1909-05-29-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R 13186
Zentraljournal: 1909-A-09337
Erste Internetveröffentlichung: 2009 April
Edition: Adana 1909
Praesentatsdatum: 05/29/1909 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: B. 1944. I.
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Chef des Admiralstabs der Marine (Baudissin) an den Staatsekretär des Auswärtigen Amts (Schoen)

Notiz



B. 1944. I.
Euer Exzellenz beehrt sich der Admiralstab der Marine ergebenst Abschrift eines militärpolitischen Berichts S.M.S. „Lübeck“ über die Lage im Vilajet Adana ergebenst zu übersenden.

Über den Bericht wird Seiner Majestät dem Kaiser bei nächster Gelegenheit Vortrag gehalten werden.


Im Auftrage
Alberts
[Anlage 1]

Abschrift.

G.B. Nr. 254.

Beirut, den 20.Mai 1909.

Geheim!

1. Die politische Lage im Vilajet Adana bei Ankunft Euer Majestät Schiff „Lübeck“.

Nach den Mitteilungen des Kommandanten Euer Majestät Schiff „Hamburg“ und des deutschen Konsuls in Mersina konnte bei Eintreffen Euer Majestät Schiff „Lübeck“ die politische Lage im Vilajet Adana als ruhig angesehen werden.

In Mersina selbst waren überhaupt keine Ruhestörungen vorgekommen - dank dem guten Auftreten der hiesigen türkischen Behörden - mehr aber noch wohl infolge des Druckes, welchen die große Anzahl von fremden Kriegsschiffen auf die Bevölkerung ausübte. In Adana selbst waren Plünderungen und Morde seit dem letzten Massakre vom 25. bis 26. April nicht mehr geschehen. Für eine Besserung des furchtbaren Elends unter den noch in den Lagern befindlichen zahlreichen Flüchtlingen - etwa 14500 - aber war von Seiten der türkischen Regierung trotz der Versprechungen des neuen Wali nicht das geringste geschehen.

2. Der neue Wali.

Wenn es zuerst so schien, als ob der neue Wali - Sihni Pascha - den guten Willen hätte, im Verein mit dem sehr tatkräftigen Truppenkommandeur - Mehmed Ali Bey - bald geordnete Verhältnisse in Adana herzustellen, so muß man nach dem, was er bis jetzt geleistet hat, leider zu der entgegengesetzten Überzeugung kommen.

Der Wali ist nur dem Namen nach Jungtürke, im übrigen aber tragen seine Handlungen den Charakter des reaktionären Alttürken: Verhandlungen werden möglichst in die Länge gezogen, Versprechungen werden nicht gehalten, und mit der größten Unverschämtheit werden unglaubliche Sachen erlogen.

Als ich dem Wali am 9. Mai meinen Besuch in Adana machte, behauptete er, daß er für die Flüchtlinge alles täte, was in seinen Kräften stände, es würden Häuser wieder hergestellt, Unterkunftsräume geschaffen und Nahrungsmittel ausgegeben - von alledem, stellte sich nachher heraus, war nicht ein Wort wahr.

Dem vorübergehend hier anwesenden englischen Admiral, Curzon Howe, sagte er auf dessen Mitteilung, daß er im Auftrage des Königs sich von dem Zustande der Stadt überzeugen sollte - das wäre nicht nötig, denn es wären nur einzelne wenige Häuser niedergebrannt. Der Admiral ging trotzdem durch die Stadt, und war so empört über den jammervollen Zustand derselben - drei Viertel bilden überhaupt nur noch einen Trümmerhaufen, wo kaum ein Stein auf dem andern steht und die Straßen völlig gesperrt sind - daß er dem Vali nachher bei seinem Gegenbesuch in deutlichen Worten der Lüge zieh.

Anliegender Auszug aus einem Bericht des Wali an die Regierung, welcher in der in Konstantinopel erscheinenden Zeitung „Stambul“ veröffentlicht ist, beweist weiter die Art, mit der hier Lügenberichte fabriziert werden.

