1915-05-23-DE-005
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Quelle: DE/PA-AA/R 20185
Zentraljournal: 1915-A.S.-2569
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 05/24/1915 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Generalstabschef (Falkenhayn) an den Staatssekretär im Auswärtigen Amt (Jagow)

Schreiben


Pleß, den 23. Mai 1915

Abschrift.

General Conrad teilt folgendes mit:

Der k.u.k. Militärbevollmächtigte in Konstantinopel hatte am 20. Mai eine Unterredung mit dem türkischen Kriegsminister, welcher hierbei mit Bezugnahme auf das bevorstehende Eingreifen Italiens gegen die Monarchie erklärte, daß die Türkei unter allen Umständen Kampf fortsetzen wird. Italien habe mitgeteilt, daß der Konflikt mit unserer Monarchie türkisch-italienische Beziehungen nicht verändern müsse, ferner angedeutet, daß eine Besprechung der Modalitäten der gegenseitigen Neutralität wünschenswert wäre. Kriegsminister meinte, Neutralität sei für die Türkei vorteilhaft, weil hierdurch Zeit gewonnen. Laut sicheren Nachrichten habe Entente von Italien gefordert 300000 Mann in Frankreich, 200000 Mann gegen Türkei zu verwenden, was Italien ablehnte. Auch wenn Italien sich entschließen würde, Türkei anzugreifen, wäre Erfolg nicht wahrscheinlich. Türkei könne Kräfte der Dardanellen um noch 3 bis 4 Divisionen verstärken und damit jede Landung verhindern. Munition noch für längere Zeit ausreichend.

Selbst wenn Bulgarien angreifen sollte, würde Kampf fortgesetzt werden. Türkische Armee würde dann Thrazien räumen und sich auf Bulair und Cataldscha zurückziehen. Ferner teilte Enver mit, daß die Senussi gegenwärtig zirka 15000 moderne Gewehre, einige Maschinengewehre und Kanonen mit viel Munition besitzen. Sein Bruder sei bei den Senussi und könne dieselben jeden Moment gegen die Italiener marschieren lassen. Dies sei der Grund, warum Italien den Krieg gegen die Türkei zu vermeiden wünscht. Schließlich meldet der k.u.k. Militärbevollmächtigte in Konstantinopel, daß dortiger bulgarischer Gesandter am 21. Mai früh den k.u.k. Botschafter besuchte und Befürchtungen wegen Haltung Rumäniens, sowie wegen Widerstandskraft der Türkei gegen eventuelle italienische Angriffe äußerte. Über Aufforderung des Botschafters entwickelte sodann bulgarischer Gesandter als seine persönliche Ansicht die Idee, die Türkei möge das Gebiet westlich der Maritza an Bulgarien abtreten. Hierdurch würde Bulgarien direkte Bahnverbindung mit Dedeagatsch erhalten; Stadt Adrianopel bliebe bei der Türkei. Für diese Konzession würde nach Ansicht des Gesandten Bulgarien bereit sein, sofort ein Bündnis mit der Türkei abzuschließen und Konstantinopel gegen jeden Feind zu verteidigen. Ich bringe Euerer Exzellenz diese Berichte zur geneigten Kenntnis, weil ich einerseits eine Neutralität oder selbst die nur passive Kriegführung von seiten der Türkei gegenüber Italien für eine schwere Schädigung unserer gemeinsamen Interessen erachten würde und weil die Türkei in der Lage ist, durch Unruhen und Schwierigkeiten in Tripolis die italienische Kriegführung in Europa sehr wirksam zu beeinträchtigen; ein Neutralitätsabkommen zwischen der Türkei und Italien würde selbstverständlich auch jede türkische Aktion in Lybien ausschalten und einen großen Teil der sonst dort gebundenen italienischen Kräfte gegen uns freimachen. Andererseits glaube ich, daß die vom bulgarischen Gesandten in Konstantinopel unserem Botschafter gegebene Anregung eines Abkommens zwischen der Türkei und Bulgarien sowohl für diese beiden Staaten, wie namentlich auch für unsere gemeinsame Sache speziell in Anbetracht des Einflusses auf die Haltung Rumäniens, von größtem Vorteil und geeignet wäre, nicht nur Bulgarien, sondern vielleicht auch Rumänien endgültig auf unsere Seite zu bringen, jedenfalls aber ein aktives Eingreifen Rumäniens gegen uns fast vollkommen ausschalten, natürlich unter der Voraussetzung, daß sich die bulgarische Regierung tatsächlich mit der Anregung ihres Konstantinopeler Gesandten identifiziert. Ich teile dies unter einem Baron Burian mit und bitte Euere Exzellenz auch im deutschen Auswärtigen Amt die sofortige Einleitung einer dringlichen diplomatischen Aktion anzuregen, um einerseits die energische Kriegführung seitens der Türkei auch gegenüber Italien sicherzustellen und andererseits - wenn möglich - das angeregte Abkommen zwischen Bulgarien und der Türkei zustande zu bringen und damit den Anschluß Bulgariens an unsere gemeinsame Sache herbeizuführen.


[v. Falkenhayn]


G.A [Jagow ]

Abschrift.

1.) pp.

2.) Wir können meines Erachtens von der Türkei nicht verlangen, daß sie jetzt auch noch in den Krieg mit Italien eintritt, das würde zu viel für sie werden. Ich habe das auch Prinz Hohenlohe gesagt und wir haben in Cospoli geraten, die Beziehungen mit Italien nicht abzubrechen. Ein Neutralitätsabkommen würde ich allerdings aus den von Conrad angeführten Gründen und weil es der Anfang zu einer Verständigung der Türkei mit allen Ententemächten sein könnte, für unerwünscht erachten. Doch könnte man der Türkei raten, sich in Verhandlungen einzulassen, die erst dilatorisch zu behandeln und dann abzubrechen wären.



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