1915-03-10-DK-001
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Quelle: DK/RA-UM/Gruppeordnede sager 1909-1945. 139. D. 1,
”Tyrkiet - Indre Forhold”. Pakke 1, til 31 dec. 1916

Erste Internetveröffentlichung: 2010 August
Edition: Dänische diplomatische Quellen
Telegramm-Abgang: 03/10/1915
Telegramm-Ankunft: 03/22/1915
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 23
Übersetzung: Michael Willadsen
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Gesandte in Konstantinopel (Carl Ellis Wandel) an den Außenminister (Erik Scavenius)

Bericht



Nr. 23

Konstantinopel, 10 März 1915.

Herr Außenminister,

In meinem Bericht Nr. XXII [22] vom heutigen Tag habe ich eine Übersicht über die Ergebnisse der nun abgeschlossenen Parlamentsperiode gegeben. Eine im Verlauf der Parlamentsperiode behandelte Frage, nämlich die Änderung der Verfassung, die ich früher in meinem Bericht Nr. XXVI [26] vom 17. Dezember 1914 hinsichtlich der Eröffnung der Kammern erwähnt hatte, verdient jedoch eine genauere Erörterung, nicht nur weil die Frage der Verfassungsänderung als solche eine nicht geringe politische Bedeutung hat, sondern auch, weil die Behandlung dieses Verfahrens, obwohl sie nach einer für das türkische Parlament in den letzten zwei Sitzungen typischen summarischen Methode mit schneller und nahezu einstimmiger Annahme vor sich ging, die ersten Anzeichen einer offenbar inzwischen sehr bedeutsamen Opposition im Senat zeigt, welche sich, geschart um Ahmet Riza Bey, in der nun abgeschlossenen Parlamentsperiode abzeichnet.

Die von der Regierung gewünschte Verfassungsänderung ging davon aus, dass 1. die Dauer der Parlamentsperioden von 6 auf 4 Monate im Jahr verkürzt werde, doch mit dem Recht der Regierung, die Dauer zu verlängern, sofern diese es als notwendig erachtet, 2. die Krone [der Sultan] das Recht hat, die Parlamentsperiode auf unbestimmte Zeit auszusetzen, doch mit der Beschränkung, dass die Parlamentsperiode mindestens 4 Monate im jeweiligen Parlamentsjahr stattgefunden haben muss. Diese Vorschläge haben zum Ziel, die Macht der Regierung (d.h. des Komitees) gegenüber der gesetzgebenden Macht zusätzlich zu erweitern.

Der eingesetzte Parlamentsausschuss einigte sich nach Verhandlung mit der Regierung mit dieser darauf, der Krone das Anrecht auf Aussetzung der Eröffnung der Parlamentsperiode bis zu 3 Monaten zu geben, ausdrücklich auf die einmalige Ausübung innerhalb eines parlamentarischen Jahres begrenzt. Das Parlament solle in jedem November oder nach dem Ablauf der eventuellen Aussetzung zusammentreten - ohne auf eine Einberufung durch die Regierung zu warten. Die Regierung solle des weiteren das Recht haben, die Sitzungen des Parlaments ohne eine bestimmte Zeitbegrenzung auszusetzen, doch mit der Verpflichtung, die Parlamentsperiode mit dem entsprechenden Zeitraum innerhalb desselben Parlamentsjahres zu verlängern.

Damit die Regierung nicht die Versammlung vor der Verabschiedung des Haushalts suspendieren konnte, beschloss der Ausschuss des weiteren, es solle ausdrücklich hinzugefügt werden, dass die Aussetzung (der Eröffnung oder der Sitzungen) nicht das Prinzip durchkreuzen solle, dass der Haushalt nur für ein Jahr gilt und dass er nicht länger in Kraft bleiben darf, wenn nicht eine Auflösung des Parlaments nach dem Grundgesetz Art. 35 dies bis zur Durchführung von Neuwahlen verlangt.

Der Vorschlag des Ausschusses wurde angenommen, und die Regierung hat bei der nun stattgefundenen Aussetzung [wörtl.: Heimschickung] zum ersten Mal von dem ihr zustehenden Recht Gebrauch gemacht, eine Parlamentsperiode auszusetzen. Da die Kammern nur 2½ Monate gearbeitet haben, fehlen noch 1½ Monate der Parlamentsperiode, und da das Parlament zum 1. September 1915 (alten Stils) erneut einberufen ist, heißt dies, dass diese Parlamentsperiode den ganzen Oktober dauern wird, oder genau, bis die neue Parlamentsperiode (1915 – 16) Anfang November (türk. Zeitrechnung) beginnt, es sei denn, dass die Regierung von ihrem Recht auf Aussetzung der Eröffnung der Kammern Gebrauch macht.

Die Verfassungsänderung wurde am 18. Januar dieses Jahres fast ohne Diskussion verabschiedet - und an einem Tag. Ein armenischer Deputierter, Artin Bochguézenian, schlug vor, den Kammern selbst das Recht zu geben ihre Sitzungen auszusetzen, um auf diese Art und Weise dem Parlament ein Mittel in die Hand zu geben, nicht weiterhin Gesetze zusammen mit einer Regierung zu erlassen, die man aus dem einen oder anderen Grund unter den gegebenen Umständen nicht stürzen will. In der Deputiertenkammer wurden die Änderungen mit 186 von insgesamt 189 Stimmen angenommen. Nur zwei Deputierte, die Armenier Vatkess [Vartkes Serengulian] und Kegham [Kegham Der Garabedian], stimmten dagegen.

Im Senat gab es dagegen starken Widerstand gegen die Verfassungsänderung durch Ahmet Riza Bey, dem früheren Vorsitzenden des jungtürkischen Komitees und früheren Präsidenten der Deputiertenkammer, dem Mann, der seinerzeit bei der Aufgabe, der Türkei eine Verfassung zu geben, die Fäden zog. Er wurde unterstützt von zwei anderen Senatoren, Ali Ghalib Bey und dem Griechen Georgiades Effendi. Die Änderungen wurden trotzdem mit 43 von 48 Stimmen angenommen, und die drei genannten Senatoren waren die einzigen, die dagegen stimmten.

Die Regierung hatte vergleichsweise leicht ihr Ansinnen durchgesetzt, ihre Macht auf Kosten des Parlaments zu vergrößern.

Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich, Herr Minister, Ihr ergebenster


Wandel



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