Ein anderer Fall, welcher die Falschheit und Unverschämtheit des Wali in deutlichster Weise zeigt, ist folgender:

Ein Armenier, welcher von dem Direktor der Deutschen Baumwollfabrik, Herrn Stöckel, mit einem Auftrag auf die Felder hinausgeschickt werden sollte, wurde trotz der Zusicherung des Wali, daß alles sicher sei, von mehreren Türken in Gegenwart von Soldaten mit dem Tode bedroht. Auf die hierüber erhobene Beschwerde versprach der Wali die exemplarische Bestrafung dieser Türken und besseren Schutz. Kurz darauf aber wurde dieser ganz unschuldige Armenier ins Gefängnis geworfen, während die Türken unbehelligt blieben.

Der Konsul hat hierauf sofort in einem scharfen Schreiben die Freilassung des Armeniers gefordert, aber dieselbe unter allerlei Ausflüchten bisher - nach einer Woche - nicht erlangen können.

Die Folge von diesem zweideutigen Verhalten des Wali ist, daß sich noch kein Armenier traut, wieder an die Arbeit zu gehen. Die Flüchtlinge bleiben lieber unter den kümmerlichsten Verhältnissen in dem unter europäischem Schutz stehenden Lager, wo aber die Gefahr eines Ausbruchs von größeren Epidemien sehr groß ist und nur durch die vorzügliche Organisation und Aufsicht verhindert wird, welche durch den Kommandanten des englischen Linienschiffes „Swiftsure“ und den englischen Konsul geschaffen ist.

3. Die Untersuchungskommission.

Am 13. ist hier die aus Konstantinopel hergesandte Untersuchungskommission - 8 Personen - eingetroffen und nach einigen Stunden nach Adana weitergefahren.

Ich benutzte den Aufenthalt derselben in Mersina um sie zu begrüßen und näheres über ihre Absichten zu erfahren. Der Konsul begleitete mich und der Kommandant der „Swiftsure“ schloß sich uns an. In der kurzen Unterredung wurde von den Spitzen der Kommission, Brigadegeneral Akef Pascha und Oberst Riza Bey wiederholt betont, daß sie im Auftrage der konstitutionellen Regierung hergesandt seien, um die Ordnung wiederherzustellen. Sie würden gänzlich unparteiisch die Untersuchung führen und die Schuldigen bestrafen.

Es wurde von unserer Seite - trotzdem bisher offenkundig die Regierung nur gegen Armenier vorgeht - in der Unterredung alles vermieden, was als unberechtigte Einmischung in die türkischen Angelegenheiten angesehen werden könnte und die Hoffnung ausgesprochen, daß es dem Wirken der Kommission gelingen möge, die Sicherheit für den Handel im Lande in kurzer Zeit wiederherzustellen.

Ob diese Hoffnung berechtigt ist, kann allerdings nicht mir Sicherheit vorausgesagt werden. Es tauchen von den verschiedensten Seiten starke Zweifel, nicht an dem Willen der Kommission, aber an der Macht der Fähigkeit, ihn unparteiisch durchzusetzen, auf.

Die reaktionäre Partei ist in diesen Gebieten sehr groß, und selbst bei den Jungtürken ist der alte Hass gegen die Armenier - an welchem diese sicher durch ihre provozierende Tätigkeit und Agitation für ein unabhängiges Königreich einen großen Teil der Schuld tragen - so stark, daß der Kommission ihre Arbeit sehr erschwert wird. Ja, man hört bereits Nachrichten, daß die Türken bei dem Versuch der Kommission, Türken zum Tode zu verurteilen, sofort wieder mit den Massakres anfangen würden. Auf die hiesigen Truppen, welche bei den Massakres selbst sehr stark beteiligt waren, ist in diesem Falle kein unbedingter Verlaß. Besonders unsicher sind die syrischen Truppen, sodaß augenscheinlich aus diesem Grunde von denselben am 17. 1000 Mann forttransportiert worden sind.

