1914-06-27-DK-001
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Quelle: DK/RA-UM/Gruppeordnede sager 1909-1945. 5. L. 15, ”Grækenland-Tyrkiet: Politiske Forhold”. Pakke 1, Juni 1914-31/12 1945
Erste Internetveröffentlichung: 2010 August
Edition: Dänische diplomatische Quellen
Telegramm-Abgang: 06/27/1914
Telegramm-Ankunft: 07/01/1914
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 41
Übersetzung: Michael Willadsen
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/01/2012


Der Gesandte in Kopenhagen (Carl Ellis Wandel) an den Außenminister (Eric Scavenius)

Bericht



Nr. 41.

Konstantinopel, 27. Juni 1914.

[In Bezug auf] Bericht Nr. 31 vom 23. dieses Monats

Die in meiner letzten Meldung über das Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei angekündigte Fortsetzung des Rapports des dänischen Konsuls in Smyrna ist nun angekommen. Er berichtet u.a.:

Banden, die, nachdem sie alle Dörfer auf ihrem Weg geplündert hatten, südwärts nach Menemen gezogen waren, erreichten am 12. in der Nacht Phocea, welches sie von drei Seiten angriffen. Ein Augenzeuge erzählt u.a., dass eine Viertelstunde, nachdem der Angriff begonnen hatte, alle Boote und Schiffe voll von Flüchtlingen waren. Diejenigen, die nicht in Booten entkommen konnten, flüchteten auf die kleine Halbinsel, auf der der Leuchtturm steht. An der Küste sah der genannte Zeuge der Geschehnisse elf Leichen. Wie viele getötet wurden, weiß er nicht, aber er sah z.B. zwei weitere Leichen in einem Hausflur, zu dem er die Tür öffnete. Und alle Geschäfte waren geplündert, alle Güter, die nicht mitgenommen werden konnten, waren zerstört.

Die Nachrichten aus Phocea wurden in Smyrna zurückgehalten, und erst ein paar Tage später brachte ein französischer Dampfer Informationen von den Geschehnissen.

Dieser Dampfer hatte 700 – vor Hunger halbtote – Flüchtlinge nach Mytilene mitgenommen. Mytilenes Behörden schickten Schiffe und brachten die zurückgebliebenen 5-6000 Einwohner aus Phocea nach Mytilene. Jetzt gibt es nicht mehr die geringste Spur von der griechischen Bevölkerung in dieser Stadt.

Nördlich von Smyrna geschah ähnliches. Bei Kato-Panaya (Assan Tchiftlik) gingen 600 Muslime an Land, vertrieben die Einwohner und nahmen deren Häuser und deren Einrichtungen in Besitz. Andere kamen bei Chesmé an Land und gingen nach Alatsata, dessen Einwohner von den Behörden gezwungen worden waren, ihre Häuser und ihre persönliche Habe den Neuankömmlingen zu übergeben. Es gab ca. 15000 Einwohner in Alatsata, von diesen waren 9/10 Griechen – jetzt gibt es dort keinen einzigen Griechen mehr.

Das gleiche geschah in Chesmé. Die Bevölkerung wollte lieber fortziehen, solange sie nur bedroht wurde, als fortgejagt zu werden – und von 13000 Griechen blieben nur 30 zurück, der Rest zog nach Chios und Samos.

Auch in Reis-Déré, Ovalik, Kilisman, Saip, Vourla, Narli-Déré und Abdullah-Chiftlik begann es mit Drohungen, dann folgten Überfälle und Morde. 6500 flüchteten nach Long Island [sic], wo sie keine Nahrungsmittel hatten, bis auf Initiative des russischen Generalkonsuls Kalmykow Lebensmittel dorthin geschickt wurden.

Nach Schätzungen sind insgesamt 40-80000 Personen vertrieben worden. Ungeachtet der Besitztümer der Vertriebenen (wohl ca. 2 Mill. £) ist der Verlust der Provinzen unersetzlich. Arbeitsame Menschen sind fortgejagt worden, obwohl die Provinz schon vorher dünn bevölkert gewesen war. Man kann vorhersagen, dass die Provinz viele Jahre lang die Ergebnisse der verfehlten Politik spüren wird.

Dann befasst sich der Konsul mit der Reise Talaat Beys, die er als „Farce“ bezeichnet. Während der Innenminister von Stadt zu Stadt zog, Reden hielt und völlige Sicherheit versprach, konnte niemand nachts vor sein eigenes Haus treten oder selbst tagsüber auf sein Feld gehen, ohne beschossen oder misshandelt zu werden. In Tireh, Eudemish und Baindir wurden die Griechen boykottiert und von Freischärlern angegriffen, als sie versuchten, in ihre Weingärten und auf ihre Tabaksplantagen zurückzukehren. In Menemen, Magnesia, Axar, Soma und Pergamos kann selbst jetzt ein Grieche nicht einmal die Stadt verlassen, und in Kara Bournou haben türkische Beamte das Vieh der Bewohner am helllichten Tag unter den Augen der Europäer gestohlen.

Auch die Reise der Übersetzer [Dragomane] bezeichnet der Konsul als eine Farce. Von ihren Automobilen und Luxus-Sonderzügen würden sie kaum viel von dem zu Gesicht bekommen, was sie sehen sollten. Die Gräuel, meint er, würden in gemilderter Form oder weniger offenkundig durchgeführt, aber nicht gestoppt. Zum Schluss zitiert er eine Nachricht von dem amerikanischen Generalkonsul, Horton, an Singer Co., nach welcher der amerikanische Botschafter vom Großwesir Garantien für Leib und Leben der Griechen nur für die ersten zwei Monate bekommen hat.

Während somit der dänische Konsul in Smyrna eine Beschreibung der Ereignisse gibt, die sich im wesentlichen mit der griechischen deckt, haben die hiesigen türkischen Zeitungen in den letzten Tagen angefangen, von griechischen Räuberbanden zu berichten, die von den Inseln aus entlang der Küsten der kleinasiatischen Provinz kreuzen. So schreibt heute etwa die Tageszeitung „Stamboul“, sie habe ein Telegramm erhalten, wonach sich gestern ein Boot mit drei griechischen Räubern Tschesmé (Chesmé) genähert und die Einwohner, die sich zu dem Zeitpunkt an der Küste befanden, beschossen hat. Gleichzeitig wird angedeutet, dass die Drogmanen (die in Chesmé gewesen waren und nun u.a. daran denken, nach Phocea zu gehen) anerkennen, dass die Regierung alles getan hat, die Emigration zu stoppen und das Los der Griechen zu verbessern.

Wahrscheinlich verlässt Talaat Bey heute Smyrna, um über Panderma in die Hauptstadt zurück zu fahren.


C. E. Wandel



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