1915-10-02-DE-006
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Quelle: DE/PA-AA/R 20192
Zentraljournal: 1915-A.S.-5144
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 10/02/1915 03:55 PM
Telegramm-Ankunft: 10/03/1915 08:20 PM
Praesentatsdatum: 10/03/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 1297
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Marine-Attaché der Botschaft Konstantinopel (Humann) an den Admiralstab der Marine

Telegraphischer Bericht


Konstantinopel, den 2. Oktober 1915

Ganz geheim!

Bitte vertraulichst behandeln!

General von Falkenhayn:

„Wie Euerer Exzellenz bekannt, scheinen die Ententemächte zum Schutz Serbiens Griechenland zum Eingreifen gegen Bulgarien zu bewegen und mit Truppen unterstützen zu wollen.

Für derartigen Plan spricht auch die in letzter Zeit beobachtete Zurückziehung starker feindlicher Streitkräfte von der Halbinsel Gallipoli.

Ob es dem König von Griechenland gelingen wird, die Neutralität aufrecht zu erhalten, scheint mir bei Einfluss von Venizelos zweifelhaft. Der hier gemeldete Abtransport des Armeekorps von Janina nach Seres kann nur als Offensiv-Absicht gegen Bulgarien gedeutet werden, ferner scheint Frankreich griechische Mobilmachung zu finanzieren. Die Lage ist also ziemlich klar. Ich habe deshalb, um den Bulgaren den Rücken zu stärken, heute den türkischen Gesandten in Sofia angewiesen, den Bulgaren alsbaldige Unterstützung durch 200000 Mann gut fechtender türkischer Truppen angeboten, die ich freimachen kann, ohne die Dardanellen-Verteidigung zu beeinträchtigen.

Ich werde Abmarsch dieser Truppen so vorbereiten, dass er erfolgen kann,. sobald Entente-Truppen in Griechenland oder Bulgarien landen.

gez. Enver.“

Zusatz: Wie ich aus sicherer Quelle erfahre Militär-Attaché:

Enver Pascha deutet schon seit einiger Zeit den Stillstand auf Gallipoli dahin, dass die Engländer Kräfte für die Landung bei Saloniki heranziehen. Die Maßnahmen Griechenlands können als offensive Absicht gegen Bulgarien gedeutet werden, und damit auf ein Zusammengehen mit den Entente-Mächten; sie können aber auch den Zweck haben, dass Griechenland, falls die Entente-Truppen bei Saloniki und Cavalla landen wollen, nicht nur mit Worten, sondern auch mit gerüsteter Armee protestieren kann.

Heute morgen gemeldete Verbrennung einer Anzahl englischer Zelte bei Anaforta-Bucht, deutet Enver Pascha in seinem Sinne, während doch auch die Möglichkeit besteht, dass Täuschung beabsichtigt oder ansteckende Krankheiten vorhanden. Wunsch ist hier wohl Vater des Gedankens, und Wunsch türkischen Chauvinismus ist, in diesem Krieg auch die griechische Frage, soweit es sie betrifft, zu lösen, ebenso wie man die armenische Frage gelöst zu haben glaubt.

Enver Pascha hat angeordnet:

I. Durch starke nächtliche Unternehmungen soll auf Gefecht-Fronten, besonders bei Nord-Gruppe herausgebracht werden was vom Gegner noch da ist.

II. Sehr vermischte Kriegsgliederung soll geordnet und Verbände so gestellt werden, dass I. Korps mit 1.2.3. Division, II. Korps mit 4.5.6.Division, V. Korps mit 10.13.14. Division ohne Schwierigkeiten herausgezogen werden können.“

Die Dardanellen-Verteidigung wird durch dieses Ordnen der Verbände kaum geschwächt. Verlaufen die nächsten 14 Tage ruhig und mehren sich die Anzeichen für Eingreifen Griechenlands gegen uns, so werden die bezeichneten Korps herausgezogen und nördlich der Gallipoli-Halbinsel als neue Armee formiert werden. Mit diesen Massnahmen wird man sich einverstanden erklären können, weil sie sowohl der Dardanellen-Verteidigung als auch künftiger anderer Verwendung starker Kräfte gerecht werden.

Liman mit General-Kommando 3.6.14.15.16.17. Korps und der 7.8.9.11.12.15.16.19.20.24.25.26. und 42. Division würde bei Dardanellen bleiben.

Neue Armee, mit Wehib Pascha und 3 türkischen kommandierenden Generälen an der Spitze, soll, wie mir Enver Pascha nicht ohne Ironie sagte, der türkischen Eitelkeit Rechnung tragen. Hierüber braucht man sich nicht aufzuregen. Wird die Sache sehr ernst und wichtig, wird man schon noch Heranziehung Einfluss erzwingen können. Ist sie unwichtig, so ist vielleicht ganz gut, wenn Türken sehen, wie weit sie kommen, wenn sie ganz auf eigenen Füssen stehen wollen. Für operative Verwendung dieser Armee ist Artillerie-Munition unbedingt nötig.

Da Pertev Pascha mit einigen neu aufgestellten Divisionen die Schwarz-Meer-Küste schützt, ist für Feldmarschall Goltz kein Truppen-Kommando mehr verfügbar. Enver Pascha, der jedenfalls Goltz nicht verletzen will, regt an, ihn als deutsch-österreichisch-türkische militärische und diplomatische Spitze nach Persien zu schicken, um die gesamte persische Bewegung in die Hand zu nehmen. Enver würde 18. Korps mit den Divisionen 51 und 52 von der III. Armee wegnehmen und für Verwendung in Nord-Persien Goltz zur Verfügung stellen. Vielleicht ist auch Unterstellung des Irak-Korps für die nächste Zeit zu erreichen, da Voraussetzung für unsere Tätigkeit in Persien ist, dass Irak-Korps wenigstens Bagdad hält.

Sehr dankbar ist die Aufgabe zunächst nicht, doch hat Goltz immer die Unternehmung durch Persien nach Indien befürwortet. Einheitliche Leitung aller Vorgänge in Persien halte ich für dringend erforderlich und sehr vorteilhaft für später, wenn wir in Persien in leitender Stelle festen Fuss gefasst haben.

Ich glaube, dass Goltz [in] seiner Eigenschaft als deutscher Feldmarschall und türkischer Marschall mit entsprechendem Stab für Lösung dieser Aufgabe sehr geeignet ist.

Da Goltz wegen beginnender Verschiebung bei den Dardanellen Truppen bald weggeholt werden müsste, erbitte baldmöglichst Antwort unter Adresse „Germania-Etappe für Militär-Attaché“.

Gezeichnet Lossow

Schluss der Depesche.

Empfangsbestätigung erbeten.


[Humann]



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