1915-07-27-DE-004
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Quelle: DE/PA-AA/R 20189
Zentraljournal: 1915-A.S.-3904
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 07/27/1915 12:20 AM
Telegramm-Ankunft: 07/27/1915 02:15 AM
Praesentatsdatum: 07/27/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 235
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der AA-Vertreter im Großen Hauptquartier (Treutler) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht


Schloß Pleß, den 27. Juli 1915

Angesichts der verschiedenen glaubwürdigen Nachrichten, daß den Türken auf Gallipoli nicht nur von den bisherigen Angriffspunkten sondern auch vom Busen von Saros her Anfang August ernste Gefahren drohen, und unter Berücksichtigung des Umstands, daß es der türkischen Armee sehr bald nicht nur an Munition, sondern auch an ausgebildeten und gut bewaffneten Leuten fehlen wird, erwächst uns im wohlverstandenen eigenen Interesse die Pflicht, den Machthabern in Konstantinopel zum mindesten eine moralische Rückenstärkung zu geben, solange wir nicht materiell zu helfen in der Lage sind. Unsere vagen Versprechungen, im gegebenen Augenblick den Weg nach der Türkei zu forcieren, werden wahrscheinlich nicht mehr genügen, um der dortigen Heeresleitung die schwere Verantwortung zu erleichtern, immer weiter große blutige Opfer zu bringen, ohne mit einem festen Ziel rechnen zu können, das sicheren Lohn in Aussicht stellt. Ich hatte deshalb schon seit einigen Tagen General von Falkenhayn dafür zu gewinnen versucht, in Konstantinopel eine bindende Erklärung abzugeben, daß er nach Beendigung der jetzigen Episode in Polen in spätestens 4 bis 5 Wochen 200000 Mann für die Öffnung des Weges zu unseren Bundesgenossen zur Verfügung stellen werde in der bestimmten Erwartung, daß die Dardanellen bis dahin gehalten würden. Ohne die Richtigkeit ja Notwendigkeit meines Vorschlags zu verneinen, machte er geltend, er könne sich nicht binden, weil er nicht wisse, ob die Österreicher dauernd die Isonzogrenze halten könnten. Sollte dies nicht der Fall sein, so müsse er natürlich sofort nach dem italienischen Kriegsschauplatz und könne dann an das türkische Problem nicht denken. Ich wies diese offenbare Ausflucht zurück indem ich sagte, dieser unwahrscheinliche Fall würde dann eine force majeur bilden die uns von jeder anderen Zusage selbstverständlich entbinde. Auch der Einwand daß die Gefahr in Serbien ihn abhalten könnte, ist nicht mehr stichhaltig, seitdem ein gutes Mittel gegen Flecktyphus gefunden ist. Der Herr Reichskanzler hat heute denselben Gedankengang Herrn von Falkenhayn gegenüber entwickelt und die Erwiderung erhalten, eine solche Erklärung an die Türkei könne seiner, Herrn von Falkenhayns, Ansicht nach erst erfolgen, wenn die Verhandlungen mit Gantschew ein Resultat ergeben hätten, vorher würde man dadurch den Erfolg der Mission Gantschew, die doch ganz geheim sein und bleiben sollte, kompromittieren. Der Herr Reichskanzler glaubt, auch, daß dies Ausweichen unbegründet ist. Er erbittet Ihre Ansicht und will nach Eintreffen derselben morgen Dienstag noch einmal mit Herrn von Falkenhayn verhandeln. Er reist abends ab. Übrigens hat sich Herr von Falkenhayn, von dem geäußerten Bedenken abgesehen, dem Herrn Reichskanzler gegenüber grundsätzlich bereit erklärt, den Türken diese moralische Rückenstärkung zu gewähren.

