1915-12-01-DE-007
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Quelle: DE/PA-AA/R 20030
Zentraljournal: 1915-A.S.-5953
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 12/01/1915 03:30 AM
Telegramm-Ankunft: 12/01/1915 01:30 PM
Praesentatsdatum: 12/01/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 2834
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2019


Der Gesandte in Athen (Mirbach) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht



Nr. 2834 v. 30/11.

Pera, den 1. Dezember 1915.

Im Anschluß an Telegramm Nr. 2833.

Auch für Herrn von Treutler Nr. 165.

Enver Pascha besuchte mich heute und besprach mit mir in gleichem Sinne wie mit Oberst von Lossow die Möglichkeit der Hereinziehung von Griechenland in den Krieg. Der mazedonische Krieg könne zwar nit den dortigen Streitkräften auch ohne und selbst gegen Griechenland gewonnen werden aber es sei vorzuziehen, daß die Griechen aktiv auf unsere Seite treten. Hierauf komme es ihm als Militär allein an.

Ich fragte ihn, um welchen Preis er wohl glaube, da0 Griechenland bewegt werde, seine Küsten, Inseln und Nahrungszufuhr zu gefährden und auf unserer Seite zu kämpfen. Die griechische Hilfe, meinte er, sei nicht mehr so viel wert, einen hohen Preis dafür zu zahlen. Südalbanien genüge. Zudem ein Versprechen der Türkei, sich über die Inselfrage mit den Griechen zu einigen. Dodekanes gegen Lemnos und Mytilene. (Enver Pascha ist klug genug einzusehen, daß während des Krieges Lemnos und Mytilene bei den Griechen nicht erwähnt werden darf).

Es genüge nach Enver Paschas Ansicht, wenn Bulgarien bei türkisch-griechischen Bündnisverhandlungen ins Vertrauen gezogen wird. Wenn Griechenland mit uns geht, werde es ipso facto Bulgariens Bundesgenosse.

Enver Pascha wünscht augenscheinlich schleunige deutsche diplomatische Mitwirkung zu türkisch-griechischem Bündnis und zur Erlangung bulgarischen Einverständnisses. Er hat mit Halil Bey Angelegenheit besprochen, der einverstanden sei. Ich habe eingehend mit Enver verhandelt, ohne bestimmte Ansicht zu äußern, dabei aber wiederholt darauf hingewiesen, daß Griechenland ohne Zusicherung eines Kriegsgewinns schwerlich das Risiko auf sich nehmen würde, in den Krieg einzugreifen.

Es ist auffallend, daß alle hier vorliegenden Nachrichten über Griechenlands Wunsch nach Bündnis mit der Türkei aus türkischen Quellen stammen, keine aus griechischen. Türkischer Militärattaché Athen mag Enver in die Hände arbeiten, ohne daß dringender Wunsch nach Bündnis mit Türkei bei König Constantin besteht. Enver will Griechenland militärisch ausnutzen, ohne Rücksicht darauf, ob wir Griechenland schützen und vor Aushungerung bewahren können. Für Türkei ist Bündnis mit Griechenland wünschenswert als Gegengewicht zu Bulgarien. Auch als Vorwand, in den Balkankrieg auf nichttürkischem Boden einzugreifen und Landansprüche zu schaffen. Für uns ist im Gegenteil bulgarisches-griechisches Bündnis als Gegengewicht gegen etwaige türkischr Überhebung vorteilhafter. Aber weder Bulgaren noch Türken wollen einen Preis zahlen, um Griechenland zu gewinnen.

Es ist eine militärische Erwägung, ob wir Griechenland in den Krieg hineinziehen oder uns statt der jetzigen mit wohlwollender Neutralität begnügen sollen, wozu unerhörte Forderungen der Entente Handhabe bieten. Wir würden aber politisch die blamable Rolle, wie Entene Serbien gegenüber, spielen, wenn wir Griechenland, von uns in den Krieg hineingezogen, nicht schützen könnten, sodaß es nach Verlust der Inseln und Zerstörung der Küstenstädte durch Abschneiden der Zufuhr vom Meer nach wenigen Wochen vom Hunger bezwungen vor dem Feinde kapitulieren müßte. Die Zufuhr zu Land ist nach der mir amtlich mitgeteilten Zusammenstellung vorläufig und bis zur Instandsetzung der Eisenbahnen ausgeschlossen, sie tägliche Lieferung von 2000 Tonnen Getreide für die Dauer des Krieges auch dann wohl nicht einfach.

Schließlich warten die Balkanvölker darauf, ehe zu zueinander feste Stellung nehmen, was die Zentralmächte über das Schicksal des niedergeworfen Serbien und der im Westen angrenzenden Gebiete beschließen.

Enver Pascha will nicht abwarten bis der neue griechische Gesandte Calergis hier eintrifft, sondern möglichst bald verhandeln. Auch ich kann eine Besprechung mit Halil Bey, dem Enver Pascha unsere heutige Unterredung mitteilt, nicht lange aufschieben.

Bitte um Weisung, ob ich das türkisch-griechische Bündnis mit dem Zwecke der Hereinziehung Griechenlands in den Krieg fördern soll.


[Metternich]



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