1915-07-11-DE-004
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Quelle: DE/PA-AA/R 02189
Zentraljournal: 1915-A.S.-3664
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 07/11/1915 08:25 PM
Telegramm-Ankunft: 07/11/1915 11:20 PM
Praesentatsdatum: 07/12/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 1582
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an das Auswärtige Amt




Pera, den 11. Juli 1915

Ich telegraphiere soeben an Gesandtschaft Sofia:

Aus Telegrammen des Grafen Tarnowsky an Markgraf Pallavicini geht hervor, daß Herr Radoslawoff zwar die türkischen Anerbietungen als ausreichend, die türkischen Gegenforderungen aber als unannehmbar ansieht. Die Türkei solle „aus gutem Herzen“ zunächst einmal die von Bulgarien begehrten Territorien abtreten. Dafür werde Bulgarien der Türkei treue Freundschaft halten. Dagegen könnte Bulgarien nicht als Gegenleistung seinen Eintritt in den Bund der Zentralmächte in Aussicht stellen. Die Abtretungsfrage und die Bündnisfrage ständen in keinem Zusammenhang. Das Bündnis mit den Zentralmächten werde sich aus der Verständigung mit der Türkei von selbst ergeben. Herr Tontscheff habe sogar bemerkt, daß Bulgarien sofort in den Besitz der zedierten Gebiete gesetzt werden müsse, da es sich mit einer Garantie Deutschlands und Österreichs nicht begnügen könne.

Es bedarf wohl keines Beweises, daß die Türkei auf diese geradezu kindischen Propositionen Bulgariens niemals eingehen kann. Es ist hier unter vielen Mühen gelungen, die Türken zu überzeugen, daß sie Opfer bringen müssen, damit Bulgarien sich den Zentralmächten anschließt. Wenn dieser Zweck nicht in absolut einwandfreier Weise erreicht wird, ist jedes territoriale Opfer seitens der Türkei ausgeschlossen. Kein türkischer Staatsmann wird dafür zu gewinnen sein und es dem Land gegenüber vertreten können, daß er auf ein vages Zukunftsversprechen hin, wichtige Landesteile preisgibt. Das werden sich die Bulgaren bei ihrem praktischen Geschäftssinn wohl selbst sagen.

Ich kann hier vielleicht noch erreichen, daß die Türken auch im östlichen Thrazien eine kleine Abtretung machen und daß sie auf das unmittelbare Losschlagen der Bulgaren versichten, welches übrigens vielmehr im Interesse der letzteren als der Türken liegt. Es muß aber unbedingt durch das Abkommen jeder Möglichkeit vorgebeugt werden, daß Bulgarien etwa später noch wieder zur Entente abspringt. Wie das bei den heutigen Anschauungen über Vertragstreue erreicht werden kann, ohne daß Bulgarien sich alsbald der Entente gegenüber irgendwie ernstlich kompromittiert, weiß ich allerdings nicht.

Markgraf Pallavicini und ich haben bisher den Eindruck, daß Bulgarien durch die Verhandlungen mit der Türkei zunächst die Entente beruhigen und bessere Preise von ihr herauspressen will und garnicht daran denkt, sich mit uns zu verbinden. Nebenbei dürfte Herr Radoslawoff feststellen wollen, wieviel er äußersten Falls von der Türkei herausschlagen kann, um dann die verschiedenen Angebote gegen einander abzuwägen. Die Bemerkungen der bulgarischen Staatsmänner gegenüber dem Grafen Tarnowsky, daß die Verhandlungen wohl längere Zeit dauern könnten, deuten darauf hin, daß Bulgarien auf den zunehmenden Munitionsmangel hier spekuliert. Die jetzt vorliegenden genauen Erhebungen über die vorhandene Munition und die Möglichkeit ihres Ersatzes durch hiesige Fabrikation ergeben glücklicherweise, daß die Türkei noch recht lange auskommen kann, ohne Bulgarien an seine vertraglichen Verpflichtungen erinnern zu müssen. Es gibt auch noch den Ausweg, daß Rumänien durch österreichische Konzessionen oder auf anderem Wege gewonnen wird und daß dann die Kriegsbedürfnisse unter dem Schutz der türkischen Schiffe und Unterseeboote auf dem weit kürzeren Wege von Konstantza nach Konstantinopel gebracht werden



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