1914-08-15-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 22402
Zentraljournal: 1914-A.S.-1748
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Telegramm-Abgang: 08/15/1914 12:55 PM
Telegramm-Ankunft: 08/15/1914 04:55 PM
Praesentatsdatum: 08/15/1914 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 505
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht



Nr. 505.

Therapia, den 15. August 1914

Großwesir schickte mir heute folgenden von dem hiesigen bulgarischen Gesandten und den türkischen Delegierten aufgestellten Entwurf eines türkisch-bulgarisch-rumänischen Bündnisvertrags mit der Bitte mich dazu zu äußern.

1. Les Royaumes de Bulgarie, de Roumanie et l’Empire Ottoman ayants pris en considération l’identité des leurs intérêts, s’engagent à garder avec efforts communs l’intégrité de leurs territoires. En d’autres termes, si un des ces trois pays est attaqué par une autre puissance quelconque, les deux autres pays sont obligés de se porter par les armes au secours de leur alliée.

2. Les trois Etats s’engagent aussi à respecter leurs frontières. Ils s’entendent en outre ...[Gruppe fehlt]... renoncent en cas de besoin au contrôle armé de leurs frontières ce qui leur permettra éventuellement à dégarnir, si c’est nécessaire, complètement ces dernières.

3. Les dits Etats s’engagent mutuellement à ne pas entreprendre d’action militaires offensive d’aucune sorte contre les autres Etats sans s’être préalablement entendu ...[Gruppe fehlt]... action projetée. Dans le cas où leurs intérêts exigent une pareille action, c’est avec une convention militaire spéciale qu’elle sera convenue sur tout ce qui concerne le plan des opérations, le nombre des soldats à mettre en campagne par les trois Etats, la quantité des pièces d’artillerie, la concentration et la dislocation des troupes etc.

4. Si certains événements politiques rendent nécessaire le passage des troupes de l’une des Parties contractantes, à travers le territoire des autres, cela ne pourrait s’effectuer qu’après le consentement préalable de l’Etat à travers le territoire duquel les troupes doivent passer.

Nachmittags erschien Talaat Bey und Enver auf der Botschaft und erklärten mir, der Entwurf sei das Äußerste, was sie von Toscheff hätten erreichen können. Sie seien damit keineswegs einverstanden und mißtrauen überhaupt Toscheff, der anders spreche als der bulgarische Ministerpräsident. Um Klarheit zu schaffen, würden sie noch heute oder spätestens morgen nach Sofia fahren und mit der bulgarischen Regierung direkt verhandeln. Sie würde bis zu Drohungen gehen, um durchzusetzen, daß Bulgaren gegen Serben losschlagen. Denn die Türkei wolle sich nicht sagen lassen, daß sie nicht das äußerste getan hätte, um ihren Verpflichtungen gegen Deutschland gerecht zu werden. Der Regierung konveniere es durchaus, sobald als möglich gegen Rußland los zu schlagen. Ein Versuch der Forcierung der Dardanellen erschrecke sie durchaus nicht, wenn sie Bulgariens sicher sei. Nur wenn festgestellt wäre, daß Bulgarien vorerst für einen Angriff gegen Serbien nicht zu haben sei, würden sie auf Grund des hier aufgestellten Dreivertrags weiter verhandeln, aber zur Bedingung machen, daß Bulgarien mobilisiere, Truppen an der serbischen Grenze aufstelle und womöglich Serbien erkläre, daß es angegriffen werden würde, sobald serbische Truppen die österreichische Grenze überschritten. Sie würden aber nicht abschließen, bevor nicht der Kaiserliche Gesandte in Sofia ihnen das Einverständnis der Deutschen Regierung mit dem Bündnis garantiert habe. Von Rücksprache werden sich die beiden Minister zu weiteren Verhandlungen nach Bukarest begeben, wo sie mit Herrn Politis, dem Delegierten des Herrn Venizelos, zusammentreffen würden. Mit Griechenland wolle die Türkei unter allen Umständen zu einer Verständigung wegen der Inseln gelangen. Die Türkei verlange nur ganz kleine Kompensationen auf dem europäischen Festland, welche Griechenland überhaupt nicht berühren könnten. Die Beute suche die Türkei auf russischem Gebiet (Turkestan).

Der Vertragsentwurf verrät die Absicht der Parteien neutral zu bleiben, bis sich zeigt, ob wir oder unsere Gegner gewinnen, um sich, falls wir siegen, im gegebenen Moment auf die Beute zu stürzen. Er schließt einen Angriff Bulgariens auf Serbien ebenso aus wie einen Schiffs …[Gr. fehlen]…. Es steht so gut wie fest, daß die Türkei ohne Bulgariens sicher zu sein, nicht marschieren wird. Kein türkischer Staatsmann wird die Verantwortung für einen Krieg gegen drei Großmächte übernehmen, solange er nicht eine Garantie hat, daß Konstantinopel selbst gesichert bleibt. Wenn Bulgarien keinen Rückhalt findet, so ist keineswegs ausgeschlossen, daß es dem russischen Drängen zur Bekriegung der Türkei schließlich Folge leistet. Die Situation liegt für die Türkei heute wesentlich schwieriger als zu dem Zeitpunkt unseres Bündnisabschlusses mit ihr. Sie war berechtigt in Italien einen Bundesgenossen zu erblicken und konnte darauf zählen, daß die Dreibundflotte die Türkei vor direkten Angriffen bewahren würde. Ein Zug der Türken nach dem Schwarzen Meere mit Goeben und Breslau wäre heute ein äußerst gefährliches Abenteuer. Sobald die Expedition den Bosporus verläßt, erklärt die Entente unbedingt den Krieg. Die Dardanellen sind ohne Goeben nach Ansicht der Admiräle Schack und Souchon keineswegs gesichert. Nehmen die Engländer Constantinopel, so ist das Schicksal der Türkei ebenso besiegelt wie dasjenige unserer Schiffe, die im Schwarzen Meere ihren Gegner doch nur in Häfen hinter einem Minengürtel antreffen und auch sonst nur wenig ausrichten würden. Festsetzung einer Ententemacht in den Meerengen bedeutet die Aufteilung der Türkei ohne uns. Nach reiflichster Überlegung sind Markgraf Pallavicini und ich zu der Ansicht gelangt, daß unsere Regierungen nicht raten können, die Türkei ohne Sicherung gegen Bulgarien zur Entsendung der Göben und Breslau mit oder ohne türkische Truppen nach dem Schwarzen Meer zu veranlassen und damit vielleicht den Untergang der Türkei vorzubereiten. Uns erscheint vielmehr, vorausgesetzt immer, daß Bulgarien sich zum Losschlagen nicht bewegen läßt, der hier verabredete Dreivertrag als die nächstgünstige Lösung. Dieser Vertrag würde Bulgarien fest einer Kombination einfügen, die durch zwei Verträge fest mit Österreich und Deutschland verbunden ist. Bulgarien würde darin einen Rückhalt finden gegen alle russischen Drohungen. Der ganze Verband, der über 700 000 Soldaten verfügen würde, dürfte Rußland und England alle Angriffsgelüste nehmen. Denn jeder Angriff auf die Meerengen würde die Armee des Dreiverbandes gegen Rußland in Bewegung setzen. Deutschland bleibt mit seinen beiden Schiffen und der Militärmission Herr der Meerengen, eine Tatsache, die als Kompensationsobjekt beim Friedensschluß von gar nicht abzusehender Bedeutung werden kann. Schon jetzt herrscht an den Küsten des Schwarzen Meeres Panik wegen türkischer Mobilisierung und der Anwesenheit der Göben. In Donau und an anderen Orten werden Verteidigungsmaßnahmen getroffen. Truppenteile, die nach Westen gehen sollten, werden zurückgehalten. Unter dem Schutz des Balkanbündnisses wird die Türkei Rußland noch drohender erscheinen, ohne von letzterem angegriffen werden zu können. Göben und Breslau haben Zeit, ihre Schäden zu reparieren, die türkische Flotte einzufahren, die Verteidigung der Meerengen zu vervollständigen. Mit Göben hält Admiral Souchon die Dardanellen für fast uneinnehmbar. Auch für Serbien ist der mobilisierte Dreiverband äußerst bedrohlich und dürfte es an Vorstößen über die österreichische Grenze verhindern. Unsere Schiffe werden sicher später noch Gelegenheit finden, in den Entscheidungskampf einzugreifen. Jetzt scheint mir ein mißliches Verhältnis zwischen Einsatzobjekt und dessen Chance zu bestehen. Falls Euere Exzellenz den Gedanken des Balkandreibundes als pis aller [letzten Ausweg] akzeptieren, so bitte ich um schleunigste Instruktion der Kaiserlichen Gesandten in Sofia und Bukarest. Göben und Breslau können vorläufig hier nur unter türkischer Flagge gezeigt werden. Die Triple Entente tut vorläufig noch so, als ob sie an Verkauf glaubte. Das kann sich aber täglich ändern.


[Wangenheim]



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