1915-05-22-DE-005
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Quelle: DE/PA-AA/R 20185
Zentraljournal: 1915-A.S.-2510
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Telegramm-Abgang: 05/22/1915 03:10 AM
Telegramm-Ankunft: 05/22/1915 09:00 AM
Praesentatsdatum: 05/22/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 1189
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht



Nr. 1189.

Konstantinopel, den 22. Mai 1915

Antwort auf Telegramm Nr. 987 {A.S. 2462]

Die türkische Regierung hatte bisher an den Ausbruch eines Krieges mit Italien nicht glauben wollen, besonders weil Marquis Garroni die Kriegsgefahr bestritt. Er hält den Riß auch heute noch nicht für unheilbar. Nunmehr werden die türkischen Kreise von der Ansicht beherrscht, daß Deutschland u. Österreich einem italienischen Angriff leicht Stand halten werden, während die Türkei wegen der Gefahr einer italienischen Landung in Kleinasien, wegen der Rückwirkung des italienischen Vorgehens auf die Balkanstaaten und wegen der Ermutigung der revolutionären Elemente in der Türkei die Hauptleidtragenden sein werden. Trotzdem hält der Ministerrat, voran Enver und auffallenderweise jetzt auch der Großwesir, mit imponierender Entschlossenheit daran fest daß das Schicksal der Türkei unlösbar mit dem deutschen verknüpft ist und daß letzteres bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone im Sinne unseres Bündnisses sich einsetzen werden. Die Minister sind entschlossen wenn es der allgemeine Kriegszweck erfordert, die Gefahren und Nöte auf sich zu nehmen, denen die Türkei durch das Eingreifen Italiens ausgesetzt wird. Wir können darauf rechnen daß die jungtürkische Partei deren Stellung gegenwärtig unerschütterlich erscheint, ihre Haltung unseren Wünschen anpassen wird. Sie ist allerdings davon durchdrungen daß die schwierige Lage der Türkei nur dadurch entstanden ist daß Österreich sich von den Serben hat schlagen lassen. Sie glaubt sich deshalb berechtigt, von Österreich zu verlangen, daß es Opfer bringe welche der Türkei eine wirksame Fortsetzung des Kampfes ermöglichten. Wenn Serbien jetzt nicht geöffnet werden kann so müsse Österreich durch Konzessionen, selbst territorialer Natur, die Munitionszufuhr durch Rumänien ermöglichen.

Nach dem Urteil der maßgebenden Stellen, auch des Generals Bronsart von Schellendorff, wird jetzt täglich in den Dardanellen mehr Munition verbraucht als die hiesige Munitionsfabrik nachliefern kann. Wenn in demselben Tempo weitergekämpft wird, ist die Munition, besonders der Feldgeschütze, in drei höchstens vier Wochen erschöpft. Durch Verzicht auf Versuche, die Gegner von der Gallipoli-Halbinsel zu vertreiben, wenn die Verbündeten keine erhebliche Verstärkung bekommen, wenn keine russische Landung auf der Schwarzen Meerseite erfolgt und wenn es gelingt, eine gewisse Anzahl von Geschossen durch Rumänien hindurchzuschmuggeln, so kann die Dardanellenverteidigung etwas länger, vielleicht über zwei Monate durchhalten. Dann würden jedoch die Dardanellen fallen und die Verteidigung von Konstantinopel aussichtslos sein. Die Türken würden sich dann ins Innere Kleinasiens zurückziehen, wohin die Gegner nur schwer folgen könnten. Der militärische Wert der Türkei wäre dann für uns gleich Null, die Expeditionen gegen Egypten und Persien sowie die revolutionäre Aktion in Transkaukasien müßte aufgegeben werden. Die Türkei würde aber weiter darauf rechnen, daß Deutschland keinen Frieden schlösse, welcher nicht den status quo an den Meerengen wiederherstellte. Solange es gelingt, eine regelmäßige Munitionszufuhr sicherzustellen, kann die Türkei allen Angriffen auf die Dardanellen nach Ansicht der Sachverständigen ad infinitum stand halten. Enver hat heute …[Gruppe fehlet]…, mit der Munition werde er sich schon bis auf weiteres durchschlagen. Viel wichtiger für ihn sei, daß die Balkanstaaten ruhig bleiben. Österreich sei moralisch verpflichtet, Rumänien im Interesse der Türkei entgegenzukommen. Auf Bulgarien sei kein Verlaß. Dieses werde erst angreifen, wenn der Ausgang des Krieges sicher gestellt sei. Es sei überflüssig von einer Expedition gegen Serbien zu reden, da Österreich ohne Bulgarien nichts unternehmen wollte und da Bulgarien eben nicht zu haben sei. Wenn unsere Offensive in Galizien nachdrücklich fortgesetzt und Italien so rasch als möglich entscheidend geschlagen werde, so sei noch nichts verloren. Sei dagegen nur eine Defensive gegen Italien beabsichtigt, so wäre ein stärkeres Anfassen der Balkanstaaten zwingend notwendig, da diese sonst dem Beispiel Italiens folgen würden. Näheres ergibt das Telegramm Envers [s. Dok. 1915-05-22-DE-006] an Herrn von Falkenhayn.


[Wangenheim]



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