1915-04-21-DE-006
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Quelle: DE/PA-AA/R 20184
Zentraljournal: 1915-A.S.-
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 05/02/1915
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Militärbericht Nr. 42
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Militärattaché in Athen (Falkenhausen) an das Kriegsministerium

Militärbericht


Athen, den 21. April 1915
Militärbericht Nr. 42.

Die Hoffnung, dass mit der Demission des Kabinetts Venizelos unter der neuen Regierung eine gewisse Ruhe in den sonst fortwährenden Aufregungen eintreten werde, hat sich leider nicht erfüllt.

Infolge des schweren Schlages, den wie die französische und englische Presse selbst anerkannte, die Diplomatie der Entente am 6. März durch die Entscheidung Seiner Majeestät des Königs erhalten hatte (vergl. Mil. Ber. Nr. 21 vom 10.3.15). liess dieselbe sich nicht entmutigen und setzte mit neuen Kräften bei der jetzigen Regierung ein, indem sie ihr besonderes Augenmerk darauf richtete, durch geschickte Manöver einerseits Seine Majestät den König für ihre Ansicht zu gewinnen, andererseits Einwendungen des Generalstabs unmöglich zu machen.

In erster Richtung kam der Entente - ob von ihr veranlasst oder nicht, lasse ich dahingestellt - die Reise des Prinzen Georg, des Bruders Seiner Majestät des Königs, nach Athen zu statten. Wer darauf gerechnet hatte, dass Prinz Georg auf Grund seiner Erfahrungen mit Herrn Venizelos in Kreta und seinem Schwur, solange nicht nach Griechenland zurückzukehren, als Herr Venizelos die Regierung in den Händen habe, nunmehr die Politik seines Allerhöchsten Bruders gutheissen und unterstützen werde, sah sich darin gründlich getäuscht. Schon kurz nach der Ankunft des Prinzen Georg brachten die Zeitungen Meldungen, dass Prinz Georg in jeder Weise auf Seiten der Entente stehe und das Nichtheraustreten Griechenlands aus der Neutralität für einen Fehler erachte. Prinz Georg erklärte dies auch unumwunden fremden Journalisten gegenüber und begründete, wie ich von zuverlässiger Seite erfahre, seine Stellungnahme damit, dass er von einem schließlichen Siege der Entente fest überzeugt sei und die unerbittliche Feindschaft eines Venizelos die schwersten Gefahren für die Dynastie in sich berge.

Längere Zeit war es nicht möglich, einen genaueren Einblick zu bekommen, inwieweit die Bemühungen des Prinzen Georg auf fruchtbaren Boden fielen: Er liess seinen Bruder, den König, kaum aus den Augen, unterhandelte fortgesetzt mit der Entente und suchte die Mitglieder der Regierung für seine Ideen zu gewinnen.

Erst die Abreise des Herrn Venizelos zu seiner Erholung nach Alexandrien gab einen sicheren Anhalt dafür, dass die Aufgabe, die sich Prinz Georg bei seinem Hierherkommen gestellt hatte, Griechenland zu einer baldigen Teilnahme am Kriege an der Seite der Entente zu bringen, ihrer Lösung mehr oder weniger nahe schien. Herr Venizelos erklärte nämlich bei seiner Abreise, dass er beruhigt abfahre, nachdem er sich überzeugt habe, dass Griechenland nunmehr bald aus der Neutralität heraustreten werde. Auf Grund dieser Zeitungsmeldungen von dem Kaiserlichen Gesandten zur Rede gestellt, suchte der Herr Minister des Äusssern zunächst auszuweichen, gab aber schliesslich die Tatsache neuer Verhandlungen mit der Entente durch die Aeusserung zu, dass Griechenland unmöglich untätig bei einer Operation gegen die Dardanellen und Konstantinopel zusehen könne, sobald die Streitkräfte der Entente zu Land und zu Wasser qualitativ wie quantitativ einen Erfolg der Aktion verbürgten; die Entscheidung über diesen Punkt sei die Sache es Generalstabs.

Schon am nächsten Tage brachten die venizelistischen Blätter Einzelheiten über die zwischen Griechenland und der Entente schwebenden Verhandlungen:


In letzter Richtung wurde aus verschiedenen Quellen übereinstimmend noch bekannt, dass die gesamte griechische Armee nur auf dem Gebiete der europäischen Türkei zur Verwendung kommen dürfe, wenn Bulgarien bis dahin nicht aus seiner Neutralität herausgetreten sei und auch anscheinend die Neutralität trotz des Eingreifens Griechenlands weiter bewahren wolle. Die Richtigkeit der obigen Punkte unterliegt keinem Zweifel mehr; es bleibt nur die Frage, inwieweit die Entente auf die sehr präzise gehaltenen, ihr zum Teil wenig angenehmen Forderungen der griechischen Regierung eingehen wird. Auch könnte man gestützt auf das energische Eintreten des Generalstabs bei Gelegenheit des von Herrn Venizelos vertretenen Abenteuers die Hoffnung hegen, dass der Generalstab auch dieses Mal und ebenso energisch sein Veto gegen diesen neuen Kreuzzug gegen Konstantinopel einlegen würde. Meine Sondierungen in dieser Richtung haben allerdings vorläufig ergeben, dass auch der Generalstab - ausgenommen Oberst Mertaxas, der nach der März-Krise nicht wieder auf seinen alten Posten im Generalstabe zurückgekehrt ist, sondern jetzt die Hauptmannschule leitet und dadurch einem direkten Einflusse entzogen ist, - von dem Gedanken des Prinzen Georg, wenn auch noch nicht durchseucht, so doch leicht infiziert ist. Oberstleutnant Stratigos, der Nachfolger des Oberstleutnants Metaxas, sagte mir gestern, nachdem er die schwierige politische Lage Griechenlands, die Schikanen und den Druck der Entente, die man sich nicht zum Feinde machen dürfe, etc. gestreift hatte, auf meine Einwendungen militärischer Natur wörtlich Folgendes: „Es können aber Umstände eintreten, durch die die militärischen Ueberlegungen in den Hintergrund gedrängt werden.“ Diese Worte zielten auf der einen Seite auf die durch den Byzanztraum leicht erregbare Volksstimmung, auf der anderen Seite auf die fortgesetzten Meldungen der griechischen Gesandten im Auslande, dass Rumänien und Italien in Kürze auf Seiten der Entente losschlagen würden.

Trotz alledem wird, sofern die Entente auf sämtliche übrigens Punkte der Verhandlungen eingehen sollte, schliesslich doch die gewichtigste Entscheidung über ein Eingreifen Griechenlands vom Generalstabe abhängen, in dessen Hand es gegeben ist, zu beurteilen, ob die Land- und Seestreitkräfte der Entente den Fall Konstantinopels verbürgen und die militärpolitische Lage Griechenlands derart gestaltet ist, dass der Einzug in Byzanz nicht auf den Trümmern des griechischen Reiches geschieht.


Falkenhausen
[Hauptmann und Militär-Attaché]



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