1916-10-16-DE-004
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Quelle: /PA-AA/R 20108
Zentraljournal: 1916-A-31804
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 11/20/1916 04:00 PM
Telegramm-Ankunft: 11/23/1916 06:50 AM
Praesentatsdatum: 11/24/1916 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Die Gesandtschaft in Athen an Auswäritges Amt

Telegraphischer Bericht


Athen, den 16. Oktober 1916

aufgegeben in Tirana 20.11.1916


Admiral Berlin Nr. 278

Die Entwicklungsmöglichkeiten der Lage in Athen und ihre mutmaßlichen Rückwirkungen auf die deutschen Interessen im östlichen Mittelmeer.

Es ist von hier aus schwer zu beurteilen, wie weit eine Unterstützung unsererseits möglich und zweckmäßig wäre für den Fall, daß Seine Majestät der König sich entschließen sollte, eine Politik des Widerstandes gegen Ententeforderungen einzuleiten auf die Gefahr hin, sich, seine Regierung und seine Truppen aus dem Bereich der Ententegeschütze zurückziehen zu müssen.

Man darf annehmen, daß Seine Majestät der König heute entschlossen ist, sich nicht auf die Seite der Entente drängen zu lassen. Sollte er die Absicht gehabt haben, der Entente eine Kriegserklärung seinerseits an Bulgarien zu einem entfernten Zeitpunkt und unter unannehmbaren Bedingungen in Aussicht zu stellen, um Zeit zu gewinnen, so dürfte ein solcher Schritt, da verspätet, seinen Zweck heute verfehlen, auch wenn er noch erfolgen sollte, was bisher nicht bekannt ist.

Nachdem die Forderungen der Note vom 10. Oktober kaum erfüllt sind, liegen bereits weitere …[Gruppe unverständlich]… Schritte der Entente in der Luft, sodaß stündlich der Augenblick eintreten kann, an dem Seine Majestät der König sich entscheiden muß, ob er das Heft völlig aus der Hand geben oder seine schon stark beschränkte und aufs äußerste gefährdete Souveränität verteidigen will. Begibt sich der König seiner letzten Stützen, der Armee, der königstreuen Beamten und Geistlichen, so wird hier bald eine ententistische Regierung ans Ruder kommen. Dann wird eine Kriegserklärung an Bulgarien mit oder ohne Willen des Königs schnell folgen.

Alle Informationen besagen nun, daß in solchem Fall nur ein verschwindend geringe Teil der Armee dem Befehl Folge leisten werde, da man wisse, daß der König nur gezwungen auf Seite der Entente treten würde. Ein guter Kenner der Verhältnisse sagte, die Entente und Venizelos würden im ganzen kaum 50000 Mann auf die Beine bringen. Man darf solchen Voraussagen keinen zu großen Wert beimessen, doch dürfte eine erzwungene Mobilmachung tatsächlich erheblichen Schwierigkeiten begegnen, die erst mit der Zeit behoben werden könnten und die Belassung starker Besatzungstruppen im Innern erfordern würden. Abgesehen davon, daß das nationale Empfinden der Griechen seit langem tatsächlich fabelhaft leidet und wirklicher Haß, besonders gegen Frankreich, aufgespeichert ist, will der griechische Soldat nicht in den Krieg gegen die Zentralmächte, das abschreckende Beispiel von Serben und Rumänen ist allen Volksschichten zu deutlich vor Augen. Offiziere und Soldaten sprechen offen aus, sie würden beim ersten Erscheinen von deutschen Truppen zu diesen übergehen. Wir sind so weit, daß Griechenland auch im ungünstigsten Fall für längere Zeit als Gegner militärisch keine große Bedeutung ist.

Entschließt sich der König, bei dem einzig und allen die Entscheidung liegt, rechtzeitig sich weiteren Forderungen der Entente zu widersetzen, so muß er damit rechnen, die Landeshauptstadt und alle Küstenstädte und Inseln zunächst der Entente überlassen zu müssen.

Er ist nicht gewillt, Athen einem Bombardement auszusetzen, auch ist eine Verstärkung der Stadt angesichts der bei der Demonstrationsflotte vorhandenen Flugzeuge und dem Fehlen jeglicher Abwehrmittel praktisch schwer durchzuführen. So müßte der König mit seiner Regierung sich zurückziehen, sobald die Entente auf Ablehnung einer ihrer Forderungen hin zu Gewaltmaßregeln übergeht.

In gedachtem Fall - Verlegung von Residenz und Regierung ins Innere und Konzentrierung der erreichbaren Truppen daselbst - wäre es die Frage, ob die Entente die Gegenforderungen des Königs annehmen oder es auf einen Angriff der zusammengezogenen griechischen Armee gegen die Armee des Generals Sarrail ankommen lassen würde. Die Gegenforderungen des Königs müßten die Zusicherung völliger Unabhängigkeit im Sinne Seiner Majestät des Königs, Desavouierung der revolutionären Bewegung, Rückgabe der Flotte, sowie Garantien territorialer und materieller Art umfassen.

