1916-06-05-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R 20075
Zentraljournal: 1916-A-15207
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 06/08/1916 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 284
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Wolff-Metternich) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht


Pera, den 5. Juni 1916

Die Eindrücke des mit Enver Pascha von der Inspektionsreise in Kleinasien und im Irak zurückgekehrten Militärbevollmächtigten, Generals v. Lossow, sind günstigster Art. Die türkischen Truppen der 2. und 3. Armee, also in dem armenischen Grenzgebiet, seien in guter Verfassung und für lange hinaus genügend mit Lebensmitteln versorgt. Auch die 6. Armee im Irak werde ständig verstärkt und sei in der Lage, die Russen zurückzudrängen. In der Tat haben die Türken die Russen in der Richtung Ersindjan – Erserum bis nach Aschkala zurückgeworfen. Auch ist ein von den Russen bei Hanekin versuchter Vorstoß, wie mir Enver Pascha heute sagte, blutig abgewiesen worden.

Die Umstände, unter denen die Besatzung von Kut-el-Amara sich ergab, bilden kein Ruhmesblatt für die Engländer. Die einschließenden Türken betrugen 2800 Mann. Die eingeschlossene englische Truppe, welche sich unter General Townshend ergab, zählte dagegen 13000 Mann, darunter etwas mehr als 2000 weiße Engländer. Das englische Entsatzheer war in der Nähe, sodaß der Geschützdonner in Kut-El-Amara vernehmbar war. Die Not an Lebensmitteln soll auch nicht die Übergabe notwendig gemacht haben. Trotzdem hat der General Townshend keinen ernstlichen Ausfallversuch gemacht. Es wird angenommen, daß die indischen Truppen in Kut-El-Amara nicht mehr Order parierten und dadurch die Übergabe herbeigeführt wurde.

Aus dem Hedjas lauten die letzten Nachrichten dagegen ungünstig. Die Verbindung von Medina bis nach Asir, also nördlich und südlich von Mekka, ist unterbrochen und die 7. türkische Armee im Jemen daher vorläufig auf sich allein angewiesen. Diese 7. Armee ist schon lange ohne Geld, und die Bevölkerung will ihr nicht mehr borgen. Um sie mit Geld zu versehen, da der Weg durch den Hedjas geschlossen ist, hat Enver Pascha gestern General v. Lossow den überraschenden Wunsch ausgesprochen, daß wir einen Zeppelin schicken möchten, der den Hedjas überfliegen und der 7. Armee Geld bringen soll.

Die Lage an der Ostgrenze des Reiches macht den türkischen Machthabern begreiflicherweise schwere Sorgen. Sie wünschen keinen Frieden zu schließen, bevor sie die Russen nicht wieder über die türkische Grenze geworfen und sogar noch etwas dazu erobert haben. Auch aus Persien hoffen sie die Russen wieder zu verdrängen.

Mit Sonderfriedensbestrebungen ist daher vorläufig hier nicht zu rechnen. Sollte es den Türken gelingen, die Russen über ihre Grenzen zu werfen, so würde es dann allerdings kaum noch einen Zweck haben, weiter Krieg zu führen, falls ihnen der Frieden vom Feinde möglich gemacht wird. Unser künftiges Verhältnis zu den Türken wird zum größten Teile davon abhängen, ob sie einen günstigen Frieden schließen können oder nicht. Sollten sie aus diesem Kriege mit dem Verlust von mehreren Vilajets hervorgehen, so ist kaum anzunehmen, daß die Vorliebe der Türken für uns dann noch besonders stark sein wird.


P. Metternich



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