1916-05-05-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 20199
Zentraljournal: 1916-A.S.-1584
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 05/05/1916 07:16 PM
Telegramm-Ankunft: 05/06/1916 04:30 PM
Praesentatsdatum: 05/06/1916
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 99
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der AA-Vertreter im Großen Hauptquartier (Grünau) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Telegraphischer Bericht


Gr. Hauptquartier, den 5. Mai 1916

Dringend:

Geheim!

Seine Majestät haben mir erst vorhin nach Tisch Mitteilung von der Mission des Kardinals Hartmann gemacht mit dem einleitenden Bemerken, daß sie zunächst eine rein militärische Frage zum Gegenstande habe und daß er die Antwort nach Benehmen mit General von Falkenhayn festgestellt habe.

Der Papst hat aus Paris über Bern die Nachricht erhalten, daß Frankreich und England die Einnahme Konstantinopels durch die Russen befürchten und vereiteln vollen. Es wird angeregt, daß wir das Vordringen der Russen nach Konstantinopel nach Möglichkeit verhindern. Zu diesem Zwecke sollen wir dahin wirken, daß alle türkischen militärischen Kräfte der europäischen Türkei und Kleinasiens für ihre Verwendung im Kaukasus freigemacht werden. Dies soll dadurch geschehen, daß die Bulgaren zum Schutz Konstantinopels von der Mazedonischen Front nach der Türkei ziehen. Die Westmächte würden die Garantie übernehmen, daß gegen Bulgarien weder von Rumänien noch von Salonik aus etwas unternommen wird und daß auch Griechenland ruhig bleibt. Man glaubt, daß durch ein siegreiches Vorgehen der Türken gegen die Russen, ohne daß seitens der Westmächte den Türken oder den Bulgaren in den Arm gefallen wird, die Entente gesprengt und damit der Krieg bald beendigt sein wird. Von unserer Antwort werde der Papst die französische Regierung unterrichten.

Die Antwort, die in Form einer Notiz in Maschinenschrift ohne Datum und Unterschrift dem Kardinal durch einen Offizier übersandt wird, ist in allgemeinen, nichtssagenden Wendungen gehalten. Ihr Kern ist, daß wir bestrebt sind, auf eine Abkürzung des Krieges hinzuarbeiten, daß aber die Interessen unserer Verbündeten dadurch nicht beeinträchtigt werden oder mit einander in Kollision geraten dürfen.

Da der Papst davon spricht, die Antwort der französischen Regierung mitzuteilen, ist anzunehmen, daß auch von dieser Seite an ihn herangetreten wurde. Im einzelnen war nicht klar, inwieweit es sich um eigene Anregungen des Papstes oder eines Dritten handelte. Der Papst selbst hat erst nach dem Fall von Kut el Amara von der Sache Kenntnis erhalten. Kardinal von Hartmann war sich darüber klar, daß die ganze Mitteilung höchst phantastisch und verworren ist. Er hat sie so weiter gegeben, wie er sie durch einen besonderen Kurier aus Rom erhalten hat, der auch die Antwort mündlich zurückbringt.

Der Kardinal wies darauf hin, daß es sich möglicherweise um eine Falle handelt. Seine Majestät meinte, die Franzosen wollten vielleicht einen Vorwand schaffen, um ihre Truppen aus Saloniki nach Verdun zu ziehen.

Mit der Antwort, daß die auf Beendigung des Krieges gerichteten Bestrebungen nicht die Interessen unserer Verbündeten beeinträchtigen dürfen, beabsichtigte seine Majestät die Franzosen zu veranlassen, gegebenenfalls mit bestimmteren Vorschlägen hervorzutreten.

Im Verlauf des Gesprächs hat der Kardinal auch den Rat des Papstes angedeutet, wir sollten einen Eris-Apfel unter die Entente werfen, und zwar scheint der Papst zu glauben, daß eine Erklärung an die Franzosen, daß wir Belgien nicht behalten wollten, die Wirkung haben werde, sie von den Engländern zu trennen. Seine Majestät hält dies für irrig, ganz abgesehen davon, daß wir doch in irgendeiner Form Belgien in den deutschen Konzern einbeziehen müßten.

Im allgemeinen geht die Auffassung Seiner Majestät dahin, daß, so verworren und unklar der vorliegende Vorschlag zu einer Verschiebung der militärischen Kräfte und Operationen auch sei, doch das eine daraus entnommen werden könne, daß ein Gegensatz zwischen Rußland und den Westmächten besteht, der diesen die Fortsetzung des Krieges verleidet, und daß Frankreich vielleicht versucht, auf diesem Wege mit uns Fühlung zu bekommen. Ob diese Auffassung zutreffe, könne man daraus ersehen, wie die Franzosen auf die Antwort reagieren. Jedenfalls könne er den Franzosen keinerlei Gefälligkeit erweisen, solange sie nicht mit dem Schießen aufhörten.


[Grünau]
[Bethmann Hollweg am 6.5. an Grünau (Nr. 602)]

Abschrift.

Für General von Falkenhayn :

Seine Majestät der Kaiser hat mir und Baron Grünau Mitteilung über die Mission des Cardinals Hartmann machen lassen.

Aus der etwas verworrenen Meldung des Cardinals ist es schwer, sich über Motive und Zweck der angeblichen französischen Anregung ein klares Bild zu machen. Zunächst möchte ich auch der Meinung sein, daß es sich um einen Trick handelt, mit welchem die Franzosen und Engländer die Zurückziehung der bulgarisch-deutschen Truppen erreichen möchten, um dann mit Anstand das französisch-englische Contingent ebenfalls von dort zurückziehen zu können. Vielleicht war auch ein Degagement der Engländer im Irak beabsichtigt, wo der inzwischen eingetretene Fall von Kut-el-Amara ja eine schwere Einbuße des englischen Prestiges bedeutet. Der Papst hätte sich demnach mißbrauchen lassen. Bei einer so klugen und uns wohlgesinnten Persönlichkeit, wie Benedikt XV. wäre es aber merkwürdig, wenn derselbe auf ein so plumpes Manöver hereingefallen wäre. Es ist aber wohl nicht ganz auszuschließen, daß der Angelegenheit eine tiefere Spaltung zwischen den Westmächten und Rußland zu Grunde liegt, die der Papst zur Herbeiführung des von ihm ersehnten Friedens ausnützen möchte.

Um die Zusammenhänge richtig beurteilen zu können, wäre ich Ew. Pp. dankbar für eine Mitteilung Ihrer Ausfassung über die militärische Lage im Kaukasus, besonders darüber, ob wirklich eine ernstliche Bedrohung Konstantinopels durch die Russen möglich erscheint. Ebenso wäre ich dankbar für eine Mitteilung der genauen Fassung des dem Kardinal erteilten Bescheides.


Der Reichskanzler



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