1915-09-02-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R14087
Zentraljournal: 1915-A-25988
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 09/04/1915 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Direktor des Deutschen Hülfsbundes für christliches Liebeswerk im Orient Friedrich Schuchardt an das Auswärtige Amt

Schreiben



Frankfurt a. Main, den 2. September 1915.

Zur Ergänzung Ihres Materials erlaube ich mir, Ihnen noch einen jetzt eingetroffenen Bericht von Herrn von Dobbeler zu schicken. Dieser Akt der Notwehr eines zur Verzweiflung gebrachten Volkes wird den türkischen Machthabern einen Schein ihres Rechts für ihre Grausamkeiten geben, den sie sicherlich wieder geschickt ausnutzen werden, und der in unserer Presse bedauerlicher Weise zur Zeit nur zu willige Aufnahme finden dürfte.

Zu den Gegenständen, die mich veranlassen nach Konstantinopel zu reisen, gehört auch die Sicherstellung eines grösseren Geldbetrags, über den ich in den letzten Tagen keinerlei Aufklärung bekommen konnte.

Ob Sie mir wohl nach vorstehender Mitteilung die Empfehlungsschreiben verschaffen werden?


Hochachtungsvoll

F. Schuchardt



Anlage

Abschrift.

Mamouré, den 1. August 1915.

Hochverehrter Herr Schuchardt,

Ich war wiederum in Adana, um den Vali zu sehen, da die Regierung alle Kinder, Angestellten und Lehrer aus unserem Hause entfernen wollte. Ich befinde mich heute auf der Rückreise nach Harunije, auf der Station Mamouré. Wir wissen hier nie, was der nächste Tag ja was die nächste Stunde bringen und durch die Zustände sind wir gezwungen, uns fortwährend mit allen möglichen türkischen Beamten herumzuschlagen. Hätten wir nicht immer wieder alle Hebel in Bewegung gesetzt, wir hätten schon längst ein leeres Haus. Die Lage ist ungemein kritisch. Es war vorauszusehen, dass auf jene gewaltmässigen Ausweisungen der Armenier eine Reaktion folgen würde. Und diese ist schneller gekommen, als man dachte. Als ich jetzt in Adana war, erhielt ich von meiner Frau ein Telegramm des Inhalts, dass unser Haus auf das Höchste gefährdet sei und dass ich sofort zurückkommen müsste, da aufrührerische armenische Banden in der Nähe von Harunije eingetroffen seien. Es ist leider Tatsache, dass die Armenier, sowohl die Klugen als die Dummen, denken, dass die Deutschen die Ausweisungen und alles damit verknüpfte Unglück hätten verhindern können, insofern sie nur gewollt hätten. Und so richteten sich die Aufständigen auch gegen uns; jedenfalls sind wir berechtigt die grösste Sorge dieserhalb zu haben. Die Deutsche Botschaft hätte die Armenier schützen und nicht preisgeben müssen (die Türken haben den Plan, das ganze Volk in der Wüste verkommen zu lassen, oder sie in die Hände der Araber oder dort Angesessenen zu überliefern, die sie natürlich umbringen.) Hier glaubt keiner, dass von den Zehntausenden, die schon dorthin gebracht worden sind, welche wiederkommen werden. Und so haben jene dort ihren noch hier befindlichen Volksgenossen Nachricht zukommen lassen, dass es besser sei in der Heimat zu sterben, als in der Verbannung umzukommen. So ist der jetzt ausgebrochene Kampf ein Verzweiflungskampf, der vielleicht grössere Dimensionen annimmt, als man denkt. Wir hörten hier, dass die Bande 2000 Mann stark sei und jetzt zwischen Marasch und Harunije steht. Der Vali von Adana hat alles auf dem Wege nach Aleppo befindliche Militär zusammengerafft und ist ihnen an der Spitze der Truppen entgegengezogen von Baghtsche aus, aber es ist fraglos, dass diese nichts ausrichten werden, falls sie nicht wieder wie zur Niederkämpfung Setuns deutsche Offiziere zu Hülfe rufen. Ich habe getan, was ich konnte, die Botschaft zu bewegen, sich die Sympathie der Armenier nicht ganz zu verscherzen, aber man hört dort nicht und die türkische Regierung ist töricht genug, ihr Land durch ihre Massnahmen in höchst überflüssige, innere Wirren und Bürgerkriege zu stürzen. Herr Dr. Büge meinte, dass nach dem, was die Armenier in all den Jahren vorher erduldet haben, sie sich mehr als loyal benommen hätten. Mit Marasch fehlt uns jede Verbindung, aber es ist anzunehmen, dass die Geschwister dort in ähnlichen Sorgen sind, wie wir.

Wir müssen nun abwarten, was weiter wird, es ist unmöglich, heute zu bestimmen was wir morgen tun sollen.

In Deutschland werden die Türken immer noch ganz falsch beurteilt, man meint dort, irregeführt durch die Berichte in den Tageszeitungen, dass von den Türken noch etwas zu erwarten sei. Sie sind aber in Wirklichkeit eine ganz unfähige, im Eigendünkel befangene Nation, die es doch noch dahin bringen wird, dass das Land zur Wüste und vielleicht einmal einer Europäischen Macht als Ruine ausgeliefert wird.

Ihr dankbar ergebener


[B. von Dobbeler]


[Antwort Zimmermann 8.9.]

Ew.pp. bestätige ich ergebenst dankend den Empfang des gfl. Schreibens vom 2.d.Mts. Der damit übersandte weitere Bericht des Herrn von Dobbeler ist ebenso wie das bisher hierher mitgeteilte Material über die Armenierverfolgung der Kaiserlichen Botschaft in Constantinopel zur Kenntnis gebracht worden.

Ich darf noch bemerken, dass der Kaiserliche Botschafter Ihrem hier mündlich ausgesprochenen Wunsch entsprechend am 1.d.Mts. telegraphisch beauftragt worden ist, dafür einzutreten, dass die Anstalten des Hülfsbundes in Mamouret-ul-Azis, Marasch und Harunije nicht geschlossen und die Waisenkinder nicht entfernt werden. Wie Ihnen bekannt, hat die Kaiserliche Botschaft vorher schon allgemein die Weisung erhalten, sich der Interessen der Anstalten des Hülfsbundes nach Möglichkeit anzunehmen. Alles, was sich in dieser Richtung zur Zeit tun lässt, wird seitens der Botschaft geschehen. In Übereinstimmung mit dem Kaiserlichen Botschafter kann ich daher Ew.pp. nur erneut raten, die geplante Reise nach Constantinopel auf einen günstigeren Zeitpunkt zu verschieben und bin nicht in der Lage, Ihnen, falls Sie die Reise trotzdem jetzt antreten, amtliche Erleichterungen zu gewähren.


[Zimmermann an Botschaft Konstantinopel 8.9. (No. 686)]

Im Anschluss an die Vorgänge abschriftlich nebst Anlage z.gfl. Information und geeignet erscheinenden Verwertung erg. übersandt.

Herrn Schuchardt ist mitgeteilt worden, dass seitens der Kaiserlichen Botschaft alles geschieht, was sich zur Zeit im Interesse der Anstalten des Hülfsbundes tun lässt, und dass ihm nur geraten werden könne, die geplante Reise nach Constantinopel auf einen günstigeren Zeitpunkt zu verschieben. Die Gewährung amtlicher Erleichterungen für die Reise wurde abgelehnt.



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