1915-04-25-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 22404
Zentraljournal: 1915-A.H.-1801
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 04/28/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 39
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt (Zimmermann) an den AA-Vertreter im Großen Hauptquartier (Treutler)

Erlaß



Nr. 39.

Berlin, den 25. April 1915

2 Anlagen.

Major Endres von der deutschen Militärmission, der bis vor kurzem Generalstabschef des Generals von Liman war und sich zur Zeit krankheitshalber in Deutschland aufhält, hat unter dem 25. v.M. an den stellvertretenden Generalstab in Berlin einen Bericht über türkische Verhältnisse erstattet, der auch dem Chef des Generalstabes des Feldheeres vorliegt.

Ich habe den Bericht, der sich sehr pessimistisch über die Türkei ausspricht, vertraulich dem Kaiserlichen Botschafter in Konstantinopel mitgeteilt, der in dem abschriftlich anliegenden Bericht vom 14. d.M. dazu Stellung nimmt. Ich kann mich den Ausführungen des Botschafters und seinem Bedauern über die abfällige und ungerechte Kritik, die Major Endres an unserem türkischen Bundesgenossen übt, nur durchaus anschließen.

Euere Exzellenz bitte ich, den General von Falkenhayn unter Mitteilung eines Abdrucks der Anlage von Vorstehendem zu unterrichten.


Zimmermann
Anlage

Abschrift

A 13504 pr. 19. April 1915 p.m.

Kaiserlich Deutsche Botschaft

Nr. 226


Pera, den 14. April 1915

Euerer Exzellenz beehre ich mich den vertraulich mitgeteilten Bericht des Majors Endres vom 25. v.Mts. anbei zurückzureichen.

Über die Frage des militärischen Vorgehens gegen den Suezkanals, die den eigentlichen Gegenstand des Berichts bilden sollte, habe ich mich in diesem Augenblick nicht zu äußern. Ich möchte aber meinem Bedauern darüber Ausdruck geben, daß Major Endres sich bei dieser Gelegenheit so pessimistisch über die Zukunft der Türkei ausgesprochen hat.

[In der Abschrift gestrichen: Aus dem Bericht spricht dieselbe verärgerte Stimmung, in der sich Marschall Liman von Sanders, der Chef des Major Endres, vor seiner Entsendung befunden hat. Auch ist] zu berücksichtigen ist, daß Herr Endres seine letzten Eindrücke in Syrien empfangen hat, wo in der Tat unter der gewalttätigen Herrschaft Djemal Paschas mancherlei nicht gerade Erfreuliches zu beobachten war. Es ist aber verfehlt, daraus solche Schlüsse zu ziehen, wie Majos Endres es tut, und auch seine früheren Erfahrungen in der Türkei können ihm keine so gründlichen Kenntnisse des Orients vermittelt haben, daß seinem absprechendem Urteil irgendwelches Gewicht beizumessen wäre.

Herr Endres war etwas über zwei Jahre in türkischen Diensten. Wenn er auch türkisch getrieben hat und die Sprache zu verstehen meint, so reichten seine Sprachkenntnisse doch wohl nicht aus, um ihm in so kurzer Zeit „das genaue Erkennen des inneren Wesens“ der Türkei und der Türken zu ermöglichen, das er sich zuschreibt und das sonst nur durch langjährigen Aufenthalt und durch den täglichen Umgang mit hervorragenden Kennern des Landes und mit Personen aus allen Klassen und Berufszweigen erworben wird. Er hat einen großen Teil der Zeit, die er in der Türkei verbracht hat, in einem entlegenen Vorort gewohnt und dort viel mit dem Grafen Ostrorog, dem bekannten früheren Beirat des Justizministers, verkehrt. Die Anschauungen dieses polnisch-russisch-französischen Agitators haben offenbar auf ihn abgefärbt. Der Glaube, daß die Türkei dem Tode geweiht und zu ernsthaften Anstrengungen außerstand sei, hat die Ententemächte zu der Niederlage an den Dardanellen geführt. Wenn auch deutsche See- und Landoffiziere viel dazu beigetragen haben, so wissen wir doch, daß sich die türkischen Offiziere und Mannschaften ausgezeichnet gehalten haben. Die Verteidigung der Dardanellen bildet also einen Beleg dafür, daß die Türkei mit deutschem Rat und deutschem Beistand zu großen Leistungen fähig ist.

Die innere Erneuerung des Reiches ist keine leichte Aufgabe. Auf vielen Gebieten muß von Grund auf neu gebaut werden. Gerade die bedeutendsten unter den Offizieren unserer Missionen erkennen, wie wichtig und aussichtsreich besonders die Schulreform mit deutscher Hilfe ist. Die Persönlichkeit der leitenden türkischen Staatsmänner bürgt dafür, daß nach siegreicher Beendigung des Krieges diese Arbeiten mit Ernst in Angriff genommen werden. Die Voraussetzung unserer tätigen Mitarbeit ist aber, daß das Vertrauen der Türken in uns nicht erschüttert wird, und diese Gefahr besteht, wenn, wie es leider schon geschehen ist, absprechende Äußerungen deutscher Offiziere hier bekannt werden.

Seit dem Herbst ist die Türkei im Kriege. Daß sie jetzt noch zu solchen Anstrengungen fähig war, sollte schon Beweis genug dafür sein, daß man es nicht mit einem Sterbenden zu tun hat. Der Glaube an die Lebensfähigkeit und die Entwickelungsfähigkeit des türkischen Reiches, der seit einem Jahrzehnt die Grundlage unserer Orientpolitik gewesen ist, kann jedenfalls durch den Bericht des Major Endres nicht erschüttert werden. Es wäre sehr bedauerlich, wenn das falsche Bild, das der sonst gewiß recht tüchtige junge Offizier von dem Zustand der Türkei zeichnet, die Auffassung unseres Generalstabs beeinflussen sollte. [Für die Abschrift gestrichen: Ich darf anheimstellen nachdrücklich dem entgegenzuwirken] Daß, wie Major Endres gegen Schluß seines Berichts sagt, die Türkei nicht aus Freundschaft für uns in den Krieg gegangen ist, sondern weil ihr Interesse sie an unsere Seite rief, trifft durchaus zu. Es wäre seltsam, wenn es anders wäre. Die Interessengemeinschaft ist aber nicht nur vorübergehend, sondern dauernd. Die Aufgabe aller derer, die in diplomatischer oder militärischer Eigenschaft während des Krieges mit der Türkei zu tun haben, müßte es sein, diese Überzeugung bei unserem Verbündeten zu festigen.


[Wangenheim]

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg.



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