1914-08-20-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 22402
Zentraljournal: 1914-A-00102
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Telegramm-Abgang: 08/20/1914 12:28 PM
Telegramm-Ankunft: 08/20/1914 02:30 PM
Praesentatsdatum: 08/20/1914 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 23
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt (Zimmermann) an das Große Hauptquartier (Jagow)

Telegraphischer Bericht



Nr. 23.

Berlin, den 20. August 1914

Der Kaiserliche Botschafter in Konstantinopel telegraphiert folgenden Immediatbericht des Generals Liman von Sanders an Seine Majestät:

[„]Euerer Kaiserlichen und Königlichen Majestät melde ich alleruntertänigst: Enver Pascha lehnte ab heute nötige Sicherungsmassnahmen an Bosporus und Dardanellen , weil in Uebereinstimmung mit Deutscher Regierung Vertrag der Balkanstaaten über bewaffnete Neutralität abgeschlossen werde. Damit seien alle Forderungen Englands pp. voraussichtlich erfüllt und Feindseligkeiten nicht zu erwarten.

Die militärischen Verhältnisse liegen hier so, dass der Wert der türkischen Armee immer mehr abnimmt, je länger die Kriegsministeriums-Verhandlungen dauern. In bewaffneter Neutralität, auch von kurzer Dauer, muss hiesige Armee zusammenbrechen. Geld- und Verpflegungsverhältnisse machen unmöglich, Armee in eigenem Lande längere Zeit mobil zu halten.

Mit Würde deutscher Offiziere kaum noch zu vereinbaren hier Dienst zu tun, da stets militärische Massnahmen durch politische Gründe abgelehnt werden.

Trotz Bündnisvertrags wird die Türkei nicht früher marschieren, bis Russland entscheidend geschlagen ist.

Heute sind englische Schiffe, auch beladen, hier freigegeben worden, Transportmittel der Türkei wesentlich verringert.

Euere Majestät wage ich es im Namen aller mir unterstellten Offiziere alleruntertänigst zu bitten, uns zu Euerer Majestät zurückzurufen, da wir nach unserer pflichtmässigen Ueberzeugung hier nichts für Euere Majestät und unser Vaterland leisten können.

Abberufung liegt nach meinem, auch nach Abschluss des Bündnisses nicht geänderten Kontrakt, lediglich Euerer Majestät Entscheidung.

Der deutsche Botschafter ist hiervon benachrichtigt.


Liman von Sanders.“

Freiherr von Wangenheim äussert sich zu diesem Immediatbericht folgendermassen.

„Enver Pascha, zurzeit leicht unpässlich, wurde gestern durch Liman Pascha ersucht, weitere Vorsichtsmassregeln für Bosporus zu treffen. Enver antwortete, dass solche Massnahmen nicht nötig seien, weil ein bewaffnetes Neutralitäts-Abkommen der Balkanstaaten bevorstehe. Da Enver unbedingt losschlagen möchte und nur zu diesem Zweck Mobilisierung energisch betreibt, so wünscht er auch russischen Angriffversuch auf Bosporus, damit Feindseligkeiten türkischerseits beginnen können. Vorher möchte er natürlich mit Bukarest und Sofia abschliessen. Ich habe Liman Pascha gesagt, dass Deutschland der Türkei versprochen habe, die Militär-Mission hier zu belassen. Von seiner und seiner Offiziere Rückberufung könne daher nicht die Rede sein. Er stehe hier auf einem sehr wichtigen Posten und die Frage, ob die Türkische Armee jetzt oder später angreife, könne nicht von ihm, sondern nur von Seiner Majestät dem Kaiser im Einvernehmen mit dem Sultan entschieden werden. Deutsche Offiziere blieben während eines Krieges da, wo Seine Majestät der Kaiser sie hingestellt habe, und streikten nicht, weil sie sich nicht ohne weiteres auf ihre Gegner stürzen könnten. Im strengen Gehorsam zeigten sich die überlegenen Eigenschaften deutscher Offiziere. Auch die Kommandanten unserer Kriegsschiffe müssten zur Zeit in den Häfen bleiben, und keiner von ihnen dächte daran eine Enthebung von seinem Posten zu verlangen, weil die Flotte nicht gleich eine Entscheidungsschlacht liefere. Dass türkisches Heer u. Flotte unter deutscher Kontrolle ständen, sei von grösster Bedeutung für uns - das werde sich später zeigen. Die Mobilisierung der türkischen Armee sei erst in 14 Tagen vollendet. Bis dahin sei hoffentlich Bulgarisch-Rumänisch-Türkisches Bündnis fertig. Sobald Russland dann rumänische Grenze überschreite, werde Türkei gezwungen sein, loszuschlagen.

Je ernster die Situation und je verwickelter die Verhältnisse werden, um so mehr verliere Liman die Nerven, was auf seine nähere Umgebung ansteckend wirke. Er wird sicherlich die türkische Armee gut führen, ist aber innerhalb der jetzigen politischen Vorgänge geradezu unmöglich. Gerade die besonnensten und einsichtsvollsten Offiziere der Mission haben mich schon vor Tagen auf den Geisteszustand Limans aufmerksam gemacht, der in den letzten 14 Tagen zweimal Enver und einmal Dschemal hat fordern wollen. Die Offiziere baten mich dringend zu veranlassen, dass Liman entweder zu einer seine Eigenliebe befriedigenden Aufgabe außerhalb Konstantinopels (vielleicht Mission nach Bukarest) verwendet werde, oder aber, dass ihm von Seiner Majestät dem Kaiser freundlich zugeredet werde.

Ich möchte ein Telegramm Seiner Majestät des Kaisers an Liman befürworten, in welchem er unter Anerkennung seiner bisherigen Leistungen und Appell an sein militärisches Pflichtgefühl aufgefordert wird, sich um die Politik nicht zu kümmern, sondern den Posten, auf den ihn Seine Majestät der Kaiser gestellt hat, bis zum aeussersten zu verteidigen. Wenn Liman gesagt würde, dass er und seine Offiziere für seine hiesigen Leistungen auf die gleiche Allerhöchste Anerkennung rechnen könnten, als wenn sie in Deutschland mitkämpften, würde das zu seiner Beruhigung beitragen.“


[Zimmermann]


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