1917-12-20-DK-001
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Quelle: DK/RA-UM/Gruppeordnede sager 1909-1945. 139. D. 1, ”Tyrkiet - Indre Forhold”. Pakke 2, fra Jan. 1917 – 1. Jan. 1919
Erste Internetveröffentlichung: 2010 August
Edition: Dänische diplomatische Quellen
Telegramm-Abgang: 12/20/1917
Telegramm-Ankunft: 01/07/1918
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 175
Übersetzung: Michael Willadsen
Zustand: A
Letzte Änderung: 01/15/2014


Der Gesandte in Konstantinopel (Carl Ellis Wandel) an den Aussenminister (Erik Scavenius)

Bericht



Nr. 175

Konstantinopel, den 20. Dezember 1917.

Vertraulich.

Herr Außenminister,

Die jungtürkische Regierung duldet im osmanischen Parlament in der Regel keine Diskussion, weil sie der Bevölkerung keinen Einblick in die wichtigen Angelegenheiten geben will.

Der Meinungsaustausch zwischen den türkischen Politikern findet auf den Geheimtreffen des Komitees [für Einheit und Fortschritt] statt, und die öffentlichen Diskussionen in den Kammern gaben nur scheinbar die Wahrheit wider.

Wenn etwas Wichtiges ins Parlament kommt, ist das meist reine Formsache. Es ist längst im Komitee entschieden worden.

Eine Ausnahme von dieser Regel gibt es jedoch ab und zu im Senat, unter dessen Mitgliedern es einige Männer gibt, die beim Volk so hoch angesehen sind, dass sie keine Disziplinarstrafe fürchten müssen, wenn sie bei den seltenen Gelegenheiten kein Blatt vor den Mund nehmen und ihre Meinung offen sagen.

Einer dieser Männer ist der Senator Ahmed Riza, den ich letztes Jahr in meinen Depeschen mehrmals erwähnte habe - „der einzige wirkliche Jungtürke“, der auch in diesem Jahr in der jetzigen Parlamentsperiode durch seine Freimütigkeit Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat auf eine Art und Weise, die ihm zur Ehre gereicht. Außerdem hat er es geschafft durchzusetzen, dass seine Äußerungen im Senat in gewissem Umfang im offiziellen Anzeiger wiedergegeben worden sind. Den bekommt zwar die Bevölkerung nicht in die Hände, aber die Gesandtschaften können nicht daran gehindert werden, ihn sich zu beschaffen.

Soweit ich weiß, ist keine dieser Äußerungen in der Tagespresse erschienen, weder hier noch im Ausland, und ich finde es deshalb wichtig sie zu erwähnen, wenn es Anlass dazu gibt, wie es gerade in diesen Tagen der Fall ist.

Auf der Senatsversammlung am 29. Oktober dieses Jahres tat sich Ahmed Riza zum Beispiel mit einigen Äußerungen hervor, die ein Licht darauf werfen, wie die türkischen Behörden die arabische, armenische und griechische Bevölkerung in der Türkei während des Krieges behandelt haben, ein Thema, über das sonst selten authentische Informationen an den Tag kommen, weil es äußerst geheimgehalten und bei jeder sich bietenden Gelegenheit öffentlich dementiert wird, so dass man häufig nicht weiß, was man glauben soll.

Im September 1915, am Tag vor der Parlamentssitzung, erließ die jungtürkische Regierung ein provisorisches Gesetz, welches sie nie gewagt hat, der Kammer zur Annahme vorzulegen, und das dazu geführt hat, dass große Teile der Bevölkerung völlig ausgeplündert wurden.

Durch dieses Gesetz bekamen die Behörden freie Hand, das sogenannte „verlassene Eigentum“, d.h. das bewegliche und unbewegliche Eigentum, Schulden und Forderungen der von ihren Wohnsitzen vertriebenen Araber, Armeniern und Griechen aufzulösen - Eigentum, das die Behörden später recht willkürlich handhabten.

Jedenfalls brachte die Regierung auf der besagten Sitzung einen Vorschlag ein, der fast so aussieht, als sei er die Ergänzung zu diesem Gesetz, und in dem eine Bewilligung von 2 Millionen Piastern verlangt wird zur „Bewahrung des betreffenden Eigentums“.

