1915-11-03-DE-008
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Quelle: DE/PA-AA/R 20193
Zentraljournal: 1915-A.S.-5558
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 11/03/1915 09:30 PM
Telegramm-Ankunft: 11/04/1915 01:50 PM
Praesentatsdatum: 11/04/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 2
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Gesandte in Athen (Mirbach) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht


Athen, den 3. November 1915

Für Chef des Generalstabes des Feldheeres:

Die folgenden Ausführungen machte mir Oberst Metaxa am 31. Oktober; am 1. November sprach mir General Dusmanis über die gleichen Punkte; am selben Tage wurde ich zum König befohlen, welcher mir sagte, daß die Mitteilungen seine völlige Billigung hätten; der König bat mich aber, die in Folgendem enthaltenen Fragen als von mir ausgehend hinzustellen.

Oberst Metaxa ausführte:

Schwierige Lage Griechenlands allgemein bekannt (geographische Lage schlechte Verbindung mit Festland). Land hatte außerdem weder Zeit noch Geld zur Vorbereitung auf einen nicht erwarteten Seekrieg mit England; geplante Küstenbefestigung gar nicht oder nur mangelhaft vorhanden; griechische Flotte daher eigentlich keinen sicheren Stützpunkt. An und für sich ist daher Interesse Griechenlands, Krieg gegen Entente zu vermeiden, der hauptsächlich Seekrieg gegen England wäre.

Ereignisse auf Balkankriegsschauplatz können aber Griechenland zwingen, offen gegen Entente aufzutreten, nämlich wenn Ententetruppen aus Serbien über griechische Grenze flüchten. Griechenland hat dann Verpflichtung, diese Truppen zu entwaffnen, falls kein anderer Ausweg zu finden. Das würde (nach der hier vorherrschenden Ausfassung) die Kriegserklärung der Entente zur notwendigen Folge haben.

Hiermit muß Griechenland rechnen und sich hierauf vorbereiten, bedarf aber der Unterstützung durch Zentralmächte.

Folgende Punkte von besonderer Wichtigkeit.

1 Unterseeboote.

Wieviel deutsche U-Boote können in griechischen Gewässern verfügbar sein bei Ausbruch der Feindseligkeiten d.h. spätestens im Augenblick, wo Ententetruppen auf griechisches Gebiet flüchten?

Wodurch kann Griechenland die deutschen U-Boote unterstützen?

Können die U-Boote zusammen mit griechischer Flotte mindestens Seeweg von Salonik nach Enge nördlich Euböa, also Weg Salonik-Chalkis schützen; ebenso Saronischen Busen und damit Athen und Piräus?

Letzte Frage wichtig aus militärischen Gründen und besonders wegen

2. Verpflegung.

Von Alt-Griechenland, da Anschlußbahnen nicht fertig und schwieriger Landweg, dessen Instandsetzung im Gange nur ein viertel Getreidebedarf transportiert werden könne.

Im Zusammenhang mit Verpflegung steht Schutz der Inseln Ägäischen Meeres und Jonischen Meeres. Ägäische Inseln am besten geschützt, wenn Durchfahrt beiderseits Kreta gesperrt und Ägäisches Meer zu einem „mare nostrum“ wird. Hierbei könnten mit deutschen Unterseebooten griechische und türkische Flotte zusammenarbeiten. Ist dies möglich?

Zum Schutz Jonischer Inseln kann Griechenland wenig tun. Wieviel kann österreichische Flotte helfen, wenn ihr die Inseln zur Verfügung stehen? Zeitweise Besetzung Jonischer Inseln durch Entente vielleicht nicht zu vermeiden; Griechische Regierung aber fest überzeugt, daß Deutschland England in Egypten tödlich treffen wird und deshalb in Friedensverhandlungen auch England oder andere Ententemacht zur Herausgabe besetzter Inseln zwingen kann. Deutschland kann also auch in diesem Falle Besitzstand Griechenlands garantieren.

3. Kriegsmaterial.

Wegen Mangel an Rohmaterial Herstellung von Gewehrmunition im Lande beschränkt, Geschützmunition unmöglich.

