1915-01-29-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R 20177
Zentraljournal: 1915--
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 02/06/1915
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Militärbericht Nr. 2
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Militärattaché in Athen (Falkenhausen) an das Kriegsministerium

Militärbericht


Athen, den 29. Januar 1915.

Abschrift.

Militärbericht Nr. 2.

Im Anschluss an anderweite Berichterstattung der Kaiserlichen Gesandtschaft melde ich ganz gehorsamst:

Geleitet von dem aufrichtigen Wunsche Seiner Majestät des Königs, entgegen dem Druck und den damit verbundenen verlockenden Versprechungen der Entente für ein Eingreifen, die Neutralität Griechenlands auch weiter aufrecht zu erhalten, fand am 28. Januar eine eingehende Besprechung der militärischen Lage im Palais Seiner Majestät statt, an welcher ausser Seiner Majestät dem König der Ministerpräsident und Kriegsminister Venizelos sowie der durchaus deutschfreundliche Oberstleutnant Metaxas vom Generalstab teilnahmen. Den Gang und das Ergebnis der Besprechung teilte mir Oberstleutnant Metaxas auf Veranlassung Seiner Majestät des Königs heute vertraulich wie folgt mit:

„Nach absolut sicheren Nachrichten aus Sophia, die sich auf eine Mitteilung des dortigen österreichischen Gesandten gründen sollen, stehe eine starke österreichische Armee von 10 Divisionen - ungefähr 120000 Mann - bereit, um in Serbien einzufallen. Eine weitere sichere Nachricht besage, dass Bulgarien die Absicht habe, in Serbien einzurücken und Neu-Serbien zu besetzen, sobald die österreichische Armee nach Niederwerfung der Serben sich der bulgarischen Grenze nähern werde.

Eine Erwägung Griechenlands unter diesen Gesichtspunkten müsse zu dem Eergebnisse führen dass Griechenland auf diese Weise auch gegen seinen Willen gezwungen werde einzugreifen und einen Teil von Neu-Serbien zu besetzen. Es stünden sich dann, d.h. nach der Zertrümmerung Serbiens, die österreichische Armee, die bulgarische und die griechische gegenüber. Aus diesem Grund schon, selbst wenn Bulgarien und Griechenland nur die ihnen eventuell vom Zweibunde zugewiesenen Teile Neu-Serbiens besetzten, würde Österreich kaum Truppen aus Serbien nach einem anderen Kriegsschauplatze ziehen können. Denn Österreich müsse ja trotz allen Wohlwollens die griechische Armee als zu der Entente hinneigend ansehen, da Griechenland im gegenwärtigen Augenblick ohne Selbstmord zu begehen, sich unter keinen Umständen den Anschein geben darf, als ob es zum Zweibund neige. Des weiteren müsse Österreich immer darauf gefasst sein, dass Bulgarien sich nicht mit dem den ihm vom Zweibund zugebilligten Teile Neu-Serbiens zufrieden geben, sondern weitere Ansprüche erheben werde; sichere Nachrichten aus Petersburg, Paris, London und Sophia liessen ein solches Vorgehen Bulgariens zum mindesten als wahrscheinlich erscheinen.

Bulgarien erstrebe ebenso wie Serbien die Führung der Südslaven und werde eine Gelegenheit, diese an sich zu reissen, nicht vorübergehen lassen. Beide Staaten hielten sich bisher die Wage, wie dies im Interesse Österreichs wie Griechenlands lag. Für die Zukunft muss Griechenland jedoch schon jetzt daran denken, keinen zu starken Nachbar im Norden zu bekommen, also kein zu mächtiges Bulgarien. Hieraus ergebe sich, dass, wenn Bulgarien ausser den vom Zweibunde zugebilligten Teilen Serbiens noch weitere Gebiete in Besitz nehmen wollte, ein Konflikt mit Griechenland unvermeidlich erschiene. Griechenland glaube in diesem Falle mit ziemlicher Sicherheit auf die Mithilfe Rumäniens rechnen zu können, für welches die gleichen Gründe massgebend seien.

Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Bulgarien, nachdem es die ihm vom Zweibund zugeteilten Gebiete besetzt hätte, sich gegen die Türkei wende; auch in diesem Falle werde Griechenland gezwungen sein, Bulgarien anzugreifen und werde auch hierbei auf Unterstützung durch Rumänien rechnen können. Nach Niederwerfung Bulgariens werde dann aber für Griechenland der Weg nach Konstantinopel offen stehen; es werde dann kein Halten mehr geben und Griechenland werde diesen Weg gehen müssen; auf die Unterstützung durch die Entente sei dann in jeder Richtung zu rechnen, da für diese zur Hebung des schon jetzt in England vorhandenen Getreidemangels die Oeffnung der Dardanellen und des Bosporus allmählich zu einer dringenden Notwendigkeit werde.

