1909-06-19-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R 13187
Zentraljournal: 1909-A-10958
Erste Internetveröffentlichung: 2009 April
Edition: Adana 1909
Praesentatsdatum: 06/29/1909 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: J.No. 575/K.No. 73
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Generalkonsul in Aleppo (Tischendorf) an den Reichskanzler (Bülow)

Bericht



J.No. 575 / K.No. 73
Im Anschluss an den gehorsamen Bericht vom 16. d.Mts. betreffend die Lage im Wilajet Aleppo beehre ich mich Euerer Durchlaucht gehorsamst zu berichten, dass nach den aus armenischen Kreisen stammenden Informationen die offiziell mitgeteilte angeblich Rundreise des Walis Rechid Bey, welcher nach den letzten Nachrichten sich noch immer in Antiochien befand, mit der gegen ihn vorgebrachten Beschuldigung der Teilnahme an der Organisierung der Massacres in Antiochien zusammenhängt und es sich insbesondere um eine Vernehmung des Wali vor der Untersuchungskommission in Antiochien handelt. Es ist hier aufgefallen, dass in Begleitung des Wali der hiesige zur jungtürkischen Partei gehörige Polizeidirektor und der Sanitätsinspektor Bessim Bey, Mitglied des jungtürkischen Komitees, sich nach Antiochien begeben haben. Dagegen befindet sich der Kaimakam von Antiochien, dessen Verhalten während der Massacres von dem dortigen Kaiserlichen Konsularsagenten als korrekt bezeichnet worden war und dessen Aussagen vor der Untersuchungskommission den Wali belasten sollen, seit einigen Tagen hier in Aleppo.

Über die Verhängung des Belagerungszustandes an den verschiedenen Plätzen des Wilajets ausser in Marasch waren sich widersprechende Befehle hier eingetroffen und sind von der Lokalregierung neuerdings Weisungen von Konstantinopel erbeten worden.

Aus Hamman in der Amamos-Ebene auf der Strasse von hier nach Alexandrette werden Ruhestörungen in der Amamos-Ebene gemeldet, hervorgerufen durch dort nomadisierende Beduinen, zwischen welchen einerseits und von Soldaten unterstützten Gendarmen andererseits es zu Zusammenstössen gekommen ist.

Der Versuch, in Kessab, im Bezirk von Antiochien, die Armenier zur Auslieferung ihrer Waffen zu veranlassen, ist misslungen und wurde dabei ein junger Armenier, Sohn eines Advokaten, von einem türkischen Offizier erschossen.

Der Versuch, die Bevölkerung zu entwaffnen, wird im Wilajet Aleppo zweifellos auf den größten Widerstand stoßen, und es sind insbesondere die hiesigen wohlbewaffneten Armenier, welche weder zu der Regierung, noch zu dem Komitee Vertrauen haben, fest entschlossen, ihre Waffen nicht auszuliefern. Zur Zeit ist die Regierung hier auch schon durch den Mangel an zuverlässigen Truppen gehindert, energisch vorzugehen. Wenn auch in der Stadt Ruhe herrscht, so hält doch das Mißtrauen der Bevölkerung und die Stagnation im Geschäftsverkehr ständig an. Achtzehn von Marasch hierher transportierte als bei den dortigen Unruhen beteiligt verhaftete Personen, deren Rücktransport von dem in Marasch tagenden Kriegsgericht verlangt wurde, sind wieder dorthin abgegangen.

Das neue Vagabundengesetz ist jetzt hier publiziert worden und setzt die Behörden insofern in Verlegenheit, als es an geeigneten Organen zu dessen Ausführung fehlt. Bezüglich der Ausübung der Rechtspflege wird sehr geklagt.


Tischendorf



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