1915-11-14-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R 20027
Zentraljournal: 1915-A-33310
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 11/17/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 80
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Legationsrat an der Gesandtschaft in Bern (Berchem) an den Reichskanzler (Bethmann-Hollweg)

Bericht


Luzern, den 14. November 1915

Im Laufe eines Gespräches, das ich gestern mit dem gegenwärtig in Zizers residierenden Jesuitengeneral hatte, wies Graf Ledochowski mit Bedauern darauf hin, daß sich im Lager unserer Gegner, trotz ihrer in letzter Zeit auf allen Kriegsschauplätzen erlittenen Mißerfolge, keine ernsthaft zu nehmende Friedensströmungen entwickelt haben. Der erst kürzlich wieder von den Regierungen der Triple-Entente feierlich bekundete Entschluß, den Krieg bis zum Aeußersten durchzuhalten, basiere auf der allgemein herrschenden Ueberzeugung, daß die gegenwärtigen militärischen Erfolge der Zentralmächte durch die Ueberlegenheit der Intesa an Menschen-, Artillerie- und Munitionsmaterial in absehbarer Zeit wieder wett gemacht werden können, wobei auch die stetig zunehmende wirtschaftliche Schwächung der beiden Kaiserreiche wesentlich ins Gewicht fallen werde. Gegenüber den gegenwärtigen im Entente-Lager herrschenden Stimmungen seien diplomatische Mittel, die sich auf unterirdische Friedensströmungen oder auf hie und da in die Erscheinung tretenden Zeichen von Kriegsmüdigkeit stützten, machtlos. Sie würden lediglich dazu beitragen, unsere Gegner in der Ueberzeugung zu bestärken, daß die Zentralmächte eine längere Kriegsdauer nicht aushalten könnten. Nur weitere durchschlagende militärische Erfolge seien im Stande, in den Ring, der die beiden Kaiserreiche umgebe, Bresche zu schlagen. Sollte es letzteren, wie es den Anschein habe, gelingen, am Balkan einen wirklich entscheidenden Schlag zu führen, der neben dem Zusammenbruch der von der Entente dort geplanten Gegenoffensive auch ein aktives Eingreifen Rumäniens gegen Rußland zur Folge hätte, so glaube er, daß sich ein Umschwung in dem bisher unbeugsamen Willen unserer Gegner vollziehen und die Möglichkeit eines Friedensschlusses in greifbare Nähe gerückt sein würde.

Die Ausführungen des Grafen Ledochowski bestätigen die Eindrücke, die ich hier in letzter Zeit gewonnen habe. Man würde sich, soweit ich es von hier aus überblicken kann, einer Täuschung hingeben, wenn man den von Lord Loreburn und Lord Courtney im englischen Oberhause gehaltenen Reden eine mehr als symptomatische Bedeutung beilegen wollte. Sie sind nur vereinzelte Stimmen, die erst dann einen Widerhall finden werden, wenn die Triple-Entente nach dem Eintreten weiterer Niederlagen zu der Erkenntnis gelangt sein wird, daß die günstige militärische Lage der Zentralmächte auch durch eine weitere Fortdauer des Krieges nicht mehr ernstlich gefährdet werden könne.


Berchem



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