4. Deutsches Hospital.

In dem Hospital, welches in der deutschen Baumwollfabrik hergerichtet worden ist, befinden sich jetzt noch etwa 40 Schwerverwundete; alle übrigen Kranken und die Leichtverletzten sind abgeschoben worden.

Ein bestimmter Fonds zur Bezahlung dieser Kosten ist mir bisher nicht überwiesen worden, während dagegen dem englischen Konsul Geld zur Verfügung steht.

Durch eine Überweisung der Schwerverwundeten an das englische Hospital - wo hier die deutschen Interessen bei weitem größer als die englischen sind - würde aber das deutsche Ansehen schwer geschädigt werden. Aus diesem Grund habe ich nach Fortgang Euer Majestät Schiff „Hamburg“ das Lazarett übernommen und die vorläufige Bezahlung der Kosten aus dem Schiffsfond befohlen. Die Kosten sind sehr gering und die Gesamtkosten des Hospitals werden voraussichtlich 1000 Mark nicht erreichen. Da die endgültige Entlassung der Verwundeten und Aufhebung des Hospitals in etwa 4 Wochen beendet ist, so werde ich die Regelung der bis dahin noch nicht von Euer Majestät Schiff „Lübeck“ bezahlten Beträge an Euer Majestät Schiff „Cormoran“ überweisen. Der sehr tüchtige griechische Bahnarzt und die beiden deutschen Schwestern aus Beirut pflegen die Verwundeten in aufopfernder Weise.

5. Unterstützung der Flüchtlinge.

Für die Unterstützung der in dem Lager untergebrachten Flüchtlinge sind nach Empfang des telegraphischen Befehls vom Reichs-Marine-Amt keine Mittel verausgabt worden außer einigem Verbandzeug an Leichtverwundete. Die Unterhaltung der gesamten Flüchtlinge fällt dem unter Vorsitzt des englischen Konsuls stehenden Hilfskomitee zur Last. Die türkische Regierung hat bisher keinen Pfennig dazu gegeben, obwohl das Parlament hierfür 20000 Pfund bewilligt hat. Da auch dem deutschen Konsul keine Mittel zur Verfügung stehen und die Not groß ist, habe ich mich am 9. Mai telegraphisch an die deutsche Botschaft in Konstantinopel gewandt mit der Bitte, die türkische Regierung zu veranlassen, daß von den bewilligten 20000 Pfund wenigstens 5000 Pfd sofort dem hiesigen Hilfskomitee überwiesen würden, da sonst von dem ganzen Gelde nichts bis hierher gelangt.

6. Tätigkeit der fremden Nationen.

a. England.

Dank ihrem außerordentlich rührigen und energischen Konsul, der nicht minder tatkräftigen Unterstützung durch den Kommandanten des „Swiftsure“ und den sofort bereitgestellten Geld- und anderen Hilfsmitteln ist es den Engländern möglich geworden, in Adana sofort an die erste Stelle zu treten und die Hilfsaktion in großem Stile einzuleiten. Daß sie dadurch auch politisch an Einfluß gewinnen, ist wahrscheinlich, es wäre jedenfalls wunderbar, wenn sie diese Gelegenheit unbenutzt vorübergehen lassen sollten, wo hier noch unendlich reiche weite Landflächen der Erschließung und rationalen Ausnutzung für Getreide und besonders Baumwollenkultur harren, und wo der bevorstehende Weiterbau der Bagdadbahn noch weiteren Segen über dieses Land ausschütten wird. So sehr man daher auf der einen Seite das opferfreudige und tatkräftige Eingreifen des englischen Konsuls rückhaltlos anerkennen muß, ohne welches Tausende von armenischen Flüchtlingen dem sicheren Tode verfallen wären und wohl auch noch das Leben anderer Europäer bedroht worden wäre, so sehr wird es doch andererseits für Deutschland nötig sein, die Tätigkeit der Engländer im Auge zu behalten, und darüber zu wachen, daß die großen politischen und kommerziellen Vorteile, welche es bisher vor allen anderen Nationen errungen hat und die noch in Aussicht stehen, nicht verloren gehen.

