1915-08-21-DE-005
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Quelle: DE/PA-AA/R 20004
Zentraljournal: 1915-A-24788
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 08/23/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 597
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Gesandte in Bern (Romberg) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht


Bern, den 21. August 1915

Legationsrat von Brüning meldet mir aus Luzern unter dem 17. d.M. das Folgende:

„Gersten Abend lernte ich hier Michel Tueni Bey, einen älteren Bruder des türkischen Diplomaten Tuenie Bey kennen, der, gerade aus Rom angekommen, unter dem frischen Eindruck des dort Erlebten, recht interessant erzählte.

In den Kreisen des hohen römischen Adels, in denen er seit vielen Jahren intim verkehre, habe er die Stimmung ganz auffallend, zum Teil entusiastisch deutschfreundlich gefunden, auch die zahlreichen jenen Kreisen angehörigen Offiziere wollten von einem Krieg gegen Deutschland nichts wissen. Im übrigen sei der Krieg in allen Kreisen der Bevölkerung jetzt gleich volkstümlich und würde es auch wohl bleiben, bis Rückschläge kämen. Zahlreiche Italiener hätten solche gleich zu Anfang mit Sicherheit erwartet. Diesen erscheine das Festhalten der Grenze bereits als ein Erfolg und sie fürchten die Teilnahme Deutschlands am Kriege, von der sie eine Invasion und sichere Niederlage erwarten. Das erklärt wohl auch zum großen Teil die deutschfreundliche Stimmung.

Tueni Bey hält, auf Grund von Mitteilungen höherer Offiziere, eine Teilnahme Italiens an den Dardanellenkämpfen für ausgeschlossen, trotz des starken Druckes von Seiten Englands, welches die Gewährung weiterer Baarmittel von der Entsendung eines italienischen Hilfskorps nach den Dardanellen abhängig mache.

Im Hinblick auf die missliche Finanzlage Italiens sei die Regierung geneigt, dem englischen Drucke nachzugeben, Cadorna weigere sich aber entschieden, mit der Begründung, dass er nicht einen Mann entbehren könne. Tatsächlich würden denn auch unausgesetzt grosse Verstärkungen aus dem Süden herangeschoben. Tueni Bey schätzt die Truppen, die er vorgestern, allein in Mailand, auf der Durchfahrt sah, auf mindestens 20000 Mann.

Im Laufe des Gesprächs sagte mir Tueni Bey ganz offen, dass er sich gegen die Teilnahme der Türkei am Kriege ausgesprochen und dadurch auch die bittere Feindschaft Djebal Pascha’s zugezogen habe. Dieser hätte ihn, als er unlängst in Beirut war, ohne die Intervention des dortigen Generalgouverneurs, zweifellos festnehmen lassen. Bestimmend für seine - Tueni’s - Haltung sei die Sorge um die Türkei für den Fall, dass die Entente-Mächte siegen sollten. Auf meinen Einwand, dass in dem entgegengesetzten, doch sehr viel wahrscheinlicheren Falle, der Gewinn für die Türkei zweifellos sein würde, wollte er auch bei einem Siege der Zentralmächte nicht an eine Wiedergeburt der Türkei glauben. Die Ttürken seien Barbaren und daher, der fortgeschrittenen Civilisation gegenüber, nicht mehr befähigt zur Herrschaft über ein grosses Reich. Das wisse man in Deutschland auch sehr wohl und würde deshalb, selbst wenn es gelingen sollte, die Engländer aus Egypten zu vertreiben, die wirtschaftliche Erschliessung dieses Landes, sowie eventuell der übrigen nordafrikanischen Küstenländer, wenn möglich lieber direkt als auf dem Umwege über Constantinopel in Angriff nehmen.

Ein hiesiger Schweizer, Herr von Schumacher (Ingenieur), der Egypten im Juni verlassen hat und nächste Woche dorthin zurückkehrt, sagte mir, seiner Ansicht nach sei an eine Auflehnung der Egypter gegen die englische Herrschaft nicht zu denken. Die Bevölkerung sei vollkommen ruhig und der Verkehr im Suez-Kanal normal.“


Romberg



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