere tausend dieser armenischen Deportierten habe ich in der syrischen Zone aufgenommen und ließ sie trotz verschiedener politischer und verwaltungstechnischer Schwierigkeiten und Unzuträglichkeiten in den Wilajets von Syrien, Beyruth, Aleppo und auch Jerusalem wohnen und versuchte, in den Grenzen des Möglichen ihnen Lebensmittel zu verschaffen.

4. Knaben und Mädchen, die sich unter den Zwangsauswanderern befanden, habe ich, um sie vom Tode und moralischen Gefahren zu retten, in Syrien aufgenommen und für sie Waisenhäuser errichtet, eins im Kloster von Ain-Tura im Libanon, ein zweites in Damaskus, ein drittes in Aleppo. Ich habe diese Waisenhäuser, in die 3 - 4000 Kinder aufgenommen werden konnten, unter meinen persönlichen Schutz gestellt und habe alle Kosten aus dem Armeebudget bestritten, um den Kindern Nahrung, Kleidung und Unterricht zu verschaffen.

5. Ich habe Frl. Altunghian, der Tochter des bestbekannten armenischen Arztes in Aleppo, die Erlaubnis zur Errichtung eines Waisenhauses erteilt, auch dieses meinem Schutz unterstellt und es aus dem Armeedepot unentgeltlich mit Lebensmitteln versehen.

6. Für armenische Frauen und Mädchen habe ich Arbeitshäuser errichtet, in denen 15 - 20000 weibliche Personen Arbeit gegen Lohn fanden. Sie konnten sich die nötigen Lebensmittel zu den niedrigsten Preisen aus dem Militärverpflegungsmagazinen verschaffen.

7. Zahlreiche armenische Handwerker habe ich unter meinen Schutz gestellt und sie gegen angemessenen Lohn in den Militärwerkstätten und ärarischen Fabriken meiner Armee beschäftigt.

8. Ich habe unter meinen besonderen Schutz genommen den ehrwürdigen Monsignore Sahak, den Patriarchen Katholikos der Armenier von Cilicien, und habe von der Zentralregierung die Erlaubnis erwirkt, ihn in dem armenischen Patriarchat von Jerusalem unterzubringen, anstatt ihn nach der kleinen Stadt Kassab im Wilajet Aleppo zu verschicken. Alle Auslagen des Patriarchen und seines Gefolges bestritt ich bis zum Kriegsende aus dem Armeefonds. So wie den Patriarchen ließ ich auch mehrere armenische Notabelnfamilien in Jerusalem wohnen und stellte sie unter meinen persönlichen Schutz.

9. Den Direktor einiger deutscher Waisenhäuser habe ich gebeten, armenische Waisen nach Zulänglichkeit der verfügbaren Mittel aufzunehmen, und auf Ersuchen der Herren Missionsdirektor D. Axenfeld, Direktor A. W. Schreiber und Oberlehrer Sommer, welche mir während meiner offiziellen Reise in Deutschland 1917 das Vergnügen ihres Besuches machten, unentgeltlich Lebensmittel für diese Anstalten zur Verfügung gestellt.

10. Als ich erfuhr, daß zwei Türken mit Namen Ahmed der Cirkassier und Halil Grausamkeiten gegen armenische Deportierte im Wilajet Diarbekir, das nicht zu meinem Befehlsbereich gehörte, begangen hätten und das eben dieselben auch den Mord an den zwei armenischen Abgeordneten Zohrab und Wartkes, die von Konstantinopel an das Kriegsgericht nach Diarbekir geschickt worden waren, begangen hätten, habe ich die Uebeltäter, sobald sie sich innerhalb der Grenzen meines Befehlsbereichs befanden, festnehmen, vor das Kriegsgericht in Damaskus stellen und, nachdem sie von diesem zum Tode verurteilt worden waren, das Urteil sofort vollstrecken lassen.

Obwohl ich in der Aufzählung des von mir unternommenen Hilfswerks zu Gunsten der Armenier noch lange fortfahren könnte, möchte ich mich auf diese wenigen Tatsachen beschränken. Ich bin völlig sicher, daß zahlreiche deutsche und österreich-ungarische Offiziere, mit denen ich im Kriege das Vergnügen hatte zusammenzuarbeiten, nicht zögern werden, alles, was ich soeben ausgeführt habe, zu bestätigen. Ebensowenig zweifle ich, daß auch zahlreiche Schweizer, Amerikaner, Engländer und Franzosen, welche sich während des ganzen Krieges unbehelligt in Syrien, in Beyruth und im Libanon aufgehalten haben, meine für den Schutz und die Rettung der Armenier geleisteten Dienste anerkennen werden. Da ich nicht die Ermächtigung habe, ihre Namen als Zeugen anzuführen, enthalte ich mich der Nennung von Namen. Aber ich appelliere an ihre Wahrheitsliebe, um sie zu veranlassen, an irgend einer publizistischen Stelle über ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen in dieser Hinsicht zu berichten. Ebenso bin ich sicher, daß auch zahlreiche meiner armenischen Mitbürger sich verpflichtet fühlen werden, Zeugenschaft abzulegen für den Sieg der Wahrheit und Gerechtigkeit.

Uebrigens finden sich in der Veröffentlichung von Dr. Johannes Lepsius (Deutschland und Armenien 1914 - 1918, Potsdam 1919), die ich soeben gelesen habe und die einige nach meiner Meinung anfechtbare und widerlegbare Dokumente enthält, zahlreiche Beweisstücke für die Wahrheit dessen, was ich eben ausgeführt habe. Ich darf insbesondere auf die Dokumente Nr.: 23, 24, 25 Anl. 3, 34, 107, 135, 193, 209, 210, 226 mit Anl. 2, 233, 256, 263 mit Anl. 1, 270, 327, 360 dieser Sammlung diplomatischer Aktenstücke verweisen.



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