Trotz alledem habe aber Griechenland den festen Vorsatz, jeden Zwang zur Aufgabe der Neutralität zu vermeiden. Um diesen Vorsatz durchführen zu können müsste aber ein Angriff auf Serbien so lange vermieden werden, bis auf einem der Hautkriegschauplätze eine Entscheidung gefallen ist. Dies liege ganz in der Hand des Zweibundes, der nach einer Entscheidung im Osten oder Westen in Anbetracht der grossen Zahl der dann freiwerdenden Truppen die Macht habe auf dem Balkan zu tun was ihm beliebe. Man glaube aber dass bereits ein durchschlagender Erfolg des Zweibundes auf einer der beiden Hauptfronten den völligen Zusammenbruch der Entente und damit den Frieden bedeuten werde.

Eine Benutzung des jetzigen Augenblicks durch Griechenland, um seine Rechnung mit der Türkei zu regeln, würde sicher die weitgehendste Unterstützung der Entente finden. aber auch daran denke Griechenland nicht, da es neutral bleiben wolle und mit Sicherheit darauf rechne, dass Deutschland für jetzt und für die Zukunft dafür sorgen werde, dass das griechische Element in der Türkei frei und ohne fortgesetzte Verfolgung leben könne. Man habe aus deutschen Kaufmannskreisen erfahren, dass von Deutschland die Vernichtung des griechischen Elements in der Türkei wegen der Konkurrenz gewünscht werde. Ein Grund hierfür könne nicht gefunden werden; der Deutsche sei Großkaufmann, der Grieche Kleinhändler, beide könnten gut nebeneinander bestehen, ja seien sogar auf einander angewiesen und könnten der Eine ohne den Andern nicht bestehen, wie dies zum Beispiel ähnliche Versuche Englands in Aegypten gezeigt hätten.

Auch in Griechenland selbst sei für den deutschen Kaufmann ein reiches Arbeitsfeld. In der Vergangenheit hätten nur England und Frankreich hier wirklich und mit allen Mitteln gearbeitet. Das deutsche Element habe gegen die übermächtige französisch-englische Propaganda nicht aufkommen können, obwohl man die Güte der deutschen Waren kennt und die deutschen Waren braucht.

Schliesslich sei Griechenland nicht nur auf kommerziellem Gebiete, sondern auch in Bezug auf seine Wehrmacht ein Faktor geworden, den in Rechnung zu ziehen sich in Zukunft lohne. Seine aktive kriegsstarke Armee ohne Reserveformationen, habe bereits jetzt eine Stärke von rund 270000 Mann; in wenigen Jahren werde Griechenland mit Reserveformationen 400000 Mann aufstellen können; dazu käme noch die Flotte. Der Grund, dass Deutschland mit der den Griechen unfreundlich gesinnten Türkei jetzt verbündet sei, schliesse nicht aus, auch mit Griechenland nach dem Frieden in engere Beziehung zu treten um so für alle Fälle einen aufstrebenden Staat am Mittelmeer zu haben.

Versprechungen auf Gebietserweiterungen in Kleinasien hätten für Griechenland jetzt weder Reiz noch Nutzen; die Hauptsache sei jetzt die innere Festigung, in welcher es seine Stärke suche.

Nach alledem erscheine es klar, welchen Weg Griechenland nach dem Frieden zu gehen wünsche; jetzt könne es nicht mehr tun, als seine Neutralität wahren; denn ein Krieg gegen die Entente würde die Vernichtung Griechenlands bedeuten, es würde unter den Kanonen des englisch-französischen Geschwaders verhungern. Zur Wahrung der Neutralität sei Griechenland fest entschlossen, doch müsse ihm der Zweibund hierbei dadurch helfen, dass er mit allen Mitteln zu vermeiden sucht, dass Griechenland gegen seinen Willen aus der Neutralität heraustreten muss. Dies könne, wie vorher ausgeführt, in der Hauptsache dadurch erreicht werden, dass ein Vormarsch gegen Serbien vorläufig aufgeschoben und Bulgarien solange als möglich von jedem Eingreifen abgehalten werde.


[Falkenhausen
Hauptmann und Militär-Attaché]



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