Militärsachverständige glauben, daß die Sarrail-Armee eine Bedrohung des Rückens ihres serbischen Flügels durch die griechische Arme, die etwa 5 bis 6 schwache Divisionen stark sein würde, nicht vertragen könnte und die Entente daher gezwungen sein würde nachzugeben. Auf einen solchen Erfolg scheint Seine Majestät der König selbst aber nicht unbedingt zu rechnen, sonst hätte er diesen Weg wohl schon unter günstigeren Umständen beschritten und den Entschluß nicht bis zum äußersten hinausgeschoben. Er ist sich bewußt, daß Entente ein Nachgeben, wenn nur irgend möglich vermeiden würde, da es mit einem Verzicht auf alle spätere Hoffnung auf Griechenland gleichbedeutend wäre.

Bleibt nun die Frage der Folgen einer eventuellen Ablehnung von seiten der Entente. I. Militärische Überlegungen: Die Entente weiß, daß der Plan, gegebenenfalls Widerstand zu leisten, besteht und soweit möglich vorbereitet ist. Sie muß sich also heute schon über ihr Verhalten gegenüber solchem Schritt des Königs klar sein. Die Entente weiß auch, daß Verpflegung und Kriegsmaterial für eine in Thessallien zusammentretende Armee nur beschränkt sein können, der …[Gruppe unverständlich]…, der König also für die Annahme seiner Gegenforderungen eine kurze Frist stellen und nach Ablehnung sofort zur Offensive übergehen müßte. Da seine Munition nur gerade für den ersten Stoß ausreichen dürfte, müßte er mit dieser die Verbindung mit den Zentralmächten erzwingen. Die Offensive würde direkt den Rücken des linken Flügels Sarrails treffen, würde also wohl sicher den gewünschten Erfolg haben.

Währenddessen würde Entente nun zweifellos in Attika und in allen Küstengebieten die Venizelos … [Gruppe unverständlich]… einrichten und eine Gegenmobilmachung versuchen. Wie bisher dürfte diese nur geringe Resultate zeitigen und zunächst der Armee des Königs kein Gegengewicht bieten, Sarrail also nicht entlasten können. Die italienischen Streitkräfte in Nordepirus sollen nur eine Brigade mit Gebirgsartillerie betragen, sodaß Teile des griechischen V. Armeekorps (Janina) zur Sicherung nach dieser Seite genügen würden. Auch werden die italienischen Truppen vollauf zutun haben, die als Folge einer Offensive des Königs gegen Sarrail sicher auftretenden Aufstandsbewegungen in Nordepirus niederzuhalten.

Die militärischen Aussichten der Entente in Westmazedonien wären demnach ungünstig, sobald Sarrail nicht über so starke und verwendungsbereite Reserven verfügt, daß er die Linie Lik, Castoria, Kozani gegen die Armee des Königs halten könnte. Bei der starken Beanspruchung seiner Kräfte gegen die Bulgaren, nach den vorliegenden Nachrichten überschätzten Stärke der Orientarmee erscheint dies unwahrscheinlich.

Man kann also mit einer gewissen Sicherheit darauf rechnen, daß ein Angriff der Armee des Königs von Griechenland gegen Sarrail ein Zurücknehmen des gesamten linken Flügels der mazedonischen Armee bis zum Ostrovosee und östlich Kailar zur sofortigen Folge haben, den Bulgaren wohl eine erneute Offensive ermöglichen und Sarrail schließlich zwingen würde, seine Armee hinter die befestigte Linie Salonik Stravros zurückzuziehen. Andererseits müßte die griechische Armee sofort mit Munition versehen werden und wäre bis zum Abschluß der Operation bezüglich des Kriegsmaterialersatzes und eines Teils der Verpflegung auf die Zentralmächte angewiesen. Wird das Ziel, wie erwartet erreicht, so würden wiederum durch die Opfer eine sehr erhebliche Verkürzung der Front und starke Entlastung Bulgariens erreicht. Die weitere Entwicklung, die die militärischen Ereignisse auf dieser Front nehmen würden, läßt sich nicht voraus bestimmen, doch ist anzunehmen, daß Griechenland für die ganze Dauer des Krieges auf uns angewiesen bleiben würde und die Erhaltung der griechischen Armee für diesen Zeitraum uns zur Last fallen würde. Dabei könnte von ihr kaum mehr erreicht werden als eine Beschränkung der Ententeherrschaft und besonders der Italiener auf die Küstengebiete Griechenlands.