Von englischen Schiffen lagen das Linienschiff “Swiftsure“ hier und vorübergehend „Exmouth“ mit dem Admiral Curzon Howe, sowie drei Torpedobootzerstörer. Am 14. Mai wurde „Swiftsure“ durch den Kreuzer „Diana“ und dieser dann wieder am 15. durch die „Minerva“ abgelöst.

b. Frankreich.

Die Franzosen haben sich trotz der Anwesenheit des großen Kreuzers „Victor Hugo“ sehr zurückgehalten, obgleich auch speziell französisches Eigentum - das Jesuiten-Konvent und Schwesternheim - in Adana zerstört wurde. Der Admiral Pivet, welcher mit dem großen Kreuzer „Jules Ferry“ am 14. Mai vor Mersina eintraf, soll darüber sehr entrüstet sein und - wie mir ein Augenzeuge erzählte - den französischen Konsul wegen seiner Tatenlosigkeit in scharfer Weise zur Rede gestellt haben.

c. Amerika.

Am 15. Mai traf der große Kreuzer „North Carolina“ und am nächsten Tage „Montana“ ein, welcher dann gleich weiter nach Alexandrette gesandt wurde. Die Schiffe haben die über 6000 sm lange Strecke mit 14 - 15 sm Durchschnittsgeschwindigkeit zurückgelegt und nur in Gibraltar Aufenthalt zum Kohlen gehabt.

Von den Amerikanern sind bei den Massakres in Adana 2 Missionare getötet worden. Da ferner trotz der Zusicherung des Wali auf die unter dem Schutze der Mission stehenden Armenier geschossen wurde, so hat der Kommandant der „North Carolina“ wie er mir erzählte - bei seinem Besuch dem Wali gedroht, 500 Mann nach Adana zu schicken.

Ich halte eine solche Drohung für sehr verfehlt, da es nicht möglich sein würde, sie auch auszuführen. Der Direktor der Eisenbahn Dr. Belart, welcher für uns tut, was in seinen Kräften steht, hat mir gesagt, daß die Türken ihm versichert hätten, bei dem geringsten Versuch, europäischen Truppen nach Adana zu schicken, würden sofort die Eisenbahn und sämtliche Brücken zerstört werden. Da ferner in Adana und Umgebung 7000 Mann gut ausgerüsteter türkischer Truppen stehen, so würde ein solcher Versuch mit so geringen Mitteln elend scheitern müssen. Den Schaden hätte aber auch das deutsche Kapital der Eisenbahn zu tragen.

d. Die übrigen Nationen.

Von den übrigen Nationen waren Rußland durch das Kanonenboot „Uraletzt“, Österreich durch den Kreuzer „Zenta“ und Italien durch einen Torpedobootzerstörer vertreten.

Diese Schiffe haben Mersina in den letzten Tagen verlassen.


[Kühne]
[Anlage 2]

Abschrift.

Auszug aus Nr. 105 der in Konstantinopel erscheinenden Zeitung „Stambul“ vom 3. Mai 1909.

Telegraphischer Bericht des Mustafa Zihni Pascha, Wali von Adana.

Les commandants des croiseurs Français, Anglais, Allemands et celui du torpilleur Italien qui étaient à Mersina, sont venus aujourd’hui à Adana et m’ont présenté leurs félicitations (!!). Après avoir constaté que la sécurité régnait dans la ville, ils ont retournés à Mersina en m’exprimant leur satisfaction (!!).


Le 18. Avril/1. Mai 1909



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