1916-10-05-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R 20204
Zentraljournal: 1916-A.S.-3576
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 10/05/1916 11:30 PM
Telegramm-Ankunft: 10/06/1916 12:18 AM
Praesentatsdatum: 10/06/1916 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 14977 P.
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Das Auswärtige Bureau (Ludendorff) an das Auswärtige Amt

Telegraphisches Schreiben.


Pleß, den 5. Oktober 1916

Abschrift.

Exzellenz Ludendorff läßt telegraphieren:

„Oberst Gantschew behauptet steigende Mißstimmung in Bulgarien gegen Österreich-Ungarn und sucht damit Frage endgültiger Festlegung bulgarisch-österreichischer Grenze in Nord-Serbien anzuschneiden. Österreich solle westlichen Höhenrand Morava-Tales großmütig an Bulgarien überlassen, um Stimmung wiederzugewinnen. Ohne vorläufig auf die Angelegenheit einzugehen, wäre ich zu meiner Orientierung Euerer Exzellenz für Mitteilung dankbar, ob irgendwelche politische Abmachungen zwischen Österreich und Bulgarien betreffs Serbien und Albanien getroffen sind; welche Absichten Österreich mit Serbien, Montenegro und Albanien verfolgt, und ob es hierzu die Zustimmung Deutschlands hat. Unsere Waffen haben bei der Eroberung Serbiens die Hauptarbeit geleistet und dadurch Österreich und Bulgarien überhaupt erst die Möglichkeit verschafft, auch Montenegro und Albanien zu erobern. Deshalb haben wir das Recht und die Pflicht, in allen Fragen über die Zukunft der eroberten Balkanländer ein entscheidendes Wort mitzusprechen.

Durch das Verhalten Österreichs in der polnischen Frage wird diese Verpflichtung noch größer. Als Hauptargument für die ablehnende Haltung, die es gegen die Proklamierung eines einheitlichen Polens behufs alsbaldiger militärischer Ausnutzung der Volkskraft unter alleiniger deutscher Leitung einnimmt, führt Österreich an, das K.u.K. Verwaltungsgebiet Lublin sei das einzige Faustpfand, das es gegenüber den von den Russen besetzten Gebieten Galiziens und der Bukowina noch habe. Wir dürfen daher nicht dulden, daß Österreich über die Faustpfänder, die es auf dem Balkan besitzt, ohne unser Zutun verfügt, müssen vielmehr uns die Sicherheit verschaffen, daß diese Balkan-Faustpfänder für einen Ausgleich mit Rußland uns nicht aus der Hand gleiten.

Nr. 14977. P.“


[Bureau Auswärtig Pleß]
[Jagow am 8. Oktober an Grünau (Nr. 1233)]

Abschrift.

Für General Ludendorff: Auf Nr. 14977 p.

Die Österreicher haben mit Bulgarien am 6. September 1915 eine convention secrète gleichen Inhalts abgeschlossen wie wir. § 1 dieser Konvention garantiert Bulgarien u.a. den Erwerb des serbischen Gebiets östlich der Morawa von der Donau bis zur Vereinigung der bulgarischen und serbischen Morawa. Am 1. April 1916 ist durch Vermittelung des Generals von Falkenhayn das Übereinkommen der österreichisch-ungarischen und bulgarischen Obersten Heeresleitung über Abgrenzung des beiderseitigen militärischen Befehls- und Verwaltungsbereichs zustande gekommen. Weitere Abmachungen zwischen Österreich und Bulgarien über Serbien und Albanien sind uns nicht bekannt und dürften auch nicht getroffen sein.

Angesichts der wechselnden militärischen und politischen Lage hat Österreich ein festes Programm für die Behandlung Serbiens, Montenegros und Albaniens bisher nicht aufstellen wollen.

