1915-06-17-DE-004
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Quelle: DE/PA-AA/R 20188
Zentraljournal: 1915-A.S.-3211
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 06/18/1915 a.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Bethmann Hollweg über ein Gespräch mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Tisza

Aufzeichnung


B[erlin], den 17. Juni 1915

Abschrift.

Aus der heutigen Verhandlung mit Graf Tisza.

Graf Tisza erklärte, er habe den Auftrag von Kaiser Franz Josef, sich danach zu erkundigen, welches eigentlich unser Verhältnis zu Italien sei. Er erläuterte dies dahin, daß zwar meine Reichstagsrede mit Enthusiasmus aufgenommen, danach aber eine gewisse Ernüchterung eingetreten sei, weil wir weder den Kriegszustand mit Italien proklamiert noch unsere Truppen gegen Italien hätten fechten lassen. Durch diese „Zweideutigkeit“ sei man in Österreich-Ungarn stark verstimmt, auch werde dadurch das Verhalten der Balkanstaaten ungünstig beeinflußt. Die Besorgnis, daß im Falle unseres Angriffes auf Italien Rumänien vertragsmäßig zum Losschlagen verpflichtet sei, könne er mit absoluter Gewißheit als unbegründet bezeichnen.

Ich habe erwidert, daß ich gegen diese in der Form eines Vorwurfes vorgebrachte Vorstellung die ernsteste Verwahrung einlegen müsse. Nach Erinnerung an die Entstehung des Krieges habe ich sehr nachdrücklich betont, daß wir unter sehr riskanter Entblößung unserer Westfront unsere besten Truppen, darunter die Garde nach Galizien geschickt hätten, um Ungarn von der russischen Überflutung zu schützen, daß wir sofort das Alpenkorps gegen Italien aufgestellt hätten, obwohl das Wiener Kabinett in der gesamten italienischen Krisis andauernd unseren Ratschlägen entgegengehandelt und dadurch den Krieg mit Italien verschuldet hätte. Ich müsse mein höchstes Erstaunen darüber aussprechen, daß man in Wien anscheinend nicht wisse, einen wie aktiven Anteil unser Alpenkorps an den bisherigen Kämpfen gegen Italien genommen, wie es das erste siegreiche Gefecht gegen die Italiener entschieden habe. Die Details möge sich der Graf von General von Falkenhayn mitteilen lassen. Ich könne ihm meinerseits nicht verschweigen, daß mich seine Ausführungen auf das Tiefste befremdet hätten.

Graf Tisza war sichtlich von meinen Worten sehr beeindruckt, erklärte von dem Eingreifen unseres Alpenkorps nichts zu wissen, und ließ das Thema sofort mit der Bemerkung falle, daß er sich vom General von Falkenhayn über die Details informieren lassen werde.


[von Bethmann Hollweg]
[Jagow am 18.6. an Botschaft Wien (Nr. 378)]

Abschrift

Ew. Exzellenz erhalten in der Anlage zu Ihrer streng vertraulichen ausschließlich persönlichen Information Abschrift einer Aufzeichnung des Herrn Reichskanzlers über die heutige Unterredung mit Graf Tisza.

General von Falkenhayn hat den Grafen Tisza des genaueren über den Anteil unseres Alpenkorps an den Kämpfen gegen Italien informiert. Unsere Truppen haben bereits eine größere Anzahl ital. Gefangener gemacht, andrerseits befinden sich 1 Offizier und mehrere Mann von uns (eine Spitze) gefangen in Händen der Italiener, die italienische Heeresleitung kann also nicht im Zweifel darüber sein, daß wir uns bereits tatsächlich im Kriegszustand mit Italien befinden. Wenn trotzdem die italienischen offiziellen Kriegsberichte den Zusammenstoß mit unseren Truppen verschweigen, so kann dieses Schweigen nicht ohne Absicht sein. Der Grund ist jedenfalls darin zu suchen, daß Italien von der Entente verpflichtet worden ist, sobald der Krieg mit Deutschland ausgebrochen, 200000 Mann auf den französischen Kriegsschauplatz zu entsenden. Graf Cardona hat sich hiergegen aber anfangs entschieden geweigert und seinen Widerstand wohl nur auf starken politischen Druck hin fallen lassen. Er scheint aber die Erfüllung der Verpflichtung dadurch aufschieben zu wollen, daß er den zwischen uns eingetretenen Kriegszustand in seinen offiziellen Veröffentlichungen verschweigt. Auch für uns ist es sehr wichtig, daß an der Fiktion, der Krieg zwischen Italien und uns sei noch nicht ausgebrochen, einstweilen noch festgehalten und die Entsendung italienischer Truppen nach Frankreich noch aufgehalten wird. Wir haben, um den Österreichern in Galizien zu Hilfe zu kommen, unsere Verteidigungslinien im Westen so entblößt, daß es unseren Truppen nur mit den allergrößten Anstrengungen möglich ist, die Stellungen gegen die täglichen sehr heftigen Angriffe der Franzosen und Engländer zu halten und einen Durchbruch zu verhindern. Eine Verstärkung des Feindes im Westen um 200000 Italiener würden wir zur Zeit militärisch nicht vertragen können.

General von Falkenhayn hat, wie er mir sagte, auch dem General von Conrad dies klar und deutlich zu verstehen gegeben.

General von Falkenhayn hat heute dem Grafen Tisza mitteilen müssen, daß die Italiener den Krn gestürmt haben. Graf Tisza sei dadurch beeindruckt und überzeugt worden, daß schnellstes Handeln in Bukarest geboten sei.


[Jagow]



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