1915-10-05-DE-011
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon 97/Nr. 26-27
Botschaftsjournal: 10-12/1915/7882
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: B
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an das Auswärtige Amt

Bericht



Pera, den 5. Oktober 1915.

Auf den Erlaß vom 15. v.Mts. No IIIc 16017/131953.

Der Dr. med. Roupen Tschilinguirian, eine in den hiesigen Armenischen Kreisen bekannte Persönlichkeit, wurde mit vielen anderen Armeniern am 24. April d.Js. verhaftet, um nach Anatolien verbannt zu werden (vgl. hierüber Bericht Nr. 267 vom 30. April). Er hatte in Azadamart, dem hiesigen Organ der Partei Daschnakzutiun, Artikel medizinischen Inhalts und lyrische Gedichte veröffentlicht, von denen eines als Allegorie auf die Massakres von Adana betrachtet wird. Außerdem war er mit einem gewissen Varnschan, der als Dichter der Armenischen Massakres bezeichnet wird, befreundet. Diese Umstände waren der Grund seiner Entfernung aus der Hauptstadt. Ursprünglich sollte er nach Ajasch bei Angora verschickt werden, wo die schwerer belasteten Persönlichkeiten untergebracht und zum Teil in Polizeihaft gehalten wurden; auf diesseitige Verwendung wurde er in Tschangri (Kiangri) interniert, wo die Verbannten sich frei bewegen und ihren Berufen nachgehen konnten.

Frau Dr. Tschilinguirian und ihre Mutter, Frau Apell, haben dann Schritte unternommen, um für den Genannten die Erlaubnis zur Rückkehr hierher und zur Übersiedlung nach Deutschland zu erwirken. Die türkischen Behörden lehnten indes beides ab, weil sie - wie aus den Äußerungen der betreffenden Beamten hervorging - den Dr. Tschilinguirian für einen jener "Intellektuellen" hielten, deren Einfluß auf die Massen sie fürchteten. Wie Frau Apell hier angab, hatte zwar der bekannte Polizeipräfekt Bedri bej geäußert, daß dem Dr. Tschilinguirian unter genügender Garantie für sein Wohlverhalten die Reise nach Deutschland gestattet werden könnte, doch hat Bedri bej, als er von einem Beamten der Kaiserlichen Botschaft darüber befragt wurde, jede dahin gehende Äußerung in Abrede gestellt.

Schließlich versuchten noch die beiden Damen für den Dr. Tschilinguerian die Erlaubnis zu erwirken seinen Aufenthalt in Angora zu nehmen, als hier am 26. August ein Telegramm von ihm einging, daß er denselben Tag nach Ajasch überführt werden sollte. Das Ministerium des Innern gab auf die diesseitigen Schritte hin sofort telegraphische Anweisung den Genannten in Tschangri zu belassen, bezw. ihn dorthin zurückzubefördern. In Beantwortung dieses Telegrammes meldete dann der Gouverneur von Tschangri unter dem 30. August, daß der Dr. Tschilinguirian, nachdem er am 26. desselben Mts. Tschangri verlassen hatte, in der Nähe von Kaledjik von Wegelagerern angefallen und umgebracht worden war, sowie daß vier von der aus 12 Individuen bestehenden Bande durch die Behörden festgenommen waren. Erst nach wiederholten Anfragen und nach Verlauf von mehreren Tagen teilte das Ministerium diese Nachricht hierher mit; Frau Tschlilinguirian ist daraufhin mit Hilfe der Kaiserlichen Botschaft, die sich zu diesem Zwecke mit dem Kais. Generalkonsulat in Verbindung gesetzt hatte, am 16. v.Mts. mit ihrer Mutter, Frau Apell, und ihren beiden Kindern nach Deutschland abgereist, ohne weiter von den türkischen Behörden belästigt zu werden.

Der Verdacht liegt nahe, daß der Überfall, dessen Opfer der Dr. Tschilinguirian geworden ist, von Anhängern des Komités veranlaßt und von den Behörden geduldet, wenn nicht begünstigt worden ist, doch ist es nach Lage der Sache ausgeschlossen einen positiven Beweis hierfür beizubringen und auch das gegen die Mörder eingeleitete Verfahren dürfte diesen Punkt nicht aufhellen. Im Übrigen hat das Ministerium auf diesseitigen Antrag Weisung gegeben, den Verbleib der im Besitze des Verstorbenen befindlich gewesenen Wertsachen und Gegenstände festzustellen, und was noch aufzufinden ist, behufs Aushändigung an die Witwe hierher einzusenden.

Wenn Frau Apell in ihren brieflichen Mitteilungen an ihren Mann erwähnt, daß ihr und ihrer Tochter die erbetene Hilfe der Botschaft "in gewissem Grade", also wohl nach ihrer Auffassung nicht in genügendem Maße zuteil geworden sei, so übersieht sie, daß die Verwendung der Botschaft für ihre Tochter und ihren Schwiegersohn, die beide türkische Untertanen waren, sich nur auf nicht offizielle Vorstellungen bei den Behörden beschränken mußte. In dieser Hinsicht ist diesseits Nichts unterlassen worden, und Frau Apell und ihre Tochter sind bis zu ihrer Abreise in allen ihren Angelegenheiten mit Rat und Tat unterstützt worden.


[Wangenheim]


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