1915-10-29-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R14088
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/01/2014


"Norddeutsche Allgemeine Zeitung"

"Greueltaten".



“Greueltaten”.
Lord Bryce, der sich schon dazu hergegeben hat, die Verleumdungen mit seinem Namen zu decken, die englischerseits über die angeblich von der deutschen Armee in Belgien begangenen Greueltaten verbreitet werden, hat jetzt ein neues Thema gefunden: die armenischen Greuel.

Wir können darüber zur Tagesordnung übergehen, daß Lord Bryce in einer Rede, die er über dieses Thema unlängst im Mansionhouse gehalten hat, vor der Aeußerung nicht zurückgeschreckt ist, die deutsche Regierung sei ein Meister der Verlogenheit. Da aber zu den bekanntesten und gebräuchlichsten Requisiten der englischen Politik die moralische Entrüstung über Greueltaten gehört, wenn es gilt, damit irgendwelche egoistischen Ziele zu verdecken, so möchten wir diesen Versuch, die von der englischen Regierung behaupteten Vorkommnisse in Armenien politisch auszuschlachten, damit beantworten, daß auch wir uns einmal mit Greueltaten und zwar mit englischen Greueltaten beschäftigen.

Lord Bryce hat in seiner Rede erklärt, die armenischen Massakres seien nicht nur viel schlimmer als alles, was in Belgien passiert sei, sondern als irgendwelche Massakres, von denen die Geschichte seit den Tagen Tamerlans berichte. Wir können von einem Engländer nicht erwarten, daß er sich im gegenwärtigen Augenblick an eine Bartholomäusnacht oder an russische Pogroms erinnert. Aber Lord Bryce sollte doch die Geschichte seines eigenen Landes zu gut kennen, um sich eines so gewagten Ausspruches schuldig zu machen. Ist ihm das Gemetzel von Glancoe nicht bekannt, wo die schottischen Clangenossen, nachdem sie zwei Wochen ihre englischen Meuchelmörder gastlich beherbergt hatten, mit Frauen und Kindern von diesen meuchlings überfallen und ausgetilgt wurden? Müssen wir Lord Bryce die Geschichte Irlands ins Gedächtnis zurückrufen, wo, wie General Obercromby sagte, “every crime, every cruelty that could be committet by Cossacks or Calmucks has been transacted”, (jedes Verbrechen, jede Grausamkeit, die Kosaken oder Kalmücken begehen können, begangen worden ist), wo, wie es in Clarentons “History of the civil war in Ireland” (Geschichte des Bürgerkriegs in Irland) heißt, “das Parlament verbot, den Irländern Pardon zu geben, sie zu hunderten erschoß und sie paarweise ersäufte?”. Sollen wir ihn an die zivilisatorischen Taten eines Warren Hastings in Indien erinnern?

Aber alles dies ist lange her. Daher werden einige Zeugnisse aus der neueren Geschichte willkommen sein. Die “Times” enthielt nach der Einnahme von Kertsch während des Krimkrieges eine Schilderung der dort von den englischen Soldaten verübten Greuel. Dort wurde, wie die damals noch wahrheitsliebende “Times” offen zugab, nichts getan, um die englischen Matrosen vom Plündern, Sengen und Brennen zurückzuhalten.

“Unsere Versuche, den Greueln Einhalt zu tun, - schreibt der Korrespondent der “Times” – sind von der schwächsten und verächtlichsten Art. Wenn man irgendeinen Matrosen findet, der irgendein Beutestück, Gemälde, Bücher, Hausgerät fortschleppt, so nimmt man es ihm weg und wirft es ins Meer. Die Folge davon ist, daß die Leute, wenn sie in der Stadt umherschweifen, wo niemand sie überwacht, alles in Trümmer schlagen, was ihnen in die Hände fällt.”

Der Korrespondent schildert dann weiter, wie alles sinn- und zwecklos verbrannt und zerstört wurde, mit Ausnahme des Palais des Fürsten Woronzow, der mit der englischen Familie Pembroke verwandt war, und dessen Haus aus diesem Grunde geschont wurde. So das Zeugnis der “Times”, die sich milde ausdrückte. Etwas deutlicher sind andere Berichte, die wir dem 1881 erschienenen Buche eines hohen russischen Militärs entnehmen, der unter dem Decknamen E. von Ungeny eine Charakteristik Englands und seines Heeres gegeben hat. Dort heißt es über die Einnahme von Kertsch:

