1915-08-20-DE-009
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Quelle: DE/PA-AA/R 20006
Zentraljournal: 1915-A-25175
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 08/27/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 520
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Hohenlohe-Langenburg) an den Reichkanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



1 Anlage.

Pera, den 20. August.1915.

Euerer Exzellenz beehre ich mich in der Anlage Abschrift einer Aufzeichnung über Aussagen englischer Gefangener von der Dardanellenfront zur geneigten Kenntnisnahme zu übersenden.

Dem stellvertretenden Generalstab geht eine Abschrift der Aufzeichnung unmittelbar zu.


Hohenlohe


Anlage

Kommando Konstantinopel.

Constantinopel, den 18. August 1915.

Aussagen englischer Gefangener.

Mit Zustimmung des Vize-Generalissimus hat das Etappenkommando den seit längerer Zeit hier befindlichen Deutsch-Amerikaner Schreiner, Korrespondent der Associated Press, beauftragt, die im Lazarett „Harbié“ untergebrachten englischen Verwundeten zu besuchen.

Die meisten Informationen bekam er von 2 Engländern, die bei Seddul Bahr gefangen genommen wurden und am 25.4. bezw. Anfang Mai dort gelandet waren. Ferner von einem am 29.7. nördlich Ari Burnu gelandeten und in den letzten Kämpfen gefangen genommenen Mann.

Sie sind nachstehend zusammengefasst:

1.) Übereinstimmend erklärten die Leute, dass alle Landungsdetachements sehr unter der Hitze, unter dem Wassermangel und unter mangelhafter Verpflegung zu leiden haben. Wasser wird in Tankdampfern von den Inseln an die Landungsstellen gebracht, ist nach kurzer Zeit abgestanden und kaum geniessbar. An Verpflegungen erhalten die Leute pro Tag regelmäßig 6 Bisquits, 1 Unze Mehl und 1 Unze Rosinen, sowie amerikanisches Büchsenfleisch in genügender Qualität. Frisches Fleisch und Gemüse kommt nur einmal in der Woche auf den Speisezettel, ebenso Kartoffeln.

2.) Das Verhältnis zwischen Engländern und Franzosen ist sehr schlecht. Die Offiziere verkehren nur wenig mit einander, die Mannschaften garnicht; bei zufälligen Begegnungen fiel oft ein gegenseitiges Schimpfwort.

3.)Bei Sedul Bahr stehen am äussersten rechten Flügel die Franzosen, daran anschliessend Senegal-Neger, dann Gurkas, Sikhs und dann erst die englischen Truppen. Diese Aufstellung soll eine räumliche Trennung der Engländer von den Franzosen bezwecken.

4.) Auf die Gurkas ist kein Verlass. Man hat ursprünglich die Absicht gehabt, sie in kleineren Gruppen auf die ganze Front zu verteilen, hat aber aus administrativen Rücksichten davon abgesehen. (Schreiner meint, dass nach seinen Wahrnehmungen die Gurkas den schwachen Punkt der feindlichen Linie darstellten).

5.) Das Expeditionskorps hat ursprünglich aus etwa 145000 Mann bestanden, von denen bei der ersten Landung etwa 70000 vorgeschickt wurden. Der Rest verblieb auf den verschiedenen Inseln, in Ägpten und in Malta als Reserve. Augenblicklich sind auf den Inseln keine grossen Truppenreserven mehr vorhanden.

6.) Die bisherigen Verluste sollen recht schwer gewesen sein (genaue Zahlen konnten nicht genannt werden). Auch ist in Folge der schlechten Ernährung ein beachtenswerter Prozentsatz der Mannschaften krank. In der Hauptsache handelt es sich um Darmbeschwerden.

7.) Die englischen Truppen sind sehr erstaunt gewesen, dass die letzte Landung in der Nähe von Ari Burnu stattgefunden hat. Man hat allgemein mit einer Landung dicht bei Enos gerechnet, in der Meinung, dass sie dort sicherlich einen besseren Erfolg gehabt hätten.

8.) Ueber die allgemeine Kriegslage sind die Leute garnicht unterrichtet. Das letzte, was sie von den Vorgängen im Osten gehört haben, war die Einnahme von Przemysel und Lemberg. Ferner haben ihnen ihre Offiziere erzählt, dass die Rrussen bei der Bosporus-Mündung ein starkes Korps gelandet haben und dass sich diese dort, ebenso wie die Alliierten auf der Gallipoli-Halbinsel, fest eingegraben haben und grössere türkische Truppenmassen festhalten. Alles rechnet mit dem Druck der russischen Truppen, der früher oder später auch auf der Gallipoli-Halbinsel den Erfolg gewährleisten müsse. Dass gar keine Russen am Bosporus-Eingang stehen, wollen die Leute nicht glauben.

9.) Die türkischen Truppen schlagen sich nach Ansicht der Gefangenen recht gut und benehmen sich anständig. Ueber die Aufnahme in Constantinopel, über Pflege und Verpflegung in der Harbié sprachen sich die Gefangenen sehr anerkennend aus.

10.) Die türkische Artillerie solle sehr ungleichmässig schiessen. In der Regel zu hoch; besonders bei Schrappnells. Die Munition sei nicht besonders gut.

11.) Der Abtransport der Verwundeten vom Dardanellen-Expeditionskorps macht recht grosse Schwierigkeiten. Ägypten soll mit Kranken überfüllt sein, in Malta seien Ende Juli alle Hospitäler voll gewesen und man habe trotzdem weitere 5000 Verwundete in den nächsten Tagen erwartet.

12.) Die Anwesenheit deutscher Unterseeboote macht sich scheinbar recht unangenehm fühlbar. Man hat daher die einzelnen Liegeplätze der Schiffe mit Minen und Netzsperren umgeben.



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