Die Diskussion, an der Ahmed Riza und seine Gruppe (Orkhan Bey, General Mahmud Pascha und Damid Ferid Pacha [Damad/Damat Ferid Pascha]) teilnahmen, ist lesenswert.

Orkhan Bey begann damit, dass das provisorische Gesetz über das „verlassene Eigentum“ noch nicht dem Senat vorgelegt und von diesem gebilligt worden ist, und es so aussehen könne, als ob dieser durch die Genehmigung des verlangten Betrages ein Gesetz billige, das er noch nicht gesehen hat.

Der Präsident versicherte, dieses werde nicht der Fall sein.

Danach nahm Ahmed Riza das Wort.

„Warum verlangt man diese Bewilligung? Uns wird gesagt, um das sogenannte „verlassene Eigentum“ zu bewahren. Aber was ist ein „verlassenes Eigentum“? Ist es bewegliches oder unbewegliches? Wenn es die bewegliche Habe ist, dann ist sie nach dem, was man uns mitgeteilt hat, teils geraubt, teils von der Regierung verkauft worden, und so vollständig zu barem Geld gemacht worden. Doch dazu bedarf es weder einer Kommission noch ein Budget für sie.

Und wenn die Bewilligung für die Bewahrung von Immobilien verlangt wird, woraus bestehen die: aus Feldern, Häusern usw. Aber die lokalen Behörden sind ja gerade dafür da, das Eigentum der Bevölkerung zu bewahren und zu schützen. Nach dem was wir gehört haben, sind Häuser, sogar große Gebäude, zerstört und geplündert sowie die Türen und Fenster entfernt worden. Und in diesem traurigen Zustand befinden sie sich. Andere sind besetzt worden. Was meint man damit, sie bewahren zu wollen?

Ich würde auch gern wissen, was man meint mit dem Begriff „verlassenes Eigentum“ meint. Denn mit diesem oder jenem Terminus übernehmen wir ja eine bestimmte Verantwortung. Nach meiner Meinung bedeutet der Begriff „verlassenes Eigentum“ ein Eigentum, das verlassen, das zurückgelassen worden ist. Niemand hat jedoch aus freien Stücken sein Eigentum zurückgelassen. Wir müssen einen passenden Ausdruck dafür finden und klar sagen: Das Gesetz zur Bewahrung des Eigentums der Armenier, Griechen und Araber, die aus politischer Notwendigkeit von ihren Heimstätten entfernt wurden“. Der Begriff „verlassenes Eigentum“ ist nicht richtig, und der Senat sollte einen solchen ungenauen Ausdruck nicht akzeptieren. In Wirklichkeit wurde die Bevölkerung aus ihrer Heimat vertrieben und mit Gewalt entführt, und ihr Eigentum wurde zurückgelassen.

Diese Verfahrensweise steht auch im Widerspruch zur Verfassung, weil die Konstitution allen die Unantastbarkeit ihres Eigentums garantiert. Ich will weiter gehen und sagen, dass, wenn es in einem Land keine Eigentumsrechte gibt, oder wenn diese Rechte nicht abgesichert sind, es auch keine Regierung gibt. Wenn diejenigen, die deportiert und verjagt worden sind, Eigentumsrechte hatten, dann sind diese Rechte jetzt abgeschafft worden.

Sicher, die Regierung behauptet, dass sie das Recht gehabt hätte so zu handeln. Da ich diese Sache noch nicht vollständig geprüft habe, kann ich mich im Augenblick darüber nicht mit Bestimmtheit äußern. Die Regierung veröffentlicht Broschüren mit ihrer Sicht der Dinge. Lassen Sie uns davon ausgehen, dass jedes Wort in diesen Broschüren absolut stimmt. Ein Teil der Armenier und Griechen mag sehr wohl, wie die Regierung behauptet, Verräter gewesen sein. Diese gibt es unter Türken und unter Kurden genauso wie unter Armeniern. Aber das Gesetz legt eine Strafe für Verbrecher und für Verräter fest. Sie werden hingerichtet, aber niemals deportiert. Noch tötet man ihre Familien und beraubt sie ihres Vermögens. Das ist die reinste Schreckensherrschaft.“

Der Präsident meinte, dass all dieses erst gesagt werden könne, wenn das genannte Gesetz dem Senat vorgelegt worden ist.

