1916-02-23-DE-006
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Quelle: DE/PA-AA/R 20051
Zentraljournal: 1916-A.S.-644
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 69
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts (Jagow) an den Botschafter in Wien (Tschirschky und Bögendorf)

Erlaß


Berlin, den 23. Februar 1916

Aus Ew. Exzellenz Meldung vom 21. d.Mts. glaube ich ersehen zu können, daß Baron Burian allen Wünschen der Bulgaren einen absoluten Widerstand entgegengesetzt hat.

Soweit Albanien in Frage kommt, dessen Constituierung zu einem selbstständigen und lebensfähigen Staat in Wien als ein eignes österreichisches Interesse angesehen wird erscheint dies verständlich. Die Bulgaren waren hierauf in Pleß auch bereits hingewiesen worden. Was dagegen die bulgarischen Wünsche auf eine Erweiterung auf ihre vertragsmäßigen Grenze auf Kosten Serbiens betrifft, so vermag ich die Gründe nicht einzusehen, die Baron Burian zu seiner rundweg abweisenden Haltung geführt haben. Vom rein formalen Rechtsstandpunkt mag die Ablehnung Baron Burians begründet sein, politisch will mir dieselbe nicht opportun erscheinen. Zunächst handelt es sich (Morawatal etc) um serbisches Gebiet, und daß hierdurch österreichisch-ungarische Interessen geschädigt werden, kann um so weniger angenommen werden, als Wien noch in keinerlei Weise verlautbart hat, was es von Serbien für sich in Anspruch zu nehmen gedenkt. Anderseits bin ich überzeugt, daß die schroffe Ablehnung ihrer Wünsche bei den Bulgaren eine tiefe Enttäuschung und Verstimmung hinterlassen haben wird. Ich vermag auch die Ansicht Baron Burians nicht zu teilen, daß die Bulgaren ihre Aspirationen nunmehr aufgegeben hätten und nicht mehr darauf zurückkommen würden. Wir brauchen aber Bulgarien weiter für unsere Politik [auf dem] Balkan und unsere dortigen kriegerischen Unternehmungen. Bei der Natur der Bulgaren und namentlich bei dem eigenartigen Charakter König Ferdinands ist es gar nicht ausgeschlossen, daß die Sofioter Politik eines Tages eine andere Seite aufzieht und sich mit unseren Gegnern verständigt. Um den Preis, Bulgarien von unserem Concern abzusprengen, würde die Entente sich gewiß nicht scheuen, ihm den von uns bisher zugestandenen Gebietserwerb ebenfalls zu garantieren. Die Entente würde Bulgarien vielleicht durch die Aussicht auf weiteren Erwerb - z.B. in Griechenland - ködern und Serbien für den Verlust durch das Versprechen einer Gebietserweiterung nach der Küste entschädigen. Was aber ein Abfall Bulgariens für uns bedeuten würde, braucht nicht länger ausgeführt zu werden. Wir haben ein dringendes Interesse daran, Bulgarien und seinen Herrscher bei guter Laune zu halten und ihnen die Verbindung mit uns auch weiter als nützlich und gewinnbringend erscheinen zu lassen. Auf einige Quadratmeilen serbischen Gebiets - die zur Zeit res nullius sind - dürfte es dabei nicht ankommen. Je mehr aber Bulgarien sich auf Kosten Serbiens bereichert, um so unüberbrückbarer dürfte sein Bruch mit Rußland und damit um so größer seine Abhängigkeit von uns werden. Daß Bulgarien durch eine weitere nicht übermäßige Gebietserwerbung zu einem für Österreich-Ungarn gefährlichen Machtfaktor werden könnte, wird doch auch in Wien kaum befürchtet werden. Im Gegenteil werden den Bulgaren durch die Verdauung rein-serbischer Gebietsteile innere Schwierigkeiten entstehen, die zunächst eher eine Schwächung bedeuten.

Ganz so unberechtigt, wie Baron Burian meint, scheint mir schließlich die bulgarische Argumentation, daß die über den Vertrag hinausgehende Waffenleistung auch eine größere Belohnung rechtfertigt, auch nicht zu sein. Wenn wir, wie Baron Burian richtig sagt, auch auf das von uns miteroberte Gebiet kaum Anspruch erheben können, so haben wir doch immerhin durch unsere Waffenhilfe das Recht erworben, darüber mitzubestimmen.

Ich hoffe, daß Baron Burian sich doch noch rechtzeitig zum Einlenken bereit findet und den auf Erweiterung ihrer vertragsmäßigen Grenze gerichteten Wünschen der Bulgaren mehr Entgegenkommen zeigen wird.

Euere Exzellenz bitte ich in diesem Sinne auf den Herrn Minister einwirken zu wollen.

Daß wir hierbei kein direktes eigenes Interesse vertreten, liegt auf der Hand; wir glauben damit aber auch keine österreichisch-ungarische Interessen zu schädigen und suchen nur im Interesse unserer gemeinsamen Gesamtpolitik zu vermitteln, um Bulgarien bei unserer Gruppe festzuhalten und dasselbe immer fester an uns zu fesseln.


[Jagow]



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