1916-10-04-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R 20203
Zentraljournal: 1916-A.S.-3555
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 10/04/1916
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Gesandte und Vortragende Rat im Auswärtigen Amt (Botho von Wedel) an den Staatssekretär des Auswärtigen Amts (Jagow)

Entwurf



Entwurf

Berlin, den 4. Oktober 1916

Die Kreuzzeitung vom 6. September brachte einen Artikel des bekannten Professors Hoetzsch, der anlässlich der rumänischen Kriegserklärung scharfe Angriffe gegen die politische Leitung enthielt. Sie gipfelten in dem Satz: „Die deutsche Politik hat unsere gewaltigen Siege im August 1915 nicht genutzt, nicht Rumänien bei einer günstigen Gelegenheit zur Entscheidung gezwungen und daher jetzt diese schwere Niederlage erlitten.“

Da mich Professor Hoetzsch zu besuchen pflegt, wenn bedeutsame Vorgänge zu besprechen sind, es diesmal aber unterlassen hatte, bat ich ihn telephonisch zu mir, machte ihm Vorhaltungen und fragte, was er unter „günstiger Gelegenheit“ verstehe. Er meinte darauf, diese habe sich nach unseren Siegen in Galizien und Polen oder vielleicht noch besser nach der Niederringung Serbiens geboten. Nun wisse er aber von General von Falkenhayn, dass dieser mit der österreichischen und der bulgarischen Heeresleitung den Einmarsch in Rumänien vorbereitet habe. Als alles fix und fertig gewesen sei, sei ihm das Auswärtige Amt aus wirtschaftlichen Gründen in den Arm gefallen. Ich erwiderte, er müsse den General missverstanden haben. Niemals sei der Vorschlag eines Einmarsches in Rumänien gemacht worden, daher das Auswärtige Amt auch nie in der Lage gewesen, der Heeresleitung in den Arm zu fallen. Offenbar aber habe General von Falkenhayn von einer späteren Zeit gesprochen, darauf deute die Erwähnung wirtschaftlicher Gründe.

In denselben Tagen wurde ich auf die gleichen hier in Umlauf befindlichen Vorwürfe gegen die politische Leitung von den verschiedensten Seiten aufmerksam gemacht, so z.B. bei den Besprechungen mit den Gesandten der Bundesstaaten, ferner am 7. September von einem meiner Zuhörer vor Beginn der an diesem Tage stattfindenden Besprechung. Dabei wurde auch die Legende wieder vorgebracht: das Auswärtige Amt sei der Heeresleitung in den Arm gefallen und habe dadurch das Vorgehen gegen Rumänien verhindert.

Ich habe es für meine Pflicht gehalten, dieser schädlichen und ungerechten Beschuldigung entgegenzutreten, da das Vertrauen zur Reichsregierung während des Krieges erhalten werden muß. Eine Kritik an der Entscheidung der Heeresleitung hat mir völlig ferngelegen, auch habe ich keine kritische Bemerkung hinzugefügt, sondern mich darauf beschränkt, festzustellen, daß die politische Leitung darauf hinzuwirken suchte, einen Druck auf Rumänien auszuüben, daß die Ausführung aber aus wirtschaftlichen Gründen unterbleiben mußte.

Der Herr Reichskanzler und Euere Exzellenz haben im Vorjahre teils persönlich teils durch den Gesandten von Treutler wiederholt befürwortet, den Schwerpunkt des Krieges nach dem Osten zu verlegen und in der Richtung Kiew vorzugehen. Ein wichtiges Leitmotiv des Vorschlags war, auf solche Weise direkt oder indirekt einen Druck auf Rumänien auszuüben, der die rumänische Gefahr ein für alle Mal beseitigen sollte. In Verbindung damit ist nach der Niederringung Serbiens auch die Frage eines Ultimatums an Rumänien erörtert worden. Wie der Gesandte von Treutler hierher meldete, hat General von Falkenhayn dazu bemerkt: als Soldat könne er nicht ein Ultimatum an Rumänien befürworten, wenn nicht auch die militärischen Kräfte zur Verfügung stünden, um aus der Ablehnung die Konsequenz ziehen zu können. Diese Bemerkung hatten Euere Exzellenz bei Ihrer Antwort an General von Falkenhayn im Auge, als dieser mit Schreiben vom 15. Dezember bei Euerer Exzellenz anregte, Rumänien durch Druck- und Drohmittel zur Aufgabe seiner Chikanen, zur Anbahnung normaler Handelsbeziehungen und zur Freigabe gewisser Getreidevorräte und Transitgüter zu zwingen. Euere Exzellenz antworteten nämlich dem General am 20. Dezember:

Rumäniens Haltung sei immer noch abwartend und schwankend, der Übertritt in das Lager der Feinde noch keineswegs ausgeschlossen. Durch starke Druck- und Drohmittel unsererseits würde die Gefahr einer aktiven Gegnerschaft Rumäniens erhöht werden. Euere Exzellenz fahren dann fort: „Eine energische und drohende Politik Rumäniens gegenüber zu führen, dürften wir meines Erachtens erst dann in der Lage sein, wenn wir militärisch stark genug sind, um unseren Drohungen auch den vollen Nachdruck zu geben, und wenn Rumänien keine andere Wahl mehr hat, als sich unseren Forderungen unbedingt zu unterwerfen.“

Eine Besprechung ähnlichen Inhalts und mit dem gleichen Ergebnis hat auch zwischen General von Falkenhayn und dem Gesandten Freiherrn von dem Bussche in Berlin stattgefunden.

Am 13. Februar d.J. teilte dann General von Falkenhayn seine Verabredungen mit General Jekoff mit (vom 9. Februar), wonach vereinbart war, gemeinsam mit Waffengewalt Rumänien zu wohlwollender Haltung zu zwingen, falls nicht bis zum 15. März die Frage definitiv geklärt sei, ob Rumänien seine Getreidelieferungen loyal durchführen wolle oder nicht. Da diese Frage bis zum angegebenen Termin in befriedigender Weise gelöst war, ließ General von Falkenhayn den Gedanken fallen.

Das Gesamtbild stellt sich also wie folgt dar:

Von seiten der politischen Leitung ist bis zum Januar d.J. immer wieder dem Vormarsch gegen Osten das Wort geredet und dabei besonders auf die Einwirkung auf Rumänien hingewiesen worden. Auch die Frage eines Ultimatums an Rumänien wurde nach der Niederringung Serbiens erörtert. Der Vormarsch nach Osten und der Druck auf Rumänien sind damals aus militärischen Gründen unterblieben. Im Januar ds. Jahres kamen auch wirtschaftliche Gründe zur Sprache, die infolge unserer wirtschaftlichen Lage bald in den Vordergrund traten. Zwischen politischer und militärischer Leitung bestand dann volles Einvernehmen darüber, daß von der Haltung der rumänischen Regierung in diesen Fragen – es handelte sich besonders um Getreidelieferungen – unsere Entschlüsse gegenüber Rumänien abhängig gemacht werden sollten.


Wedel



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