1915-12-06-DK-001
Deutsch :: da de en
Home: www.armenocide.net
Link: http://www.armenocide.net/armenocide/armgende.nsf/$$AllDocs/1915-12-06-DK-001
Quelle: DK/RA-UM/Gruppeordnede sager 1909-1945. 139. D. 1., "Tyrkiet-Indre Forhold", pakke 1, til 31 Dec. 1916
Erste Internetveröffentlichung: 2010 August
Edition: Dänische diplomatische Quellen
Telegramm-Abgang: 12/06/1915
Telegramm-Ankunft: 12/22/1915
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 188
Übersetzung: Michael Willadsen
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Gesandte in Konstantinopel (Carl Ellis Wandel) an den Außenminister (Erik Scavenius)

Bericht



Nr. 188

Konstantinopel, 6. Dezember 1915.

1 Anlage.

Herr Außenminister,

Die türkische Tageszeitung „Tasfiri Efkiar“, die oft von Talaat Bey inspiriert wird und die eines der wichtigsten Organe für die nationalistische Bewegung ist, hat neulich einen nicht uninteressanten Artikel veröffentlicht - den ich die Ehre habe, in Abschrift als Anlage beizufügen - über den Gesetzentwurf zur Verpflichtung der konzessionierten Unternehmen und ähnlicher Gesellschaften, ausschließlich die türkische Sprache in ihrer Verwaltung zu benutzen.

Die beiden Hauptgesichtspunkte des Artikels – dass Türken in der Lage sind, die verschiedenen bedeutenden Technik- und Verkehrsbetriebe am Laufen zu halten, um mit den Wichtigsten zu beginnen, und dass ausländisches Kapital auch dann weiterhin in die Türkei fließen wird, wenn die Unternehmen, in die das Kapital fließt, ohne adäquate Kontrolle unter türkischer Leitung stehen – sind jedoch zweifelsohne völlig falsch.

Wann immer in der Türkei auf ausländische Geschäftsführer und Techniker zurückgegriffen werden musste, dann ist der Grund nicht, wie der Artikel glauben macht, dass durch den Gebrauch einer fremden (der französischen) Sprache Türken ausgegrenzt wurden, sondern ganz einfach, dass man unter der türkischen Bevölkerung keine technisch ausgebildeten Personen gefunden hat, die selbst für Posten auf mittlerer Ebene in den Eisenbahn-, Straßenbahn- und Hafengesellschaften u.s.w. u.s.f. geeignet waren. Ich brauche nur wenige Beispiele zu nennen um zu zeigen, wie die Verhältnisse wirklich sind.

Als ich vor kurzem mit einem Herrn der deutschen Botschaft über die Zustände in der Abteilung für drahtlose Telegraphie (die zurzeit unter militärischer Führung steht) in der türkischen Telegraphie-Gesellschaft sprach, sagte er, dass für den Dienst bei der drahtlosen Telegraphie ausschließlich Deutsche verwendet werden. „Sollten wir diesen Dienst in türkische Hände legen, könnten wir sicher sein, dass das Ganze nach zwei Wochen völlig wertlos sein würde.“

Als die Türken den dänischen Bergungsdampfer „Danmark“ anforderten, konnten sie keinen türkischen Ingenieur finden, der imstande war, die Maschinen zu bedienen, und das Schiff konnte erst abfahren, als es einen deutschen Maschinisten und einen deutschen Kapitän bekommen hatte.

Eine hiesige türkische Dampfschiffgesellschaft, die zurzeit dem Militär untersteht, hat als türkischen Leiter einen Kavallerieoffizier und als Maschineninspekteur einen Kesselschmied.

Bei solchen Verhältnissen wird der Herr Außenminister verstehen, dass die zweite Behauptung der „Tasfiri Efkiar“, dass europäisches Kapital in die Türkei kommen wird, obwohl es keinen Einfluss auf die Führung der Unternehmen hat, in welche es fließt, unhaltbar ist.

Den verschiedenen genannten Unternehmen ist mitgeteilt worden, dass sie sich selbst auf das neue Regime vorbereiten müssen, das mit Beginn des neuen türkischen Fiskaljahres (März 1916) in Kraft tritt.

Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich Ihr ergebenster


Wandel


Anlage

Anlage zum Ges. Nr. CLXXXVIII [188] vom 6. Dezember 1915. Übersetzung eines Artikels der türkischen Tageszeitung "Tasfiri Efkiar" vom 12. November 1915.

