1915-05-21-DE-005
Deutsch :: de
Home: www.armenocide.net
Link: http://www.armenocide.net/armenocide/armgende.nsf/$$AllDocs/1915-05-21-DE-005
Quelle: DE/PA-AA/R 20185
Zentraljournal: 1915-A.S.-2498
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Telegramm-Abgang: 05/21/1915 06:10 PM
Telegramm-Ankunft: 05/22/1915 02:20 AM
Praesentatsdatum: 05/22/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 791
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Botschafter in außerordentlicher Mission in Rom (Bülow) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht



Nr. 791.

Rom, den 21. Mai 1915

Dringend

Ganz geheim.

Kardinal Lorenzelli, alter Diplomat, ehemaliger Nuntius in München, in seiner Eigenschaft als Mitglied der Kongregation der außerordentlichen Kirchenangelegenheiten mit Frage der auswärtigen Politik der Kurie befaßt, ausgesprochen deutschfreundlich, hat mir heute zum Abschied im strengsten Vertrauen folgendes sagen lassen: Er sehe häufig Vertreter des Dreiverbandes und kenne auch eine Reihe der nichtamtlichen Vertrauensmänner, die England und Frankreich in den letzten Monaten in geheimen Missionen an die Kurie geschickt habe. Er könne Einzelheiten nicht mitteilen, da sie unter sein Amtsgeheimnis fielen. Als Freund Deutschlands halte er sich jedoch für berechtigt und verpflichtet uns vor Optimismus zu warnen. Die deutschen Staatsmänner dürften sich nicht verhehlen, daß England aufs Ganze gehe. Sir E. Grey kenne seit der Kriegserklärung kein anderes Ziel als die wirtschaftliche und politische Niederwerfung Deutschlands. Er habe die ganze konzentrische Aktion gegen uns in der Hand, und der italienisch-österreichische Krieg, der jetzt ausbreche, sei für Grey nur eine Teilunternehmung des mit brutaler Energie verfolgten Plans. England nütze den in Italien vorhandenen Haß gegen Österreich, an dessen Verschärfung die Wiener Politik ein nicht geringes Maß an Schuld trage aus, um einen augenblicklichen Zweck zu erreichen, es werde aber den Krieg nicht um einen Tag länger dauern lassen, als er ihm für seine Rechnung nützlich scheint. Diese Rechnung schließe in sich die Schonung, wenn nicht sogar Begünstigung Österreichs, wenn irgend möglich auf Kosten des Deutschen Reichs. England sei soweit gegangen, dem Vatikan zu verstehen zu geben, daß es nichts gegen die Aufrichtung eines deutschen Staatengebildes katholischen Charakters auf österreichischer Basis habe, daß es aber alle seine Kräfte daran setzen werde, das deutsche Reich unter preußischer Führung zu zertrümmern und Preußen mit einem kleinen Anhang mit ihm wirtschaftlich organisch verbundener Bundesstaaten zu isolieren. Das englische Ziel sei „die Restitution in integrum ante 1866.“ Wir sollten uns auf eine lange und erbitterte Gegnerschaft Englands einrichten und alles was in den kommenden Monaten an uns heranträte, unter dem Gesichtpunkt prüfen, ob und inwieweit England damit dieses sein großes Ziel zu fördern beabsichtige. Zum Schluß sprach sich der Kardinal dahin aus, daß ihm die Stoßkraft der Intervention Italiens jetzt schon gelähmt scheine. Das Parlament habe im Gegensatz zu sämtlichen anderen Parlamenten sich nicht einmütig gezeigt, die Stimmung in den kleinen bürgerlichen Kreisen des Landes sei gedrückt und niedergeschlagen, in Padua und Vicenza sei es dieser Tage zu starken Ausschreitungen von Mannschaften gegen Offiziere gekommen und es wäre vorauszusehen, daß wie in Lybien die Offiziere von den Kugeln ihrer eigenen Leute nicht verschont werden würden.


[Bülow]



Copyright © 1995-2024 Wolfgang & Sigrid Gust (Ed.): www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved