1915-06-03-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R 20187
Zentraljournal: 1915-A.S.-2851
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 06/03/1915 11:55 AM
Telegramm-Ankunft: 06/03/1915 01:30 PM
Praesentatsdatum: 06/03/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 116
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der AA-Vertreter im Großen Hauptquartier (Treutler) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht


Pleß, den 3. Juni 1915

Für Reichskanzler. Geheim.

Angesichts der sehr ernsten Lage, welche durch die Unsicherheit der Entscheidungen Rumäniens und Bulgariens in militärischer Beziehung geschaffen ist, glaubt der Herr Chef des Generalstabs verpflichtet zu sein, Euere Exzellenz zu bitten, die momentan günstige Lage des Feldzuges gegen Rußland auszunutzen und den ernsten Versuch zu machen, zu einer Einstellung der Feindseligkeiten zwischen uns und Rußland zu gelangen. Er glaubt nach früheren Aussprachen mit dem folgenden Vorschlag und der Darlegung der momentanen militärischen Verhältnisse auch die Intentionen Ew. Exzellenz zu treffen. Dem Zaren sollte, wohl durch Vermittelung des Königs von Dänemark, telegraphisch folgendes unterbreitet werden:

Przemysl ist in unserer Hand. Die dadurch freiwerdenden Truppen gehen auf Lemberg, das in absehbarer Zeit genommen werden muß. Eine neue Armee wird binnen kurzem gegen die Ostfront eingesetzt. An dieser militärischen Lage wird das eventuelle, aber angesichts unserer Erfolge nicht wahrscheinliche Eintreten Rumäniens und Bulgariens in den Krieg gegen uns ebenso wenig ändern können, als es der schon vollzogene Eintritt Italiens getan hat. Wir haben aber kein Interesse daran, Rußlands Prestige weiter zu schädigen.

Noch weniger Interesse haben wir an der Schädigung des persönlichen Prestiges des Kaisers Nikolaus, der eben erst in Lemberg Worte gesprochen hat, die ihm von schlechten Ratgebern eingegeben waren. Wir wollen nur dem sinnlosen Morden, das zwischen unseren Völkern eine Kluft schafft, ein Ende machen, ehe die Überzeugung, daß unsere Interessen sich nirgends wirklich kreuzen, völlig schwindet.

Wir schlagen deshalb vor, daß zwischen Rußland und uns die Feindseligkeiten eingestellt werden. Wir verlangen keinen Treubruch, falls Rußland sich an die Verbündeten gebunden fühle. Der Frieden braucht erst geschlossen zu werden, wenn auch unsere übrigen Gegner Frieden haben wollen oder wenn die Abmachung vom 4. September durch den Austritt eines der Verbündeten hinfällig wird.

Militärisch wäre nichts dagegen einzuwenden, daß wir serbische Aspirationen, an die Adria zu kommen, Gewähr leisten.


[Treutler]
[Antwort Bethmann Hollweg (Nr. 613) an Treutler]

Abschrift.

Nachdem der Zar vorgestern den ihm Anfang April vom König von Dänemark gemachten Vorschlag der Entsendung eines Vertrauensmannes nach Kopenhagen zur Fühlungsnahme mit uns schroff abgelehnt hat, und nachdem zu vermuten ist, daß er dabei über die vorgestrige militärische Situation ebenso gut oder ebenso schlecht unterrichtet gewesen ist, wie er es morgen über die morgige Lage sein wird, spricht die größte Wahrscheinlichkeit dafür, daß er den geplanten Vorschlag auf Einstellung der Feindseligkeiten rundweg ablehnen wird.

Sollte dies wider Erwarten nicht der Fall sein, so würde er an die Annahme des Vorschlags die Bedingung knüpfen, entweder daß wir die Feindseligkeiten gegen alle unsere Gegner einstellten, oder daß wir uns verpflichteten, unsere gegenwärtig gegen Rußland eingesetzten Streitkräfte auf keinem anderen Kriegsschauplatze zu verwenden. In jeder anderen Antwort wird heute noch der Zar eine Felonie gegen seine Bundesgenossen erblicken, die er freiwillig nicht begehen wird. Eine Zwangslage, die ihn auch wider Willen dazu nötigte, besteht aber noch nicht. Überhaupt wird er irgend welche Antwort auf einen präzisen Vorschlag an uns nur nach Beratung mit seinen Bundesgenossen abgeben. Jeder Vorschlag von uns hat also zur Voraussetzung, daß wir bereit sind, mit allen unseren Feinden auf Grund der gegenwärtigen Kriegslage Frieden zu schließen.

Ob unsere Gegner ihrerseits dazu geneigt sind, erscheint mir nach dem Losschlagen Italiens zweifelhaft. Jedenfalls wäre Frieden bestenfalls nur auf Grund des status quo ante zu haben. Ob dieser Weg etwa eingeschlagen werden muß, unterliegt ausschließlich militärischer Beurteilung.

Mit der Depesche des Zaren an König Christian koinzidiert die Rede Sasonows in der Duma, der ausdrücklich erklärt hat, einen Separatfrieden gäbe es nicht.

Äußerstenfalls könnte man König Christian sondieren, ob er den Zaren auf die durch den Fall Przemysls geschaffene neue Lage aufmerksam machen will. Das müßte aber so vorsichtig gemacht werden, daß unter allen Umständen Eindruck der Schwäche vermieden wird.

Bei der Plötzlichkeit, mit der die Stimmungen in Rußland umschlagen, könnte sich jedoch vielleicht ein besserer Moment für ein Herantreten an Rußland finden, als jetzt unmittelbar nach dem Losschlagen Italiens und der Absage des Zaren an König Christian. Ich denke dabei an weitere militärische Fortschritte in Galizien, eventuell an eine Marinediversion nach Riga und an das Fehlschlagen der jetzigen Bemühungen um Rumänien und Bulgarien. Ich gebe die Hoffnung durchaus nicht auf, diese beiden Mächte zum wenigsten neutral zu halten. Wenn ich von Riga gesprochen habe, so werde ich von der Überzeugung geleitet, daß eine Marineaktion dorthin, falls sie möglich sein sollte, als Bedrohung von Petersburg ganz Rußland außerordentlich beeindrucken würde.

Schließlich stelle ich für die Beurteilung der Gesamtlage noch folgende Gedanken zur Erwägung.

Wir können den Russen selbst bei völliger Preisgabe unserer beiden Bundesgenossen nicht erheblich mehr bieten, als das was der Zar bei einem Verbleiben bei der Entente bekommen zu hoffen berechtigt ist. Ferner würde die durch Rußland sicher erfolgende Mitteilung unserer Friedensvorschläge an Rumänien und Bulgarien von diesen als Zeichen unserer Schwäche gedeutet werden und sie unfehlbar in das Lager unserer Gegner hinüberziehen in der Befürchtung bei Verteilung der Beute zu spät zu kommen.

In welcher Weise schließlich fortgesetzt Einwirkung auf Zaren versucht wird, ist Ew. pp. aus den Mitteilungen des Staatssekretärs bekannt, die ich evtl. streng vertraulich dem General von Falkenhayn gegenüber zu verwerten bitte.


[Bethmann Hollweg]


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