Hin zu einer nationale Entwicklung.

Wir sind äußerst zufrieden, dass sich der Staatsrat mit der vom Verkehrsministerium ausgearbeiteten Gesetzesvorlage beschäftigt, welche den Gebrauch der türkischen Sprache festlegt unter Ausschluss aller anderen Sprachen für alle Zweige der Verwaltung von Gesellschaften und konzessionierten Unternehmen wie u.a. Eisenbahnen, Straßenbahnen, Wasserwerke, die direkt mit der staatlichen Verwaltung verbunden sind.

Hiermit macht man den aller wichtigsten Schritt hin zur nationalen Entwicklung, über die wir in dieser Zeitung schon so viele Male gesprochen haben. Denn die türkische Sprache ist die Grundlage für unsere gesamte nationale Entwicklung. Wir führen im Augenblick einen Überlebenskampf, und das wichtigste Ergebnis dieses siegreichen Krieges sollte sein, dass die türkische Sprache in der Türkei über allem steht.

Es dreht sich nicht allein um 5, sondern um bedeutend mehr Unternehmen, denen durch die Einführung der türkischen Sprache zu ihrem wirtschaftlichen Wert ein nationaler Charakter hinzugefügt wird. Gewiss gibt es einige kurzsichtige Leute, die glauben, das wir nicht selbst imstande seien, solche Unternehmen zu leiten, aber diese Skeptiker ziehen nicht in Betracht, dass Türken und Muslime bisher keine Gelegenheit hatten, ihre Fähigkeiten darin zu zeigen, weil der Gebrauch der fremden Sprachen die Muslime von diesen Gesellschaften ausschloss. Aber können wir immer noch gleichgültig sein gegenüber Betrieben wie der Hafengesellschaft, den Eisenbahnen, Tunnels, Wasserwerken u.s.w., die so wichtig für die Öffentlichkeit sind? Wenn wir so weitermachen würden, blieben wir Fremde im eigenen Land.

Deshalb ist es so wichtig, dass alle Unternehmen in der Türkei ausschließlich die türkische Sprache gebrauchen. Es ist politisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell notwendig. Wenn man seine Aufmerksamkeit einen Augenblick lang auf die Haltung richtet, welche die Fremden, denen wir bis zum heutigen Tag alle Konzessionen gegeben haben, bis vor kurzem einnahmen, so versteht man voll und ganz den Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft. Die Fremden werden auch in Zukunft in der Lage sein, solche Unternehmen in der Türkei zu gründen und ihr Kapital in sie zu stecken, aber daneben dürfen sie sich nur um ihr Geld kümmern und ihren Gewinn einstreichen - ohne ein anderes Ziel zu verfolgen. Uns hat es bis jetzt an Geld gefehlt, und die Fremden, die ihr Kapital in den diversen Unternehmen in den verschiedenen Regionen des Reichs anlegten, taten dies, um Schritt für Schritt ihren Traum zu verwirklichen, diese Region zu beherrschen. Jetzt vergießen wir unser Blut und befreien uns dadurch von dieser fremden Tyrannei, die uns überall erdrückte. Dieses war ein unerträglicher Alptraum.

Aber die Lage wird erst normal, wenn sie völlig verschwunden sind. Die Einführung der türkischen Sprache für jede Unternehmensverwaltung ist das beste Zeichen dafür, dass die Zeit der Befreiung gekommen ist, und sie ist der beste Beweis für unseren endgültigen Triumph. Es ist ganz natürlich, dass wir fremdes Kapital brauchen, so wie uns das fremde Kapital braucht. Aber das Streben des Kapitals nach Gewinn, der Wunsch der Fremden, Geld zu verdienen, ist stärker als unsere Nachfrage nach Kapital. Kapital sollte nichts mit Politik zu tun haben, sondern nur seine Rendite im Auge haben, während es bei uns so sehr ein politisches Werkzeug gewesen ist, dass unsere eigene Sprache für unsere eigenen Betriebe fremd geworden ist. Deshalb ist der vorgeschlagene Gesetzentwurf so wichtig. Die Vorlage wird in den Kammern erörtert und gleich danach in Kraft treten. Wir bitten den Staatsrat, die Lesung der Gesetzesvorlage möglichst zu beschleunigen.



Copyright © 2006-2024 Matthias Bjørnlund: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved