1915-04-02-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon/168
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Das Mitglied der Deutsch-Armenischen Gesellschaft Liparit Nasariantz an die Botschaft Konstantinopel

Aufzeichnung



2. April 1915
Zur Lage der Armenier.

(Zweiter Bericht).

Zu der Lage der Armenier ist seit dem ersten Berichte, den ich diesbezüglich vor etwa zwei Monaten der Deutschen Botschaft zu Konstantinopel vorgelegt hatte, so viel zu sagen, dass diese sich nicht nur nicht gebessert hat, sondern dass sie zu unserer allgemeinen Beunruhigung und Befürchtung den Charakter einer systematischen Unterdrückung und Vernichtung unserer Landsleute im Inneren des Landes zu gewinnen angefangen hat.

Nachfolgend mögen einzelne Vorfälle als Ergänzung zu dem ersten Berichte zur Kenntnis gebracht werden.

1. Der Fall von Deort-Jol. Auf Befehl der Regierung erschien am 1. März Militär in Deort-Jol, sammelte alle Männer über 15 Jahre zusammen, im ganzen etwa 4000, und versetzte sie nach Radji. Die Ursache dieser willkürlichen Massnahme war augenscheinlich die, dass Deort-Jol in der Nähe der Meeresküste liegt. Es verlautet, dass dasselbe Schicksal auch Hadschin (Vil. Adana) treffen wird. Dabei sollen 4 - 5 Armenier zwischen Hamidie und Ajas getötet worden sein. Ausserdem haben die Behörden bei dem Direktor des Kelekianschen Waisenhauses Agop Effendi Garmirian Haussuchungen vorgenommen und ihn in Ketten nach Osmanie geführt.

2. In Terdschan (Wilajet Erzerum) ist infolge der willkürlichen Ermordung einiger Armenier die Lage der armenischen Bevölkerung sehr schwierig geworden, die mohamedanischen „Tschetas“ verlangen unter Drohungen von Armeniern Lösegelder.

3. In Baiburt (V. Erzerum) verüben offizielle und unoffizielle bewaffnete Personen, unter dem Vorwand Waffen zu suchen, allerlei Gewalttätigkeiten den Armeniern gegenüber. Drohungen, Misshandlungen und Einkerkerungen stehen auf der allgemeinen Tagesordnung.

4. In Passin (Erzerum) wurden 150 Armenier verhaftet unter der Beschuldigung, Waffen getragen zu haben. Ihr Prozess wurde neulich in Erzerum geführt, wobei nur einige von ihnen mit 2 - 3 Monaten Gefängnis davon kamen, während zehn von ihnen bekamen eine unerwartet grausame Strafe. So wurden Owannes Balassanian, Aram Torossian, Archag Neschdehian und Res Boghos zu je 3 Jahren, Hampar Sarkissian, Melik Gantarian, Hamparzum und Arschag Tschepelikian und Mambre Abadschian zu je 10 Jahren und Owannes Gukassian zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.

5. In Siwas wurden plötzlich die Beziehungen zwischen den Armeniern und den Türken infolge einer böswilligen Verleumdung äusserst spannend. Es wurde das Gerücht verbreitet, die Armenier hätten die türkischen Soldaten vergiften wollen. Trotzdem die Wahrheit dem Wali bekannt war, hat man eine Untersuchung eingeleitet, die glücklicherweise die Grundlosigkeit der ganzen Geschichte offenbarte und die Ruhe und das Leben der Bevölkerung von einer traurigen Erschütterung rettete.

6. In Alaschgerd (Mutes. Bayazid, Vil. Erzerum) sind mehr als 300 Armenier getötet, viele Frauen geraubt und genotzüchtigt oder gewaltsam mohamedanisiert.

7. Miliz und „Tschetas“. In der Gegend von Erzerum, Siwas und Musch hat die Regierung „Miliz“ und „Tschetas“ gebildet, meistens aus verdächtigen Elementen, die mit Plündern und Morden eine Plage für die ganze Bevölkerung geworden sind. An der Spitze dieser Tschetas stehen die berüchtigten Beschare-Tschats, Ömer Agha, Mehmet Emin und andere Vertreter. Sie plünderten im Wilajet Wan folgenden Dörfer: Gorzot, Besdik-Kjug, Kjugak, Kangawar und andere.

8. Die „Muhadschirs“. Aus der Gegend von Alaschgerd hat man circa 2000 mohamedanische Familien nach Manasgerd (Melazgerd) und Bulanig versetzt und in armenischen Dörfern und Häusern angesiedelt. Bei der gegenwärtigen ökonomischen Krise ist diese Massnahme eine unerträgliche Last für die armenische Bevölkerung und hat schon Anlass zu einer ganzen Reihe von Reibungen gegeben. Die türkische Regierung beabsichtigt, auch in Dörfern von Musch „Muhadschirs“ anzusiedeln. Der Wali von Wan Djewdet Bey 1 hat zu demselben Zweck Massnahmen getroffen.

9. In den Dörfern Zerenk und Goms (Musch) sind 7 - 8 Armenier getötet und viele Häuser geplündert und eingeäschert worden, und dies unter dem Vorwand, militärpflichtige Armenier zu suchen. In derselben Gegend benutzte man die armenischen Bauern als Zugvieh und spannte sie in Schlitten ein. Bei dieser unmenschlichen Behandlung wurden drei getötet und zwei verwundet.

10. In der Gegend von Seray und Ardschak, nämlich in den Dörfern Acherig, Hassan-Tamra (Seray), Hasaran und Beitu (Ardschag) fanden Metzeleien statt. Die Anstifter dieser Metzeleien sind, wie es angenommen wird, der Kaimakam von Seray Kiamil Bey und der Kaimakam von Westan Schükri Bey. (Vil. Van nahe der Grenze)

11. Die Erhebung von Steuern findet mit Mitteln statt, die an das alte Regime erinnern. Man nimmt keine Notiz von der schwierigen Lage, in der sich die Bevölkerung augenblicklich befindet. So hat man im Dorfe Arach (Musch) arme armenische Bauern auf grausamster Weise misshandelt. Ähnliche Vorfälle sind besonders in den letzten zwei Monaten zu bezeichnen.

12. Für den Transport der Munition und des Proviants hat man im Kreise Musch nicht nur das Vieh, sondern auch die ganze männliche Bevölkerung gesammelt. Und die Armenier müssen auf ihren Rücken die Munition und den Proviant für die Armee befördern. In letzten Tagen haben die Armenier in Musch die Regierung gebeten, einen Teil von Ochsen wenigstens für einen Monat zurückzugeben, damit sie ihre Felder pflügen könnten, um in nächsten Monaten der Hungersnot zu entgehen. Aber der Mütessarif hat selbst diese gerechte Bitte abgelehnt. Die Verzweiflung ist daher allgemein.

13. In Zeitun ist die Lage mehr als beunruhigend. Um einige Deserteure zu verfolgen, hat die Regierung nach Zeitun Militär und Kriegsgericht geschickt. Die Einzelheiten über die Vorgänge fehlen noch, aber es ist schon bekannt, dass in Zeitun Zusammenstösse stattgefunden haben. Und wenn man nicht gleich energische Massregeln trifft, so wird Zeitun ein Schauplatz blutiger Ereignisse werden.

14. Mordfälle. In Nieder-Gargar (Wan) hat die Miliz 7 - 8 armenische Dörfer eingeäschert. Man brachte die „Res“ (Vorsteher) von den Dörfern Hals und Chenzorud nach Jegekis und misshandelte sie, bis sie tot zusammenbrachen. Im Dorfe Dsegor töteten die Polizisten einen 12jährigen Knaben. Auf dem Wege von Gargar nach Chisan tötete man 4 unbewaffnete armenische Soldaten, die man in der Armee als Arbeiter benutzte. Durch diese Grausamkeiten entrüstete Armenier griffen die Polizisten an, und es fand ein blutiger Zusammenstoss statt.


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Ohne andere Einzelheiten zu erwähnen erlauben wir uns, zum zweiten Mal Ihre Aufmerksamkeit auf die schwere Lage der armenischen Bevölkerung einzuladen. Sonst werden die türkisch-armenischen Beziehungen immer gespannter, was in gegenwärtigen Umständen sehr bedenklich ist.

Die Haltung des armenischen Volkes im Osmanischen Reiche ist aufrichtig loyal, und bis jetzt ist nichts geschehen, was das Gegenteil zeigen könnte. Dessen ungeachtet sind die Verfolgungen und ungerecht strenge Massregeln gegen die Armenier so weit gegangen, dass sie die Ruhe im Inneren des Landes bedrohen.2

[Mehrere weitere Anmerkungen Mordtmanns nicht entziffert]


1Anmerkung Mordtmann: Toros, Mitgl. Daschn. nach Anfg. Krieges mit Einverständnis Tahsin bej von Van nach Bajezid gesandt dort ermordet.
2Anmerkung Mordtmann: Mosel (noch hier) Deputation nach Armen. schicken.



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