1916-10-25-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14094
Zentraljournal: 1916-A-28987
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 10/26/1916 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: B 25055 I.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Chef des Admiralstabs der Marine (Holtzendorff) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Schreiben



B 28055 I.
Berlin, den 25. Oktober 1916.

Ganz geheim!

Euerer Exzellenz beehre ich mich anliegende Abschrift einer mir zugegangenen Mitteilung aus zuverlässiger Quelle ergebenst zu übersenden, da ich glaube, daß sie für Euere Exzellenz von Interesse ist.


[von Holtzendorff]

Anlage


Abschrift

4.10. aus Amsterdam:

“Einer meiner Bekannten bekam vor einigen Tagen Besuch von einem gewissen Dr. Johannes Lepsius, Vorsitzenden der deutschen Orientmission, Potsdam, Grosse Weinmeisterstrasse 45. Dieser Herr versuchte meinen Bekannten für nachfolgende Anschauungen zu gewinnen und bat ihn, seinen Einfluß anwenden zu wollen, um in seinen Kreisen die Leute in seinem Sinne aufzuklären. Ich würde diese ganze Angelegenheit nicht melden, wenn nicht Dr. Lepsius behauptet, dass seine Propaganda-Arbeit vom Auswärtigen Amt sowie von dem Herrn Reichskanzler selbst gebilligt wird und dass der Reichskanzler ihn benachrichtigt habe, ihn bei seinen Bestrebungen unterstützen zu wollen. Das Schlimmste ist aber, dass Dr. Lepsius sicherlich ohne Gutfinden der obengenannten Stellen, durch seine Handlungsweise ganz positiv in die englische Karte spielt. Er verschickt seine sehr türken-feindliche Broschüre in vielen Exemplaren nach Amerika an Dr. John Mott, den bekannten Missionsleiter in den U.S., und die Engländer haben gewiss kein Interesse daran, diese Schriften nicht durchzulassen.

Dr. Lepsius teilte mir mit, dass er (Dr. L.) in Verbindung steht mit englischen Staatsmännern, um zu einem Friedensprojekt zu gelangen. Er behauptete, diese Verbindungen direkt im Auftrage des Reichskanzlers angeknüpft zu haben. Er führte aus, die Partei des Reichskanzlers sei in Deutschland jetzt so stark geworden, weil sie zu gleicher Zeit die Partei Hindenburgs sei, die beide die östliche Front die Hauptsache fänden und deshalb solle erst dort mit den Russen abgerechnet werden, wonach man mit England einen Vergleich schliessen könne, wobei die englischen Ansprüche mit türkischem Gebiet in Kleinasien befriedigt werden würden. Die Partei des Reichskanzlers sei jetzt so stark geworden, dass sie ihren Willen durchsetzen könne in obigem Sinne und die Grossbanken und Finanziers Deutschlands unterstützten lebhaft diese Partei, die einen möglichst baldigen Frieden mit England mittels Vergleich auf Kosten der Türkei befürwortete.

Dr. Lepsius sagt, deshalb ein grosser Feind der Türken zu sein, weil er die Armeniermorde gesehen haben will. Deshalb wendet er sich in Holland auch an die religiösen Kreise und tut er das Gleiche in England und Amerika. Er hat eine Broschüre herausgegeben über die “Christenmorde in Armenien”, wie er sagt! Selbstverständlich ist diese ganze Agitation Wasser auf die Mühle Englands, dessen Diplomaten nicht zaudern werden, in Konstantinopel auf Umwegen wissen zu lassen, dass von höchster deutscher Seite aus vorgeschlagen wird, sich auf Kosten der Türkei mit England zu verständigen, während andererseits aus der Broschüre von Dr. Lepsius reiches Agitationsmaterial für eine allgemeine christliche Entrüstung gegen die Türken zu schöpfen ist. Dr. Lepsius sagte, er habe einen Armenier aus der Schweiz nach Lord Bryce geschickt, um die Gefühle bedeutender englischer Kreise über obiges Projekt zu erfahren und die Antwort bekommen, auch in England gebe es eine starke Partei, die auf dieser Basis einem Vergleiche mit Deutschland nicht abgeneigt sei und sogar Lord Grey solle für diesen Plan gewonnen werden können. Er, Dr. Lepsius, habe dem Auswärtigen Amt diesbezügliche Mitteilungen getan und die Antwort erhalten, dasselbe sehe gerne, dass er seine “Friedensbestrebungen” von Holland aus in der bisherigen Richtung weiterführe. Auch der Reichskanzler habe ihm seine Sympathie mit seinen Bestrebungen mitgeteilt.

Ich kann natürlich die Mitteilung von Dr. Lepsius, daß er im Auftrage des Auswärtigen Amtes handelt, und sogar die Sanktion dazu vom Reichskanzler hat, nicht ernst nehmen. Ich melde diese Angelegenheit nur deshalb, weil der Mann bestimmt die deutschen Interessen mit seiner Agitation über die “entsetzlichen Christenmorde der Türken in Armenien”, wie er sagt, schädigt und unseren Feinden damit nützt. Ausserdem glauben hier in deutsch-freundlichen, religiösen Kreisen einige Leute seinen unvorsichtigen Erzählungen. Ich hielt es deshalb für meine Pflicht, Ihre Aufmerksamkeit auf diese sonderbaren 'Friedensbestrebungen' zu richten.”


[Antwort Jagow 6. 11]

Geheim.

Dr. Lepsius macht der Kaiserlichen Regierung mit seiner armenischen Propaganda fortgesetzt schwere Ungelegenheiten. Er weiß, daß seine Agitation gegen die Türkei vom Reichskanzler und vom Auswärtigen Amt aufs Schärfste gemißbilligt wird, und befindet sich dieserhalb seit geraumer Zeit in offener Opposition zur Regierung. Um ihm seine Propagandareisen zu erschweren, ist der Regierungspräsident in Potsdam unterm 8. August d.J. ersucht worden, Verfügung zu treffen, daß Anträge des Herrn Lepsius auf Ausstellung von Sichtvermerken für die Schweiz abgelehnt werden. Unter dem 20. September wurde dies Ersuchen auf Pässe und Sichtvermerke für das ganze Ausland ausgedehnt. Die Reise nach Holland ist Herrn Lepsius nur dadurch möglich geworden, daß er sich schon vorher einen bis Ende Januar 1917 gültigen Paß nach dem Auslande verschafft hatte.1

Daß Herrn Lepsius weder vom Reichskanzler noch vom Auswärtigen Amt Auftrag zu seiner Agitation erteilt sein kann, liegt auf der Hand. Noch grotesker erscheint die Idee, Lepsius handele im Auftrage oder mit Zustimmung der politischen Stellen, wenn er auf Kosten der Türkei eine Verständigung mit England anzubahnen sucht.

Ich bin dankbar, daß der Admiralstab der Marine, der die Sinnlosigkeit der angeblichen Behauptungen des Herrn Lepsius sicher ohne Weiteres erkannte, mir durch Mitteilung der Agentenmeldung Gelegenheit gegeben hat, der Sache nachzugehen.


[Jagow]



1Siehe 1916-09-16-DE-001.



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