II. Politische Überlegungen:

Man darf voraussetzen, daß die Anstrengungen Frankreichs und Englands, Griechenland auf seiten Ententemächte zu zwingen, weniger dem Wunsch auf militärischen Zuwachs entspringen, als einem verzweifelten Versuch, den letzten Balkanstaat vor der deutschen Vorherrschaft zu retten. Seit dem Beitritt Bulgariens zum Dreibund, der Vernichtung Serbiens und dem Scheitern der Dardanellen- und Salonik-Expedition sehen sich England und Frankreich um die Arbeit hundertjähriger konsequenter Balkanpolitik betrogen, deren Früchte gerade als Folge dieses Weltkrieges beiden Großmächten zugute kommen sollten. Der Hoffnungsschimmer, durch das Eintreten Rumäniens verlorenes Terrain wiederzugewinnen, dürfte schon heute stark im Verblassen sein, denn je schlechter sich die militärische Lage für Rumänien gestaltet, desto stärker presst die Entente auf Griechenland. Entente weiß, daß ihr Einfluß in Griechenland verloren ist, wenn König Konstantin seine Politik bis Friedensschluß erfolgreich durchführen kann. Deswegen werden alle Maßnahmen in Griechenland direkt und indirekt gegen die Person des Monarchen gerichtet. Deswegen sichert … [Gruppe fehlt]… sich schon heute die wertvollsten griechischen Inseln und wird versuchen, schlimmstenfalls wenigstens einen Inselstaat von Frankreich-Englands Gnaden im nahen Ostern zu erhalten.

Nun muß zugegeben werden, daß angesichts der Überlegenheit, die sich Deutschland während des Krieges auf dem Balkan gesichert hat, Frankreich England ein ungleich größeres Interesse haben, als wir an dem Kampf um die Vorherrschaft in Griechenland. Immerhin würde Griechenland aber auch für uns als Vorwerk deutschen Einflusses von großem Nutzen bleiben, weniger in seiner Eigenschaft als Balkanstaat als vorgeschobener Posten von doppelter Bedeutung. Einmal in wirtschaftlicher Hinsicht als Umschlagplatz für den Verkehr Osteuropa-östliches Afrika und Indien ferner als strategischer Punkt zur maritimen Beherrschung vom Ägäischen Meere. Sollte es England gelingen, einen Teil der Ägäischen Inseln unter seinem Einfluß zu behalten, so würde zwar die Entlastung der türkischen Küste illusorisch, uns aber zum Schluß das maritime Übergewicht im Ägäischen Meere gesichert. Gelingt es in diesem Kriege nicht, der Entente die freie Verfügung über den Suezkanal zu entziehen, so würde Griechenland für uns besonders wertvoll.

Sollte es dazu kommen, daß Griechenland von der Entente gezwungen würde, auf seiten der Zentralmächte zu treten, so würde uns über die für die griechische Neutralität gegebenen Zusicherungen und die materielle Unterstützung hinaus wohl nur moralische Verpflichtung entstehen, Griechenlands Interessen nach dem Kriegs zu vertreten. Wenn Bulgarien in Serbien und Rumänien entschädigt werden kann, wird es leicht sein, die für die Neutralität Griechenlands gegebenen Zusicherungen zu halten. Im Falle eines Bündnisses mit Griechenland würden aber dessen übrige Aspirationen - Verdrängung der Entente von den Inseln und Italiens aus Nordepirus und Valona - mit den deutschen Interessen völlig übereinstimmen und mit den türkischen und österreichischen wohl in Einklang gebracht werden können. Da man annehmen kann, daß die Entente die von ihr besetzten Inseln und Gebiete einem bis Ende des Krieges neutralen Griechenland sicher nicht zurückgeben würde, so müssen wir sie schon jetzt ihrem Wert entsprechend sowieso in Rechnung setzen.

Schließlich käme noch ein, im Balkan allerdings bisher nur gering bewerteter Faktor in Betracht, daß nämlich eine Waffenbrüderschaft zwischen Griechen, Bulgaren und Türken wenigstens für einige Zeit den verletzenden Ton zwischen diesen Nationen günstig beeinflussen würde, was uns im Hinblick auf das Übergewicht der zukünftigen Balkangroßmacht nur erwünscht sein könnte.

Vorstehende Überlegungen führen zu folgenden Schlüssen:

I. Durchführung der griechischen Neutralität bis Ende des Krieges oder wenigstens bis kurz vor diesem Ende dürfte unseren Interessen am meisten entsprechen.

II. Eintreten Griechenlands auf Seiten Zentralmächte würde uns zunächst einige militärische Vorteile zu Lande sichern, dagegen für den Rest des Krieges bedeutende materielle Verpflichtungen auferlegen. Politische Aussichten nicht wesentlich besser als zu I.

III. Eintreten Griechenlands auf Seiten der Entente würde besonders in der ersten Zeit militärisch nur geringe Bedeutung haben. Dem momentanen Vorteil, daß wir Bulgarien und der Türkei Griechenland gegenüber freie Hand lassen könnten, würden erhebliche Nachteile für die Zeit nach dem Kriege entgegenstehen, so daß dieser dritte Fall vermieden werden müßte, wenn dies mit vorerwähnten Opfern, die zur Bedeutung Griechenlands für uns in günstigem Verhältnis stehen dürften, erreicht werden könnte.

Bitte Generalstab mitteilen.



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