“Man sah englische Seeleute und Matrosen Pianofortes und Möbel aller Art fortschleppen, Warenniederlagen plündern und selbst Kirchen nicht schonen, aus denen sogar Offiziere, die brennende Zigarre im Munde, Heiligenbilder und kostbare Gerätschaften forttrugen. Die englischen Matrosen, fast alle betrunken, vielmehr besoffen, schändeten Weiber und Mädchen, und wehe dem armen Familienvater, der sich seiner Angehörigen annehmen wollte! Mehrere Frauen wurden von ihnen aufs Schiff geschleppt, und das Haus des Gouverneurs zum Bordell umgeschaffen. Eine Amme, mit dem Säugling an der Brust, wurde von den Matrosen entführt; die Mutter ward vor Schreck und Schmerz wahnsinnig. Einem Mädchen, das seine Eltern vor den Augen töten sah, weil sie die Unschuld ihres Kindes schützen wollten, gelang es, den Klauen dieser Unholde zu entspringen. Die Gattin des griechischen Geistlichen, die Töchter des Kaufmanns Beliajeff, die Schwestern des Schullehrers Koltschan und mehrere andere wurden Opfer ihrer Brutalität. Nebstdem wurden auch manche Mordtaten verübt. Hier haben sie einen kleinen Beitrag für das beliebte Schlagwort: “Der Krieg gegen Rußland ist ein Krieg der Zivilisation gegen die Barbarei – denn so führen die zivilisierten Verbündeten Krieg.”

Ist es nicht, als ob wir in unsere Tage versetzt werden? Auch damals gab es einen Lord Bryce, es war der hochgelehrte Lord Brougham, der jeden Erfolg der Russen in Greuel ummünzte und in London ausrief: “Das ganze Land schreit nach Blut!”

Nur einige Jahre später aber, als Indien versuchte, das englische Joch abzuschütteln, ging die englische Regierung mit einer Grausamkeit gegen die Empörer vor, die das Grauen der ganzen zivilisierten Welt hervorrief. Wer gedenkt nicht der indischen Eingeborenen, die vor die englischen Kanonen gebunden und in die Luft gefeuert wurden, wer nicht der Konzentrationslager im Burenkriege mit den nach Tausenden zählenden Opfern an Frauen und Kindern?

Wir möchten aber Lord Bryce bitten, uns bis in die neueste Zeit zu begleiten. Am 26. Juni 1906 wurden in Denschawai 4 ägyptische Felachen gehängt, 8 Felachen unter freiem Himmel von riesenstarken englischen Feuerwehrleuten mit 50 Peitschenhieben halb zu Tode geprügelt, weil diese Unglücklichen es gewagt hatten, sich gegen einige englische Offiziere zur Wehr zu setzen, die bei Ausübung der Jagd eine ägyptische Frau verwundet und ein ägyptisches Gehöft in Brand gesetzt hatten. Es kam zu einem Handgemenge, bei dem es Verwundungen auf beiden Seiten gab. Einer der verwundeten englischen Offiziere starb später unter den Wirkungen der Erregung und der Anstrengungen an einem Sonnenstich. Ein Ägypter wurde von einem englischen Soldaten getötet. Auf welche Weise das angesichts dieses Tatbestandes geradezu barbarische Urteil zustande kam, erweist der Umstand, daß die Vernehmung der unter Anklage gestellten 50 Ägypter von dem zum Schutze der englischen Okkupationsarmee bestellten Spezialgerichtshofe in weniger als einer Stunde erledigt war. Die unglücklichen Felachen, die damals unter den Streichen der englischen Schergen zusammenbrachen, haben es in die Welt hinausgeschrien, was englische Freiheit, englische Zivilisation und Humanität bedeuten. Als sich selbst in England Stimmen des Entsetzens erhoben, die gegen die Vollstreckung des unmenschlichen Urteils Verwahrung einlegten, lehnte die englische Regierung durch den Mund Sir E. Greys ein Eingreifen unter dem Vorwande ab, daß sie dazu die Zuständigkeit nicht besitze. Dem liberalen Kabinett aber, das auf diese Weise zum Mitschuldigen an dem unmenschlichen Verbrechen wurde, gehörte als Staatssekretär für Irland der Greis an, der an seinem Lebensabend eine ehrenvolle politische Laufbahn damit zu beflecken sucht, daß er eine führende Rolle in dem erbärmlichen Verleumdungsfeldzug übernommen hat, den England gegen Deutschland führt, es war:


“Lord Bryce”.



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