1915-10-10-DE-005
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Quelle: DE/PA-AA/R 20018
Zentraljournal: 1915-A-29843
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 10/15/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 358
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Gesandte in Bukarest (Bussche-Haddenhausen) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



1 Anlage.

Bukarest, den 10. Oktober 1915

Die russischen Diplomaten aus Sofia mit Ausnahme des kranken Gesandten Sawinsky, sowie einige der Mitglieder der französischen und belgischen Vertretungen halten sich zur Zeit in Bukarest auf. Der „Adeverul“ hatte ihnen einen Redakteur nach Giurgewo entgegengeschickt, der über das, was ihm die Herren erzählt haben, die in Uebersetzung anliegende Notiz brachte, die nach meinen ganz zuverlässigen Informationen richtig ist. Was die Herren ausserdem noch sagten, was aber nicht veröffentlicht worden ist, ist Folgendes: Es sei die Schuld Englands, dass das Ultimatum so spät an Bulgarien gerichtet worden sei. Grey habe immer gezögert. Wäre es 2 Wochen früher gekommen, als Russland die erste Anregung gab, so wäre es vielleicht erfolgreich gewesen.

Der russische erste Sekretär, befragt, was er über die Haltung Rumäniens glaube, und was Russland von Rumänien erwarte, erklärte, Russland erwarte von Rumänien nichts mehr. Rumänien werde dem Drucke Deutschlands nachgeben und mit den Centralmächten gehen müssen. Als man diese Aeusserung Take Jonescu hinterbrachte, soll er gesagt haben, dass ihm die Auffassung des russischen Sekretärs leider richtig zu sein scheine.


Bussche
Anlage

M. Bierl. (27)

„Adeverul“ No. 10253 vom 26. September/9. Oktober 1915.

Abfahrt der Minister des Vierverbandes aus Sofia.
Ankunft der Mitglieder der russischen und belgischen Gesandtschaften in Bukarest.
Was uns die Herren Savler und Heldvenier aussagen.
Abfahrt aus Sofia.


Sofia, 25. September 8 1/2 Uhr.

Gestern abend verliessen die Vertreter des Vierverbandes zusammen mit dem Gesandtschaftspersonal und ihren Landsleuten mit einem Sonderzug die Stadt. Die Russen fuhren über Rustschuk, alle anderen ueber Dedeagatsch; auf der Bahn wurden sie vom Generalsekretaer des Ministeriums des Auesseren im Namen der Regierung und vom koeniglischen Adjutanten, General Savoff, und Herrn Dobrovici, Sekretaer des politischen Kabinetts, im Namen des Koenigs begruesst.

Zwei Beamte des Ministeriums des Auesseren begleiteten die Einen bis Rustschuk, die Anderen nach Dedeagatsch.

Vor der Abfahrt wurden die Minister Frankreichs und Englands beim Koenig in Audienz empfangen.


(Bulgarische Agentur)

[Es folgen ausführliche Schilderungen, wer wann mit wem welchen Zug bzw. welches Schiff betreten hatte und von wem empfangen bzw. verabschiedet wurde. Sodann berichtet die Zeitung über das Ultimatum:]

Das Ultimatum wurde von den Vertretern in folgender Reihenfolge gegeben: von Seiten Russlands um 2 Uhr durch Herrn Salva; Herr Radoslavoff war sehr erstaunt und aufgeregt; um 4 Uhr brachte es der französische Gesandte, Herr Radoslavoff schien vernichtet; dann folgten die englischen und italienischen Gesandten, Herr Radoslavoff schien vollendet vernichtet zu sein.

Trotz alledem erwartete er nur dies Ultimatum, von dem er schon tags zuvor durch ein Petrograder Telegramm Kenntnis hatte, welches aber nicht in den Zeitungen veroeffentlicht wurde.

Zu seinen Erklaerungen fuegte der englische Gesandte noch hinzu, dass alle Konzessionen, welche Bulgarien gemacht wurden, bei der neuen Lage natuerlich ausgeschlossen seien.

Dasselbe hinderte Herrn Radoslavoff nicht am zweiten Tage die Antwort auf die letzten Vorschlaege des Vierverbandes zu bringen. Am Nachmittag desselben Tages antwortete er auf das Ultimatum, was uns durch die erhaltenen Telegramme bekannt ist.

Die fremden Gesandten hatten schon ihre Paesse verlangt und die bulgarische Regierung behielt weiter ihre gewoehnlichen Beziehungen bei, und schickte Berichte ueber die laufenden Geschehnisse.

Kurz vor der Abfahrt hatte der englische und franzoesische Gesandte eine Audienz beim Koenig Ferdinand. Der Koenig unterhielt sich leutselig mit dem franzoesischen Gesandten und sagte ihm:

Ich bin untroestlich, dass auch Sie Bulgarien verlassen. Auch in meinen Adern rinnt franzoesisches Blut, und ich bin ganz verzweifelt, dass die Sachen zwischen mir und Frankreich nun so stehen.

