1915-04-21-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 22404
Zentraljournal: 1915-A.H.-1746
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 04/23/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 36
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Das Auswärtigen Amt an den AA-Vertreter im Großen Hauptquartier (Treutler)

Telegraphischer Bericht



Nr. 36.

Berlin, den 21. April 1915

2 Anlagen.

Nebst Anlage abschriftlich Seiner Exzellenz dem Königlichen Gesandten im Allerhöchsten Gefolge Herrn von Treutler Grosses Hauptquartier zur gefälligen vertraulichen Kenntnisnahme ergebenst übersandt.


Anlage 1


Abschrift A S 1705.

Kaiserlich Deutsche Botschaft.


Pera, den 13. April 1915

1 Anlage

Ganz geheim.

Euerer Exzellenz habe ich anderweitig zu berichten die Ehre gehabt über Äußerungen des Generalfeldmarschalls Freiherrn von der Goltz, welche derselbe unter anderen auch Enver Pascha gegenüber bezüglich der deutsch-türkischen Bundesgenossenschaft getan hat. Im Anschluß hieran überreiche ich eine Aufzeichnung des Korvettenkapitäns Humann über eine Besprechung, welche derselbe vorgestern mit dem Kriegsminister gehabt hat und in welcher die Eindrücke der erwähnten Äußerungen niedergelegt sind.

Ich bemerke hierbei gehorsamst, daß ich durch Herrn Humann öfters solche Mitteilungen an Enver gelangen lasse, welche sich für Übermittelung durch mich bezw. für den amtlichen Weg nicht eignen. Auch pflegt sich Enver bei den persönlichen intimen Beziehungen zu Humann diesem gegenüber offener auszusprechen, als er es sonst tun würde.


[Frhr. von Wangenheim]

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg.

Anlage 2


Abschrift zu A.S. 1705.

Besprechung mit Enver 11.4.

Enver Pascha ist sehr betrübt über die Mitteilungen, die ihm Goltz-Pascha über sein Gespräch S.M.-Plessen gemacht hat. Ihr Eindruck war umso stärker, als gerade kurz vorher Djavid Bey, im Anschluß an seinen Bericht über die Zusammenkunft in Genf, ganz ähnliche Eindrücke aus Deutschland gemeldet hatte: Verständnis für die deutsch-türkische Politik hätten nur die maßgebenden (d.h. die veranlassenden, verantwortlichen!) Stellen des Auswärtigen Amts, im Publikum jedoch und besonders in Militärkreisen sei man der Ansicht, daß sich Deutschland mit dem türkischen Bundesgenossen einen Klotz ans Bein gebunden habe und nun außer Österreich auch noch die Türkei durchholen müsse. Er habe damals seine ganze Überredungskunst aufbieten müssen, um dem Komitee klar zu machen, daß dies tendenziöse Irreführungen seien, oder wenigstens Folgeerscheinungen der Unterredungen in Lausanne. Es sei ihm nicht leicht geworden, seine Kollegen zu überzeugen, denn die Angebote der Vertreter Frankreichs seien nicht schäbig: Garantie des jetzigen Besitzstandes der Türkei durch alle Mächte der Triple Entente, wofür die Türkei nur die Meerengen für die Handelsschiffahrt (ausdrücklich: nicht für Kriegsschiffe) zu öffnen habe.

Die Mitteilungen Goltz-Paschas seien für ihn geradezu niederschmetternd gewesen, denn der General von Plessen sei einer der intimsten und einflußreichsten Berater des Kaisers, außerdem in der ganzen Armee hoch angesehen.

Für ihn sei dieser Vorwurf sehr bitter, denn abgesehen davon, daß er die Verantwortung für diese Politik und diesen Krieg fast allein auf sich genommen, habe er doch seinem Lande ungeheure Opfer auferlegt und kein Mittel gescheut, um seinem Bundesgenossen eine wirkliche Hilfe zu sein. Er habe, wo er gekonnt, mit vollen Händen gegeben und selbst das Losschlagen der Türkei nicht dem eigenen Ermessen, sondern dem des führenden Bundesgenossen unterstellt.

Dem großen Österreich habe er sogar Haubitzbatterien und Gebirgsbatterien abgelassen, die vor dem Krieg in Deutschland bestellt und bezahlt, aber hier noch nicht abgeliefert waren.

1223000 Mann habe die Türkei trotz aller Kriege der letzten Epoche jetzt unter die Fahnen gesammelt und durch eine Neuorganisation ist es ihm gelungen, noch 60 Bataillone Gendarmerie neu aufzustellen und in der Front zu verwenden. Man hat ferner, um eine schlagkräftige Front zu schaffen, eine umständliche und kostspielige Umorganisation der Bewaffnung vorgenommen, indem die vorhandenen 720000 kleinkalibrigen Gewehre an die eigentliche Gefechtstruppe verteilt wurden, während die älteren Gewehre an die Kolonnen, Bagagen, Garnisonsbesatzungen pp. gingen.

Der Kriegsschauplatz im Kaukasus, der in erster Linie die deutsche Ostarmee entlasten sollte, muß von hier aus in einer Entfernung von 1500 km alimentiert werden! Als der Mangel an Beförderungsmitteln und die schlechten Wege die Zufuhr der Kaukasusarmee in Frage stellten, hat er 50000 Träger in den Dienst dieser Aufgabe gestellt! Keiner von den hier befindlichen deutschen Offizieren wird behaupten können, daß er auch nur annähernd diese Leistung der türkischen Mobilisation erwartet habe. Aber auch nur wenige von uns werden wissen, welche ungeheuren Opfer er damit dem Lande auferlegt hat.

Daß viele törichte Kritiken über die Leistungen der Türkei hier von deutschen Offizieren gefällt werden, ist ihm bekannt. Trotzdem dies nicht schön ist, nimmt er es nicht tragisch; das sind Wirkungen aus der Unmittelbarkeit des Krieges und begreiflich bei einzelnen aus einem reichen und verwöhnten Volke wie das deutsche. Wenn der Kaukasus z.B. keine schönen Quartiere und keine angenehmen Lebensverhältnisse biete, so sei das nicht seine Schuld, aber ein Verdienst der Türkei, daß sie sich nicht scheut, auch dort einen für das gemeinsame Ziel der Verbündeten nützlichen Krieg zu führen.

Enver betonte zum Schluß, daß diese ganzen Ausführungen für ihn sozusagen nur einen Affektionswert haben, etwas ganz persönliches sind. Sachlich ändere sich für ihn trotz des Ärgers nichts an der ganzen Sachlage. Solange er die Macht in den Händen habe, würde die Türkei treu zu ihrem Bundesgenossen stehen und nach wie vor alles aufbieten, um dem gemeinsamen Kriegsziel zu dienen. Große Dinge könne man seiner Ansicht nach im Leben nur erreichen durch eine entschiedene Stellungnahme. Das sei auch sein Hauptargument gewesen bei der Erörterung im Kabinett über die Genfer Vorschläge. Es sei ein alter Weisheitsspruch, daß Untreue nur kurzen und vorübergehenden Erfolg bringt, auf die Dauer aber immer Schicksals-Vergeltung und Nachteil.


[Humann]



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