Besonders hat Wien bei Erörterung des serbischen Problems uns gegenüber immer vertraulich hervorgehoben, daß ein Friede mit Rußland, welches wegen Serbiens den Krieg angefangen habe, schwer erreichbar sein würde, ohne die Wiederherstellung wenigstens eines verkleinerten Serbiens und daß es diese Friedensmöglichkeit nicht durch vorzeitige Entschlüsse präjudizieren wolle. König Ferdinand von Bulgarien ist dagegen stets sehr entschieden für ein vollständiges Verschwingen Serbiens eingetreten. An eine wirkliche Annexion scheint Österreich-Ungarn nur bezüglich gewisser Grenzgebiete Serbiens, wie Belgrads und der Matchba zu denken. Hierbei spricht das Widerstreben Ungarns mit, die schon vorhandene serbische Bevölkerung zu sehr zu vermehren. Ferner denkt Wien an eine Annexion des Lowzen, möchte aber Albanien autonom unter österreichischem Einfluß lassen, weil die Albanesen auf diese Weise am besten zu regieren. Für letztere Lösung ist auch die Türkei, welche besonders einer Annexion Albaniens durch Bulgarien widerstrebt. König Ferdinand hat zu Anfang entschieden eine Annexion Albaniens an Bulgarien oder wenigstens eine Personal-Union gewünscht und erstrebt sie, trotz Ableugnens wohl auch jetzt noch. Der König hat bei seinem Winterbesuch in Pleß erweiterte Annexionswünsche vorgebracht, die vom westlichen Morawathal ausgehend bis weit nach Albanien (Prisren und Elbassan) hineinreichten. Albanien wäre damit seiner besten Teile beraubt worden und auf einen nicht sehr breiten Küstenstreifen reduziert worden (der nach den Ideen des Königs wohl später von selbst auch Bulgarien hätte zufallen müssen). In Wien hat der König damals vom Morawathal nicht gesprochen, wohl aber von Prisren und Elbassan und ist dabei auf Widerstand Baron Burians gestoßen, worüber König sehr verstimmt war. Die Türken müssen von den albanesischen Plänen des Königs Wind bekommen haben, wenigstens protestierte der türkische Botschafter damals bei mir sehr energisch dagegen. Oberst Gantschew scheint den Moment jetzt für gekommen zu erachten, um die Annexionspläne des Königs allmählich wieder aufzunehmen.

Angesichts dieser heterogenen Wünsche und mit Rücksicht auf die zweifellos zu erwartende Forderung Rußlands betreffs Serbiens wird die künftige Gestaltung des Balkans von der weiteren Entwickelung des Krieges abhängig zu machen sein. Wir werden dabei selbstverständlich ein entscheidendes Wort mitsprechen und auch zu berücksichtigen haben, daß an der Balkanfrage sich etwa bietende Verständigungsmöglichkeit mit Rußland nicht scheitern darf. Dies ist von uns in Wien schon wiederholt nachdrücklich betont und dort auch voll anerkannt worden.

Ich möchte dringend empfehlen, Oberst Gantschews politische Anzapfungen möglichst dilatorisch zu behandeln oder ihn auf den diplomatischen Weg verweisen. Andernfalls würde unsere taktische Position gegenüber Bulgarien bedenklich geschwächt werden. Hinzu kommt die bekannte Unzuverlässigkeit des Herrn Gantschew.

Sachlich darf ich bemerken, daß es schon sowieso nicht leicht sein wird, Bulgariens territoriale Aspirationen in Serbien, Rumänien und eventuell in Griechenland beim Friedensschluß auf ein verständiges Maß zurückzuschrauben. Diese Aufgabe würden wir uns durch neue Zusagen weiter erschweren, was gerade im Hinblick auf die Möglichkeit eines Ausgleichs mit Rußland, wenn irgend tunlich, vermieden werden sollte.

Ich bemerke noch, daß Herr Radoslawow in Pleß sich namentlich hinsichtlich albanischer Gebietsteile viel gemäßigter als sein König zeigte.



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