Was wollen Sie? Ich kann nicht anders handeln. Deutschland wird siegen! Ich wuerde Sie sogar bitten in Paris meine Ansicht zu ueberbringen, dass Frankreich so lange es noch Zeit ist, durch einen Separatfrieden gerettet werden kann.

Der Gesandte hat diese wohlmeinenden Ratschlaege [in]der ihm zukommenden Weise entgegengenommen und antwortete:

„Ich wuerde auch unserer Regierung anraten nach der entscheidenden Schlacht …… vorsichtig zu sein.“

Eine andere charakteristische Tatsache ist dass, nachdem der Bruch vollstaendig war und die Gesandtschaften abgereist waren, der Zar heute um 4 Uhr bei der Gesandtschaft vorfuhr, um Herrn Savinsky zu besuchen und sich nach seinem Befinden, das gestern ziemlich beunruhigend war, zu erkundigen.


Bulgarien verlangt Garantien

Man koennte glauben, dass die Antwort, die Bulgarien auf diese Vorschlaege hin in der elften Stunde gegeben, auch wirklich eine Antwort sei. In der langen Note, die an den Vierverband gerichtet war, verlangt Bulgarien anstatt zu antworten neue Garantien und neue Einzelheiten.

Es erklaert, dass nur aus dem Grunde mobilisiert wurde, weil die Serben neue Truppen an der bulgarischen Grenze konzentriert hatten, und dass sie niemanden angreifen wuerden, aber auch unter keiner Bedingung gegen die Tuerkei ziehen wuerde.

Trotz alledem verlangt es neue Garantien was Kavala und das Hinterland, das ihnen von den Griechen zugesprochen wurde, betrifft.

Auch wegen der neuen Dobrodscha, die Rumaenien ihnen zurueckgeben sollte, will es Sicherheit haben.

Es versteht, dass dies alles nur leeres Gerede ist, wie auch der Protest des Herrn Radoslavoff, er wuerde nicht begreifen, weshalb die Sachen so weit vorgeschritten seien, wenn Bulgarien doch gar keine Hintergedanken habe, nur leerer Schall ist.


Nach dem Bruch

Gleich nach dem Bruch der Verbindungen, wurde die ganze Atmosphaere in Sofia eine andere, die bis jetzt ruhig u. ohne jegliche Abwechslung gewesen ist. Erstens rief die Abdankung Venizelos grosse Freude hervor. Zweitens tragen die deutschen Offiziere, die in Bulgarien zahlreich vertreten sind und die bis jetzt in Zivilkleidung umhergingen, seit gestern oeffentlich des Kaisers Uniform.

Der Koenig, den man bis jetzt nie auf der Strasse sah geht jetzt oefters aus und ging schon zweimal an der russischen Gesandtschaft vorbei, mit grossem Interesse die hollaendische Fahne betrachtend, die nun an Stelle der russischen gehisst wurde.

Jetzt erfuhr das Volk die Wahrheit ueber alles was geschehen und da erst wurde es ihm bewusst wie ernst die Dinge stehen. Aber es ist von der Seite nichts zu erwarten.

So konnte das Volk erst jetzt einsehen, dass die Wiedereroberung Mazedoniens nicht im Sinne Russlands ist, wie man es ihnen bis jetzt gesagt, deshalb kam es zu einigen Zusammenstoessen mit einigen Reservisten, die in erster Linie an Russland denken, das Volk ist trotz allem ohne jegliches Wissen, wohin sie von den einigen Beteiligten gebracht werden. Opposition gibt es gar nicht, auch sieht man keinerlei Manifestationen.


Was wird nun jetzt geschehen?

Wahrscheinlich werden wir keine sichtliche Tatsache haben, bis Bulgarien nicht in Aktion tritt. Herr Radoslavoff sagt zwar, dass er nicht angreifen wollte. Trotz alledem weiss man aber ganz genau, dass am 28. September Bulgarien eine bestimmte Verpflichtung Deutschland gegenueber hat.

Bis diese Tatsache nicht vollbracht wird und solange Bulgarien Serbien nicht angreift, werden die Verbuendeten wahrscheinlich den Krieg nicht erklaeren.

Wenigstens scheint es bis jetzt so.


Abfahrt.

Morgen frueh verlaesst Herr Savler und ein Teil des russischen Gesandtschaftspersonals die Stadt. Die anderen bleiben noch einige Tage.

Der belgische Gesandte bleibt noch 2 Tage in Bukarest wo er sich zum erstenmal aufhaelt, dann faehrt er ueber Russland nach Havre.

Herr Savinsky bleibt wenigstens noch zwei Wochen in Sofia.



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