1914-10-10-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 22403
Zentraljournal: 1914-A.H.-1528
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Telegramm-Abgang: 10/10/1914 07:15 AM
Telegramm-Ankunft: 10/10/1914 02:45 PM
Praesentatsdatum: 10/10/1914 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 689
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt (Zimmermann) an das Große Hauptquartier (Jagow)

Telegraphischer Bericht



Nr. 689.

Berlin, den 10. Oktober 1914.

Auf Euerer Exzellenz unter No. 618 mitgeteiltes Telegramm aus Konstantinopel hatte ich den K. Botschafter nach den Gründen gefragt, die dem Vorstoß unterer Schiffe gegen Rußland z. Zt. noch entgegenstehen. Zugleich hatte ich erwähnt, daß England und Rußland nach hier vorliegenden Nachrichten eifrig und anscheinend mit Erfolg an der Arbeit seien, uns die Türkei abspenstig zu machen.

Freiherr von Wangenheim telegraphiert hierzu unter No. 985:

[Nicht erwähnter Zusatz in Telegramm No. 985: „Antwort auf Telegramm Nr. 862 und 872.“]

Die Gründe, welche dem Vorstoß unserer Schiffe und türkischer Flotte gegen russische Streitkräfte stehen, sind in meiner Antwort auf Telegramm des kaiserlichen Staatssekretärs vom 23. September Nr. 13 ausführlich dargelegt. Ich bin auch heute noch der Ansicht, daß die uns wohlwollende Neutralität der Türkei ein starkes Aktivum für uns darstellt, während die verfrühte Verwickelung der Türkei in die kriegerischen Ereignisse ein aleatorisches Unternehmen wäre. Der bewaffneten neutralen Türkei verdanken wir fast ausschließlich den Umschwung der Stimmung in Rumänien. Durch Sperrung der Dardanellen ist jeder Handelsverkehr zwischen Rußland und seinen Verbündeten durch das Mittelmeer abgeschnitten. Von der neutralen Türkei ist erreicht worden, daß der Khedive den Mut gefunden hat, mit England zu brechen. Erklärt Türkei den Krieg, so wird sie für uns nur solange Bedeutung haben, als sie ungeschlagen bleibt. Erleidet sie einen Echec, so ist damit auch ihr sonstiger politischer und militärischer Wert für uns verschwunden. Ein einziger glücklicher Torpedotreffer der russischen Flotte, der die Göben außer Gefecht setzte, würde gleichzeitig die ganze türkische Flotte vernichten und alle sonstigen militärischen Unternehmungen im Schwarzen Meer unmöglich machen. Mir erscheint Intervention der türkisch-deutschen Flotte im allgemeinen erst dann angezeigt, wenn die sonstigen strategischen Ziele des Feldzugs für die Türkei genügend vorbereitet sind. In letzterer Beziehung sind Versäumnisse von Jahrzehnten nachzuholen. Noch sind keine Waffen für Kaukasus- und afghanische Expedition hier eingetroffen; es fehlen die Lastautomobile für Egypten. Sobald Türkei Krieg führt, wird Rumänien voraussichtlich Durchfuhr verbieten, Italien vielleicht Ausfuhr der Automobile. Türkische Kriegserklärung könnte Einmarsch der Russen in Armenien zur Folge haben, noch bevor türkischer Einfall nach dem Kaukasus vorbereitet ist. England, welches bis jetzt zögert, dem Kalifen Krieg zu erklären, würde türkische Kriegserklärung an Rußland als plausiblen Vorwand benutzen, um seinerseits als Verbündeter Rußlands Feindseligkeiten gegen Türkei zu eröffnen. Es könnte dann sofort Egypten annektieren und Truppen in Syrien landen, was das Ende der Egypten-Expedition bedeuten würde.

Ueber die Bemühungen Englands, Rußlands und Frankreichs, uns die Türken abspenstig zu machen, habe ich wiederholt Meldung erstattet. Derartige Bestrebungen werden auch jetzt intensiv fortgesetzt. Es scheint mir aber nicht billig, den Türken vorzuwerfen, daß solche Treibereien bei ihnen Erfolg haben, nachdem eben jetzt die Türkei durch Drohungen an Rumänien sich in unserem Interesse in den schärfsten Gegensatz zur Tripelentente gestellt hat. Ich glaube, daß wir auch weiter fest auf die Türkei rechnen können. Regierung kann gegen Volksstimmung und gegen Enver, den Mann der Armee, nicht aufkommen. Daß die Türkei schließlich für uns ihre Existenz nicht aufs Spiel setzen wird, falls wir den Krieg verlieren sollten, ist selbstverständlich. Bis zu einem gewissen Grade hängt auch die Haltung der Türkei, aber weniger als diejenige Rumäniens und Bulgariens, von unseren Erfolgen ab.

Ministerium hat inzwischen die Bedingungen, an welche es bisher das türkische Eingreifen knüpfte, nämlich das gleichzeitige Losschlagen Bulgariens fallen lassen. Regierung ist bereit, sobald entweder in Frankreich oder in Galizien ein entscheidender Erfolg von uns errungen wird, ihre ganze Land- und Seemacht in den Dienst der deutschen Interessen zu stellen. Envers Plan ist folgender: Souchon wird zum türkischen Admiral und Oberkommandierenden der türkischen Flotte ernannt, unter Aufrechterhaltung seiner Immediatstellung als deutscher Admiral. Das Nähere wird heute zwischen Enver und den Admiralen verabredet. Enver wird dafür sorgen, daß dann Souchon allein über die Fahrt der Flotte zu bestimmen hat. Siegen wir in Rußland oder Frankreich, so kann Souchon ohne weiteres kriegerische Unternehmungen im Schwarzen Meer beginnen.“ Auf Rückfrage meldete der Botschafter, daß seine im vorstehenden Telegramm erwähnte Antwort auf Telegramm Euerer Exzellenz No. 13 vom 24. September direkt an das Große Hauptquartier gegangen sei.

Ob Euerer Exzellenz Telegramm No 13 [Anmerkung Großes Hauptquartier: Ist nicht mitgeteilt] nach Konstantinopel mit einer der unter No. 191 und 193 hierher mitgeteilten Instruktionen identisch ist nicht ersichtlich [Tel. Nr. 13 s. Dok. 1914-09-23-DE-002]. Die Antwort des Botschafters und die anscheinend vorausgegangenen direkten Telegramme aus Konstantinopel liegen hier nicht vor.

Zur richtigen Einschätzung hierher eingehenden sonstigen Nachrichtenmaterials und für mein Verhalten gegenüber fremden Vertretern ist Kenntnis dortiger direkten Telegramme und Schriftwechsel mit kaiserlichen Missionen nicht zu entbehren.


[Zimmermann]

[Antwort Jagow 11.10.]


Ew. pp. lasse ich beifolgend Abschrift meines Telegramms nach Konstantinopel Nr. 13 vom 23. v.M. sowie die Antwort des Frh. v. W. vom 24. [s. Dok. 1914-09-24-DE-003] ergebenst zugehen. Mein Telegramm beruhte auf einem Ersuchen des Generalstabes in Folge von direkter Berichterstattung des General v. Liman.



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