Gantschews Kommen ist ihm im gegenwärtigen Moment sichtlich unbequem, doch sieht er in Kenntnis der Telegramme Nr. 249 und Nr. 250 die Notwendigkeit ein, mit Bulgarien zu verhandeln und abzuschließen. Ernste Schwierigkeiten befürchtet er von Österreich. Aus gesamtem Verhalten Conrads schließt er mit Bestimmtheit, daß Österreich sich mit Serbien verständigt habe. Er versichert, daß Österreich bis auf geringe Landwehrstämme alle Truppen von der serbischen Grenze abgezogen habe.

Als Inhalt der Militärkonvention denkt er sich Abmachungen über Zeit, Ort und Stärke der beiderseitigen gegen Serbien einzusetzenden Truppen und Verpflichtungen Bulgariens, mit uns gemeinschaftlich Druck auf Rumänien wegen Munitionsdurchfuhr auszuüben.

Nach dem Eindruck des Herrn Reichskanzlers überzeugt er sich mehr und mehr von der absoluten Notwendigkeit der serbischen Aktion.


[Treutler]
[Jagow an Treutler (Nr. 921)]

Abschrift.

Prinz Hohenlohe erzählte mir vertraulich nach seiner Rückkehr aus Wien, daß er mit Kaiser Franz Joseph über das Projekt einer Bedrohung Rumäniens gesprochen habe. Der Kaiser sei dagegen und sehr bestimmt für eine Aktion gegen Serbien gewesen. Schon dies läßt darauf schließen, daß keinerlei Verständigung zwischen Österreich und Serbien stattgefunden hat. Ebenso spricht dagegen die Ablehnung der Vermittelungsvorschläge von Strauß seitens Tiszas und Burians. Baron Burian hat mir bei unserem Besuch erklärt, daß er keinerlei Demarchen betr. Serbien tun, sondern alle eventuellen Schritte ganz uns überlassen werde. Unsere Versuche einer Fühlungnahme mit Serbien sind bisher resultatlos gewesen. Strauß hat sich als unzuverlässig erwiesen. Serbien, welches der Entente die Zession Macedoniens an Bulgarien abgeschlagen hat, wird sie uns noch weniger gewähren, zumal es die Kompensation in Albanien sich erst selbst erobern müßte. Erhält aber Bulgarien von uns nicht Macedonien, so wird es sein Heil bei der Entente suchen. Eine Verständigung zwischen Serbien und Österreich-Ungarn wird auch dadurch erschwert, daß letzteres die Abtretung des Nigotiner Kreises (an Ungarn oder Bulgarien) wünscht behuft Herstellung einer direkten Angrenzung an Bulgarien, seinerseits aber jede Abtretung eines Teils von Bosnien an Serbien ablehnt. Verweise im übrigen auch auf dortiges Telegramm Nr. 211.

Wenn wir durch Bedrohung Rumäniens den Munitionstransit dort auch durchsetzen sollten, bleibt immer die Gefahr, daß Bulgarien die Durchfuhr dann verweigert, weil es vermuten würde, daß - wenn der Munitionstransport einmal gesichert ist - unser Interesse an einer Aktion gegen Serbien schwindet. Bulgarien wird aber nur so lange geneigt sein, mit uns zu gehen, als es hoffen kann, von uns Macedonien zu erhalten. Das einzige wirklich probate Mittel, die Frage im Balkan zu unseren Gunsten zu lösen und die Verbindung mit Türkei (eventuell auch für Geschütze und Mannschaften) zu sichern, scheint mir daher die Aktion gegen Serbien zu sein.

Ob wirklich Schwierigkeiten von Österreich zu erwarten sind, läßt sich vielleicht am besten auf diplomatischem Wege feststellen. Baron Burian hat bis in die jüngste Zeit wiederholt schleunige Aktion gegen Serbien zur Regelung der Balkanlage als dringend wünschenswert bezeichnet. Da der Kaiser und Burian jedenfalls für die serbische Aktion sind, würden sie davon nur abgehen, wenn General von Conrad ernste militärische Bedenken äußerst. Jedenfalls müßte Conrad auf diese Weise bestimmte Erklärungen bezw. Zusicherungen geben.

Eine Rückenstärkung der Türkei in ihrem schweren Kampf erscheint mir auch dringend erwünscht.



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