1916-10-09-DE-002
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Quelle: /PA-AA/R 20106
Zentraljournal: 1916-A-29530
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 11/01/1916 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: J. Nr. 1032
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Konsul in Damaskus (Loytved Hardegg) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht


Damaskus, den 9. Oktober 1916

Unter Bezugnahme auf meine Berichte vom 25. u. 26. Juni - betreffend die egyptische Expedition – N. 600 u. 601 {A 18550} beehre ich mich gehorsamst zu melden, daß die Engländer, nachdem sie den Angriff des osmanischen Expeditionskorps am 4. August bei Bir Rummane abgeschlagen haben, nunmehr zur Offensive überzugehen scheinen. Sie bauen gegenwärtig eine Eisenbahn von 1,5 m Spurbreite vom Kanal der Meeresküste entlang über Katia, Bir el Abd, Bir Mesar nach el Arisch. Die Schienen sollen schon auf einem festen Unterbau, der einen Schnellzugverkehr zuläßt, bis Bir el Abd, 70 km östliche des Kanals, gelegt sein und täglich um 0,75 km vorgeschoben werden. Die Entfernung Bir el Abd - El Arisch, wozwischen in der Mitte Bis Mesar liegt, beträgt 80 km, sodaß die Eisenbahn voraussichtlich in 2 1/2 Monaten, d.h. Mitte Dezember in El-Arisch sein kann, vorausgesetzt daß nicht besondere Störungen eintreten.

Da die Engländer allmählich die Schwäche der diesseitigen Truppenmacht erkannt haben, muß man damit rechnen, daß sie etwa im Frühjahr ihr ehemaliges Sinaigebiet zurückzuerobern und vielleicht auch weiter vorzustoßen versuchen werden. Wenn sie El-Arisch nehmen, ist Palästina stark bedroht. Gleichzeitig wird jeder englische Erfolg im Sinai die Aufstandsbewegung im Hedschas fördern und die wachsende Opposition der Syrer gegen die Türken stärken. Die hiesige Volksstimmung ist bereits wegen der zu scharfen antiarabischen Politik der Regierung, wegen der zunehmenden Teuerung der Lebensmittel und der empfindlichen Geldnot gereizt. Bei der mangelhaften wirtschaftlichen Organisation ist auch keine Besserung zu erhoffen, sodaß der vor den Toren stehende Feind eine ihm nicht ungünstige Stimmung hier vorfinden würde. Nach Ansicht Sachverständiger sollen wenigstens 2 kriegsstarke Armeekorps von rund 50000 zuverlässiger und gut ausgerüsteter Soldaten erforderlich sein, um Palästina und Syrien zu verteidigen. Gegenwärtig sind in Palästina und Syrien sehr wenig Truppen. Das in Palästina stehende VIII. Armeekorps soll nur 3000 Gewehre jetzt zählen. Im Sinai werden nur noch geringe Kräfte zur Bewachung der dort eingerichteten Anlagen gehalten. Der Bau der Hedschas-Egypten-Bahn, die 4 km über die alte türkisch-egyptishe Grenze geht, soll nur noch 10 km weiter bis Kuseine geführt werden. Den südlichsten Hauptstützpunkt soll Bir Saba bilden und El Arisch wird soweit als möglich befestigt. Aber bei den geringen vorhandenen Verteidigungsmitteln dürfte sich El-Arisch gegen einen Angriff der Engländer von der See- und Landseite nicht lange halten können. Der Generalstabschef der 4. Armee beabsichtigt ferner Jerusalem, Nazaret und Sofar im Libanon zu befestigen. Die deutschen und österreichischen Truppen der Paschaformation sollen jetzt größtenteils um Jerusalem zusammengezogen werden. Der Kommandeur des I. egyptischen Expeditionskorps, Oberst Freiherr von Kress wird den Oberbefehl über das in Palästina befindliche VIII. Armeekorps mit dem Sitz in Jerusalem oder Bir es Saba, und Dschemal Pascha II, der bisherige Kommandeur dieses Korps, die um Adana und im Libanon befindlichen beiden Divisionen mit dem Sitz in Damaskus übernehmen. Es sollen demnächst 2 Divisionen von Norden zur Verstärkung hierherkommen.

Die Fertigstellung der hiesigen Radio-Großstation wird beschleunigt, um einen schnelleren Verkehrsdienst von Bir Saba bis Konstantinopel herzustellen. Sie macht gegenwärtig Versuche, um nach Bir Saba zu senden und wird voraussichtlich in 2-3 Monaten auch nach Konstantinopel senden können. Ferner ist seit einer Woche eine deutsche Fernsprechabteilung im hiesigen osmanischen Telegraphenamt eingestellt, die mit der Hugheseinrichtung einen schnellen Verkehr mit den Hauptstädten Syriens und Konstantinopel ermöglicht. Die hiesige neue Funk- und Fernsprecheinrichtung wird in kritischen Zeiten große Dienste leisten. Die im Frühjahr drohende Offensive der Engländer im Sinai, der Aufstand im Hedschas, die Teuerung der Lebensmittel und die Geldnot, die Unzufriedenheit der syrischen und arabischen Bevölkerung enthalten die Voraussetzungen einer Krisis, der nur mit rechtzeitiger Vorbereitung der erforderlichen Gegenmittel vorgebeugt werden kann.

Da die Lebensader Syriens nach Anatolien führt, ist es von größter Bedeutung, daß die Transportverhältnisse im Taurus und Amanus möglichst gut werden. Ebenso wichtig ist die Sicherstellung der Betriebsmittel für den hiesigen Eisenbahnverkehr. Der Eisenbahndienst läßt sehr zu wünschen übrig und wird immer schlechter. Es fehlt vor allem an Ersatzteilen für die schon sehr abgenutzten Lokomotiven, an Schmieröl und Brennmaterial.

Ein Bericht gleichen Inhalts ist an die Kaiserliche Botschaft gegangen.


Loytved Hardegg


[Jagow am 7.11. an Grünau (Nr. 185)]

In dem abschriftlich anliegenden Bericht vom 9. v.M. schildert der Kaiserliche Konsul in Damaskus die gegenwärtige militärische Lage auf der Sinaihalbinsel. Er kommt zu dem Schluß, daß im nächsten Frühjahr mit der Möglichkeit eines englischen Angriffs auf das Heilige Land gerechnet werden müsse. Der gleichen Befürchtung gab der Euer pp. kürzlich übersandte Bericht eines aus Syrien zurückgekehrten Vertrauensmannes Ausdruck. Ew. pp. bitte ich der Obersten Heeresleitung einen Abdruck der Anlage mitzuteilen und dabei mündlich darauf aufmerksam zu machen, daß es auch aus politischen Gründen sehr erwünscht wäre, wenn den Engländern ein Vorstoß gegen das eigentliche Palästina unmöglich gemacht werden könnte. Deutschland an der Seite der „ungläubigen“ Türken im Kampf um die heiligen Stätten gegen eine andere christliche Macht würde natürlich für unsere Gegner ein willkommenes Schlagwort sein.

J[agow]



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