1915-11-10-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R 20194
Zentraljournal: 1915-A.S.-5711
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 11/17/1915 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der künftige Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Wolff-Metternich) aus Bukarest an den Staatssekretär des Auswärtigen Amts (Jagow)

Bericht


Rustschuk, den 10. November 1915

(Gesandtschaft)


Abschrift.

Ihre Majestäten der König und die Königin von Rumänien empfingen mich gestern auf ihrem Schlosse bei Bukarest.

Bei beiden war der dringende Wunsch, neutral zu bleiben zu erkennen.

Der Ministerpräsident Bratianu empfing mich heute unmittelbar vor meiner Abreise von Bukarest. Er führte aus, daß der sekuläre Gegensatz zu Ungarn und die Freundschaft für Serbien, die noch während des letzten Balkankrieges hervorgetreten sei, die Stimmung in Rumänien gleich von Anfang des Krieges an zu Ungunsten der Zentralmächte beeinflußt habe. Wäre der Krieg anstatt gegen Serbien ursprünglich gegen Rußland losgebrochen, so würde die rumänische Regierung eine andere Haltung haben annehmen können.

Ich bemerkte, die Stimmung in Rumänien scheine in Folge unserer Erfolge in der letzten Zeit ruhiger geworden zu sein. Herr Bratianu verneinte dies. Die inneren Schwierigkeiten seien im Gegenteil für ihn seit der neuen Phase des Krieges gegen Serbien und dem Eingreifen Bulgariens gewachsen. Die öffentlichen Kundgebungen der Opposition würden von weiten Schichten der Bevölkerung getragen, und solange kein definitives Resultat des serbischen Krieges vorliege, sähe er einer ernsten Zeit entgegen.

Ich erwiderte, dieses definitive Resultat werde angesichts der rapiden Erfolge unserer Waffen auf dem serbischen Kriegsschauplatz nicht lange auf sich warten lassen. Der Minister warf die Bemerkung ein:

„Wie lange? Monate oder Wochen?“

Und was dann geschehen solle? Ob Frieden mit Serbien in Aussicht stände? Er habe sich sagen lassen, daß Deutschland zwar nach Sicherung des Weges nach Constantinopel den serbischen Krieg zum Abschluß zu bringen wünsche, daß dies aber von österreichisch-ungarischer Seite zweifelhaft sei. Auch glaube er kaum, daß die Serben so bald schon zum Frieden bereit seien. Sie hofften immer noch auf die schließliche Hilfe der Ententemächte und könnten sich ev. in die Berge zurückziehen und von dort aus den Krieg in die Länge ziehen. Übrigens ist er der Ansicht, daß sich das Serbische Heer nur der deutschen Truppenmacht ergeben werde, um zu vermeiden, daß es in die Hände der Ungarn oder Bulgaren falle.

Ich erwidert, sei erst die Hauptmacht der Serben geschlagen und ihnen die Geschütze zum großen Teil abgenommen, so könnten die gesprengten serbischen Streitkräfte in den Bergen keinen regelrechten Krieg mehr führen. Die militärischen Operationen seien dann in der Hauptsache beendet und bedeutende militärische Kräfte der Zentralmächte würden frei, um sie zu verwenden, wo es nützlich erscheine. Der Minister sagte hierauf, sei unser Kriegsziel in Serbien erreicht, wo würde er den oppositionellen Strömungen in Rumänien gegenüber eine freiere Hand haben.

Mir scheine, so bemerkte ich ferner, der kritische Moment für Rumänien trete ein, falls Rußland eine Armee an der Grenze der Moldau versammle, und ev. nach griechischem Vorbilde den Durchzug durch Rumänien verlange. Der Minister behauptete, er glaube nicht, daß dies in der Absicht Rußlands liege. Ein solches Verlangen würde kategorisch abgewiesen und, falls erforderlich, auch mit militärischer Macht abgewehrt werden, für welchen Fall, wie ich wisse, die militärische Hilfe Deutschlands zugesagt sei.

Es sei ihm zwar unbekannt, wieviel Truppen wir dann den Rumänen zur Hilfe senden würden. Dieser Punkt sei für Rumänien äußerst wichtig.

Ich erwiderte, diese Frage könne nur von Militär zu Militär festgelegt werden. Ich könne ihm darüber keine Auskunft erteilen. Übrigens, meinte er, seien nach seinen Nachrichten schon ungefähr 200000 Mann russischer Truppen in der Gegend von Reni versammelt. Als ich bemerkte, diese Zahlen seien doch wohl außerordentlich übertrieben, gab er dies als sehr gut möglich zu.

Die Frage, ob denn noch keine allgemeinen Friedensaussichten vorhanden wären, beschäftigte ihn lebhaft. Ich bemerkte, zum Friedenschließen gehörten mindestens zwei; diese zwei seien mir noch nicht bekannt.

An Friedensgeneigtheit in Rußland, auch auf seiten der reaktionären und Hofpartei, glaubt Herr Bratianu noch nicht. Goremykin und auch die Großfürsten, welche nicht auf seiten des früheren Generalissimus ständen, seien nach dem, was er aus Rußland erfahre, noch keineswegs zum Frieden geneigt.

Der rumänische Ministerpräsident behauptet demnach, einem militärischen Druck Rußlands nicht nachgeben zu wollen und sich ihm, falls notwendig, mit Gewalt entgegenzusetzen, wobei er auf die ihm von uns zugesicherte Hilfe rechnet, über deren Stärke er im Unklaren ist.

Politisch wäre es, um ihn bei der Stange zu halten und ihm Mut zu machen, wichtig, hierüber mit ihm, resp. mit dem rumänischen Generalstabe, baldmöglichst in Verhandlungen zu treten.

Inwieweit es vom militärischen Standpunkt möglich und nützlich ist, schon jetzt den Umfang und die Art der Rumänien zu leistenden Hilfe zu bestimmen, wird Erwägung der Obersten Heeresleitung sein. Für sehr erwünscht würde ich es ferner halten, wenn der Kaiserliche Gesandte, Herr von Bussche angewiesen wird, sowohl dem König, wie Herrn Bratianu keinen Zweifel darüber zu lassen, daß Rumänien zum Schlachtfeld wird, wenn es die Rolle Griechenlands spielt, und einen russischen Einbruch nicht „a limine“ und „manu militare“ abweist, daß vielmehr in diesem Falle der sofortige Einmarsch der verbündeten Zentralmächte in Rumänien erfolgen würde.

Der Gedanke, daß Rumänien, ähnlich wie Belgien, zum Kampfplatz wird, hat, wie ich aus der Unterhaltung feststellen konnte, sowohl für das Königspaar, wie für Herrn Bratianu, etwas sehr Schreckhaftes.

Also auf der einen Seite Präzisierung unserer militärischen Hilfeleistung für den Fall russischer Drohung, auf der anderen Seite die Benehmung jeden Zweifels darüber, daß eine passive militärische Haltung Rumäniens bei russischem Einbruch als Gegenmaßregel den sofortigen Einmarsch der verbündeten Heere zur Folge haben wird.

Abschrift dieses Berichts geht an die Kaiserliche Gesandtschaft in Bukarest.


[P. Metternich]



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