1916-12-11-DE-004
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Quelle: /PA-AA/R 20111
Zentraljournal: 1916-A-34108
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 12/15/1916 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 759
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Kühlmann) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht


Pera, den 11. Dezember 1916

Abschrift.

Mit Bezug auf den Erlaß vom 3. November No. 1179.

In letzter Zeit ist von Konsul Bergfeld in Samsun und Leutnant Schede in Kerassund die Meldung eingegangen, daß die schon lange befürchtete Aussiedelung der griechischen Küstenbevölkerung nunmehr beschlossen sei und sofort ins Werk gesetzt werden werde. Die Maßnahme wird damit begründet, daß russische Torpedoboote die Räuberbanden, die dort ihr Wesen treiben, mit Waffen versorgt haben, und daß man einem Plane auf die Spur gekommen ist, wonach unter der griechischen Bevölkerung 20 Kompagnien angeworben werden sollten, um die rückwärtigen Verbindungen der III. Armee zu bedrohen.

Da hiernach militärische Gründe den Beschluß hervorgerufen haben, habe ich den Militär-Bevollmächtigten veranlaßt, den Kriegsminister in nachdrücklichster Form darauf hinzuweisen, daß eine Wiederholung der Vorgänge, die sich bei der Aussiedelung der Armenier abgespielt haben, in eigenstem Interesse der Türkei vermieden werden muß. General von Lossow hat von Enver Pascha die Versicherung erhalten, daß es sich tatsächlich um eine rein militärische Maßnahme handele, bei deren Ausführung nicht über das militärisch Notwendige hinausgegangen werden solle. Eine Entfernung der ganzen griechischen Bevölkerung sei geboten, da auch Frauen und Kinder dem Feinde Vorschub geleistet hätten. Geräumt werde ein Küstenstrich bis zu 50 km landeinwärts. Die Einwohner könnten innerhalb einer Frist von einem Monat den Tag ihres Abzugs wählen, ebenso hätten sie Freiheit in der Bestimmung ihres künftigen Aufenthaltsortes. Von ihrer Habe dürften sie mitnehmen, soviel sie wollten und könnten. An eine Liquidation des zurückbleibenden Vermögens, wie bei den Armeniern, sei nicht gedacht; dieses werde unangetastet bleiben, es könnten auch Wächter zum Schutze zurückgelassen werden.

Ich habe diese Zusicherung Enver Paschas, chiffriert und gleichzeitig offen, an Konsul Bergfeld und Leutnant Schede telegraphiert und habe beide beauftragt, mich über die Ausführung auf dem laufenden zu erhalten. Auch die offenen Telegramme sind richtig befördert worden.

Enver Pascha hat später dem General von Lossow eine Meldung Wehib Paschas, des Oberbefehlshabers der III. Armee vorgelesen, wonach nur an 2 Orten, die nachgewiesenermaßen die von den Russen organisierten Räuberbanden unterstützten, mit Strenge eingeschritten worden sei, während im übrigen die Aussiedelung in der Form, wie es Enver dargestellt hatte, ausgeführt werde. Ein deutscher Feldwebel, der sich wegen der Verproviantierung der georgischen Legion mehrere Tage in den Dörfern südlich Kerasund aufgehalten und den Abtransport beobachten konnte, bestätigt, daß Übergriffe der Gendarmen nicht vorgekommen sind, daß den Ausgesiedelten nach Möglichkeit Unterkunft und Gelegenheit, Brot zu kaufen, gegeben wird und daß durchweg milder verfahren wird, als seiner Zeit bei den Armeniern.

Man darf sich aber nicht verhehlen, daß die Aussiedelung in der jetzigen Jahreszeit und bei dem Mangel an Organisation der Verpflegung die Bevölkerung sehr hart trifft und daß Kälte, Hunger und Krankheiten viele Opfer fordern werden.

Nach einer Meldung des Konsuls in Samsun vom 7. Dezember ist der dortige griechische Metropolit zu Wehib Pascha gereist, um eine Beschränkung der Maßnahme zu erlangen. Wehib Pascha gilt nicht als griechenfeindlich.


[Kühlmann]

Nachschrift.

Nachträglich ist vom Konsulat in Samsun folgende Meldung eingegangen:

„Hiesige Division behauptet Nachricht zu haben von einem in den nächsten Tagen bevorstehenden kombinierten Angriff der Banden und russischen Flotte auf Samsun, was ich für unwahrscheinlich halte.

Die Einkesselung der Banden zwischen Terme und Samsun macht angeblich Fortschritte. Bisher sind 250 Bandenmitglieder getötet, Gefangene werden nicht gemacht. Fünf griechische Dörfer, die Deserteure bergen sind eingeäschert worden. Eine generelle Deportation von Griechen aus Samsun wird sich zunächst vermeiden lassen.“



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