1916-07-27-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R13800
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Legationsrat im Auswärtigen Amt Rosenberg an den Botschaftsrat in Konstantinopel Neurath

Privatschreiben



Berlin, den 27. Juli 1916.
Vertraulich!

Lieber Neurath!

Ein Besuch des Großwesirs, eventuell in Begleitung von Talaat oder Halil, hat zwar für den Reichskanzler und das Auswärtige Amt in diesen arbeitsreichen Zeiten mancherlei Unbequemlichkeiten. Trotzdem glaube ich, daß der Reichskanzler, nachdem einmal ein so deutlicher Wink von türkischer Seite erfolgt ist, auf die Anregung eingehen wird. So rasch, wie unsere Freunde in Konstantinopel es wünschen, wird der Besuch allerdings kaum stattfinden können. Denn Reichskanzler und Staatssekretär, die beide von Berlin abwesend sind, haben meines Wissens für die nächsten 10 bis 14 Tage bereits andere Dispositionen getroffen, die sie außerhalb Berlins festhalten, jedenfalls aber ihnen keine Muße lassen würden, sich den türkischen Gästen genügend zu widmen. Wie lange, glauben Sie, wollen sich die Herren in Deutschland aufhalten?

Auf eine Ekartierung des Botschafters, wie Enver und Talaat es sich denken, wird sich der Reichskanzler schwerlich einlassen. Da die beiden Minister Sie ausdrücklich verpflichtet haben, dem Botschafter nichts zu verraten, werden Sie Metternich allerdings wohl nicht einweihen können. Wäre es aber nicht möglich, daß Sie Enver und Talaat etwa folgendes sagten:

Enver und Talaat brauchten dem Botschafter ja nur zu sagen, sie hätten aus Berichten von Privatpersonen und aus Andeutungen Hakki Paschas den Eindruck gewonnen, daß man in Berlin einen gelegentlichen Besuch des Großwesirs oder eines der führenden türkischen Minister gern sehen würde. Sie wüßten nicht, ob dieser Eindruck richtig sei. Sie seien aber auch der Meinung, daß eine gelegentliche persönliche Fühlungnahme der leitenden Männer nützlich wäre, und glaubten daher, daß man in Konstantinopel eine Einladung, falls sie geplant sein sollte, mit Freuden begrüßen würde. Oder dergleichen.

Bitte beraten Sie in diesem Sinne mit Lossow. Er kennt ja die schwierige Lage des Botschafters und wird sicher alles tun, um sie nicht noch weiter zu erschweren.

Sollte es nicht tunlich erscheinen, den Türken in der angedeuteten Weise den Ball zurückzuwerfen, so würde der Reichskanzler sich vielleicht auch dazu bestimmen lassen, schon auf die Andeutungen, die Ihnen und Lossow gegenüber gemacht wurden, die Einladung loszulassen. In Übereinstimmung mit dem Unterstaatsekretär halte ich es aber für ausgeschlossen, daß der Reichskanzler dazu den Weg über Hakki Pascha benutzen würde. Die Einladung würde dann nur über Metternich gehen können, höchstens könnte dabei die Anregung aus Kospoli verschwiegen und fingiert werden, als ob die Initiative ausschließlich von Berlin stamme. Wollte der Reichskanzler die Einladung über Hakki leiten, würde er Metternich schwer kompromittieren und seine Autorität bei den Türken vollends untergraben.

Im großen ganzen hat sich die Fernschreibesache nicht bewährt. Denn unser Apparat ist für solche Unterhaltungen nur dann benutzbar, wenn weder Heeresleitung noch Kriegsministerium ihn brauchen. Dies ist nur selten der Fall und dann muß fast der gesamte Gebe- und Nehmeverkehr des Auswärtigen Amtes mit Hauptquartier Ost, Hauptquartier West, Warschau, Brüssel, Sofia, Athen, Pera abtelegraphiert werden. Diese große Menge von Telegrammen ist an und für sich schon schwer zu bewältigen. Wenn dann noch Unterhaltungen dazwischen kommen, droht der Verkehr ganz zu stocken. Gestern nachmittag war ich – ohne Erfolg – ununterbrochen auf dem Sprung, heute vormittag war ich eine Stunde am Apparat, heute nachmittag beinahe ebenso lange. Inzwischen häufen sich Klienten und eilige Eingänge in bedrohlicher Weise. Praktischer ist im allgemeinen Privatbrief oder Privattelegramm, das ja auch durch Hughes gehen und ohne Verzug beantwortet werden kann.

Am Sonntag hoffe ich auf 8-10 Tage nach Berchtesgaden gehen zu können. Stumm übernimmt meine Sachen.

Djavid Bey macht noch Opposition gegen die 6-jährige Einlösungsfrist, will 5 Jahre durchsetzen, was schwerlich gelingen wird. sonst sind die Verträge zur Unterschrift reif.

Mit besten Grüßen, auch an Göppert und Lossow,


[von Rosenberg]


[Antwort Neurath 4. 8.]

Abschrift

Lieber Rosenberg!

Wie die Verhältnisse sich hier entwickelt und in den letzten drei Monaten zugespitzt haben, würde eine Erklärung an Enver oder Talaat, oder an unseren dicken Freund Halil, in dem von Ihnen vorgeschlagenen Sinn den Erfolg haben, daß sie darin eine Ablehnung des gewünschten Besuchs des Großvezirs erblicken werden. Auf die mir selbst sehr peinliche Umgehung des Botschafters habe ich Halil, als er mir von den Besuchswünschen sprach, sofort aufmerksam gemacht. Er erklärte mir, den Botschafter würden sie niemals mit der Sache befassen, lieber würden sie ganz darauf verzichten. Wenn ich ihre Wünsche nicht weitergeben könne, würde wohl Enver sie durch Lossow an Falkenhayn übermitteln lassen. Unter diesen Umständen hielt ich es für notwendig, Sie sofort zu verständigen. Dank des schlechten Verhältnisses zwischen M. und den türkischen Ministern geht so wie so schon fast der ganze Verkehr durch die militärischen Stellen.

Wenn man also in Berlin überhaupt geneigt ist, die Einladung an den Großvesir ergehen zu lassen, so könnte vielleicht von dort aus durch den Botschafter M. die Einladung an die türkische Regierung übermittelt werden, unter Verschweigen der Anregung von hier. Der Großvesir ist übrigens gestern selbst auf die Angelegenheit zu sprechen gekommen, indem er mir sagte, er kenne die leitenden Männer in Deutschland bisher noch nicht persönlich und sie ihn auch nicht. Es wäre doch sehr nützlich, sich auch einmal mündlich auszusprechen. Ich habe ausweichend geantwortet und gesagt, daß man gewiß bei uns diesen Wunsch teile, daß aber die kriegerischen Ereignisse zurzeit im Vordergrund stehen und den leitenden Männern keine Muße ließen, sich mit Gästen abzugeben. Ich vermute indessen, daß Enver auch bei Falkenhayn auf die Einladung zu sprechen kommen wird und ich weiß nicht, ob es nicht besser gewesen wäre, der Anregung, die dann vermutlich von dieser Seite kommen wird, zuvorzukommen.



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