Können Zentralmächte notwendigste Munition liefern? Gewisse Mengen Artilleriemunition, von Griechenland teilweise schon abgenommen, liegen bei Krupp.

Für Küstenbefestigung würde Griechenland notwendige Vorarbeiten sofort beginnen, wenn es von Zentralmächten einige schwere Batterien erhalten kann. Ist dies möglich?

4. Im Falle Entwaffnung der Entente-Truppen durch Griechenland und offene Stellungnahme Griechenlands gegen Entente, wäre es aus innerpolitischen Gründen wichtig, französische Truppen nicht in Griechenland zu internieren, sondern in anderem befreundeten Staate, da französische Gefangene im Lande gewisse Gefahr bilden.

Wie anfangs erwähnt, würde Griechenland Krieg gegen Entente gern vermeiden. Dies würde erreicht, wenn Entente zum Rückzug von Salonik veranlaßt werden könnte. Griechische Regierung ist im Begriff Ententemächte in dieser Hinsicht zu …[Gruppe fehlt]… Diese Schritte würden durch rege Tätigkeit deutschen Unterseeboots auf Zufahrtstraßen nach Salonik erheblichen Nachdruck erhalten, da Griechenland an Entente keinerlei Lebensmittel liefert und Entente deshalb auf Zufuhr zur See angewiesen ist.

Hierzu melde ich gehorsamst das Folgende:

1. Vorstehende Ausführungen stellen Ansicht des Königs, …[Gruppe fehlt]… Generalstabs dar; es bleibt zum mindesten sehr fraglich, ob auch das verantwortliche Ministerium sich diesen Standpunkt zu eigen machen würde.

2. So erfreulich an und für sich die Absicht des Königs ist, unter gewissen Vorbedingungen aktiv an die Seite Deutschlands zu treten, so erscheint doch wohl die Beibehaltung der griechischen Neutralität vorläufig wünschenswerter, da Griechenland als Verbündeter sehr erhebliche Anforderungen an Lieferungen von Kriegsmaterial und Nahrungsmitteln stellen und starke Unterstützung zur See benötigen würde.

3. Um Griechenland die Beibehaltung der Neutralität zu ermöglichen, würde es genügen, wenn Bulgarien veranlasst werden könnte, die für den Ausgang des serbischen Feldzugs doch wohl bedeutungslosen Entente-Truppen nicht über die griechische Grenze zu verfolgen.

4. Die Forderungen, die Griechenland an die deutschen Unterseeboote stellen müßte, lassen sich wohl erst in einigen Wochen oder Monaten und dann nur zum Teil erfüllen; bis dahin dürfte aber die Entwaffnungsfrage bereits durch die Ereignisse überholt sein. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die vermehrte Tätigkeit der deutschen Unterseeboote im östlichen Mittelmeer den König in seiner Neutralitätspolitik kräftig unterstützt hat. Eine weitere Vermehrung der Unterseeboote im Mittelmeer erscheint daher um so wünschenswerter, je länger der für Griechenlands Haltung kritische Moments sich hinausschiebt.

5. Die Annahme, daß eine Entwaffnung der flüchtenden Entente-Truppen notwendigerweise eine Kriegserklärung seitens der Entente zur Folge haben würde, wird hier immer als Gewißheit hingestellt. Die Möglichkeit einer solchen Folge besteht natürlich, doch spricht auch manches gegen die Annahme. Während des Krieges würde Griechenland die Entente militärisch zwar wenig schädigen können; aber im Hinblick auf die Zukunft wird diese sich doch vielleicht scheuen, Griechenland wegen Wahrung seiner Hoheitsrechte ins feindliche Lager zu zwingen.

6. Die zweifellos günstigste Lösung wäre der Abzug der Entente-Truppen vom griechischen Boden, wenn es auch sehr fraglich erscheint, ob Griechenland in diesen Bemühungen erfolgreich sein wird und kann. Ich werde jedenfalls auf diese Lösung bei den Militärischen Behörden mit allen Mitteln hinwirken.

Bitte Mitteilung an Admiralstab.

Falkenhausen.


[Mirbach]



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