Ahmed Riza antwortete: „Aber das Gesetz wird nicht vorgelegt. Man bringt ein anderes Gesetz ein, das sich darauf bezieht, und deshalb muss ich mich äußern. Das System des „verlassenen Eigentums“ ist hier nicht ganz verstanden worden, und ich sollte deshalb nicht weiter darauf eingehen. Aber ich möchte wissen, wofür das Geld ist, das bewilligt werden soll. Es ist die Rede von einer Bewahrungs-Verwaltung. Welche Verwaltung? Welche Bewahrung?“

Chukri Pascha, Mitglied des Finanzkomitees des Senats, antwortete darauf: „Es wurden Kommissionen gebildet, um die genannten Immobilien zu bewahren, und die verlangte Bewilligung ist für diese Kommissionen bestimmt. Sie verkaufen natürlich den beweglichen Teil der Habe, der leicht verderblich ist, und verwalten dann die Immobilien.“

Ahmed Riza: „Sind Sie sich da sicher, dass es sich so verhält?“

Chukri Pascha: „Ja, so weit ich weiß. Der Betrag soll vom Budget genommen werden und nicht von den Einnahmen aus den Immobilien. Was den Terminus ”verlassene Vermögen” anbelangt, so ist es dem Finanzkomitee des Senats nicht möglich, eine Erklärungen dafür zu geben.“

Der Präsident bemerkte dazu, dass es sonderbar wäre, dass der Senat voriges Jahr diese Bezeichnung akzeptiert hätte, es in diesem Jahr aber nicht tut.

Ahmed Riza sagte, dass er sie letztes Jahr nicht akzeptiert habe und auch nicht beabsichtigt, es diesmal zu tun. Das, wogegen er im Übrigen besonders protestieren will, wäre der Umstand, dass das provisorische Gesetz über das „verlassene Eigentum“ noch gar nicht beim Senat eingebracht worden sei.

Nachdem er danach gefragt hatte, ob es an das Parlament gesandt worden sei, was der Präsident bestätigte, fuhr er fort: „Ein Gesetzentwurf über die eine oder andere Bewilligung wird der Versammlung sofort vorgelegt, aber warum nicht das Gesetz über die aktuelle Organisation? Das ist das Gesetz, das ich mir wünsche. Es muss garantiert sein, dass die Vermögen nicht verloren sind, dass sie bestehen bleiben, um später an die rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben zu werden, und die sind nicht alle tot . Jetzt sollen wir diese vorgeschlagene Bewilligung beschließen ohne dass uns das eigentliche Gesetz vorgelegt wurde. Ich finde, dass das nicht richtig ist.“

Der Präsident erklärte, dass das besagte Gesetz der Abgeordnetenkammer vorgelegt worden sei aber wegen der großen Arbeitsmenge noch nicht gelesen werden konnte, und dass der Senat der Regierung daher keinen Vorwurf machen könne.

Ein Mitglied des Senatkomitees, Mahmud Pascha, gab Ahmed Riza Bey völlig recht. Letztes Jahr habe er gegen diese Verordnung gestimmt. Dieses Mal habe er dasselbe in der Kommission getan und er werde es auch im Senat tun.

Noch ein weiteres Mitglied des Senats, Damad Ferid, der, wie oben erwähnt, mit Mahmud Pascha zur selben Gruppe wie Ahmed Riza Bey gehört, äußerte sich ähnlich. Auch er ist im letzten Jahr gegen die Bezeichnung „verlassenes Eigentum“ angegangen und würde auch jetzt gegen die Bewilligung stimmen.

Zum Schluss wiederholte Ahmed Riza, dass man nun ein Jahr lang auf das provisorische Gesetz über das „verlassene Eigentum“ gewartet hätte, aber dass es noch immer nicht eingebracht worden wäre.

Der vorliegende Gesetzentwurf wurde danach angenommen.

Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich, Herr Minister, Ihr ergebenster


Wandel



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