1914-12-19-DE-003
Deutsch :: de
Home: www.armenocide.net
Link: http://www.armenocide.net/armenocide/armgende.nsf/$$AllDocs/1914-12-19-DE-003
Quelle: DE/PA-AA/R 20174
Zentraljournal: 1914--
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 12/26/1914
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Militärattaché Nr. 175
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Militärattaché in Bukarest (Günther Bronsart von Schellendorff) an das Kriegsministerium

Militärbericht



Nr. 175.

Bukarest, den 19. Dezember 1914

Abschrift.

Betrifft: Eindruck der österreichischen Niederlage in Serbien.

In den hiesigen militärischen Kreisen findet man einstweilen keine hinreichende Erklärung für den unerwarteten Umschwung der Kriegslage in Serbien. Bis vor 10 Tagen war man im rumänischen Generalstabe um so mehr von der baldigen Niederwerfung Serbiens überzeugt, als nach den nicht aus österreichischer Quelle stammenden Nachrichten der Widerstand der serbischen Armee gebrochen sein sollte, während die Meldungen über den Zustand der österreichischen Armee günstig lauteten. Man hielt es für ziemlich sicher, daß die serbischen Streitkräfte von ihrer Rückzugsstraße über Nisch abgedrängt und gegen die Donau geworfen werden würden. Was hier besonders überrascht hat, ist die Aufgabe von Belgrad, denn, so argumentiert man, die strategische und politische Bedeutung des Besitzes von Belgrad ist eine solche, daß die österreichische Heeresleitung mit Aufbietung aller Kräfte hätte versuchen müssen, den Ort zu halten. Die Tatsache, daß dies nicht geschehen ist, wird als Beweis für die völlige Auflösung des österreichischen Heeres angesehen.

Die von den Österreichern gegebene Erklärung, daß die Munitions- und Verpflegungstrains den vorwärts stürmenden Truppen nicht hätten folgen können, gilt hier nicht als stichhaltig, denn tatsächlich ist die österreichische Armee garnicht übermäßig schnell vorgerückt. In Regierungskreisen bleibt man trotz aller österreichischen Dementis bei der Meinung, daß mehrere tschechische Regimenter im entscheidenden Augenblick zum Feinde übergegangen sind. Meines Erachtens ist die plötzlich wiedererwachte serbische Offensivkraft zum Teil auf die Einwirkung russischer Unterstützung zurückzuführen, die ja gerade in den letzten Wochen sehr intensiv gewesen war.

Die öffentliche Meinung in Rumänien bekundet unverholene Freude über das Mißgeschick der verhaßten Österreicher, vor allem weil die drohende Gefahr, die freie Verfügung über die Bahnlinie Saloniki-Nisch zu verlieren, wieder in weite Ferne gerückt worden ist. Man glaubt überhaupt nicht mehr daran, daß die Österreicher in absehbarer Zeit im Stande wären, die Bahn in Besitz zu nehmen. Diese Überzeugung hat, wie zu erwarten war, eine nachteilige Rückwirkung in der Transportfrage ausgeübt. Durch das Gefühl, daß das Deutsche Reich auch weiterhin für die Zufuhren nach der Türkei auf Rumänien angewiesen sein wird, ist die Intransigenz des Finanzministers Costinescu, die bereits anfing, etwas nachzulassen, von neuem gestärkt worden.


[Bronsart
Oberstleutnant im Generalstabe und Militärattaché in Bukarest.]



Copyright © 1995-2024 Wolfgang & Sigrid Gust (Ed.): www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved