haben durch Herrn Dr. Lepsius dieser Tage einen französischen Bericht über die Rede des russischen Parlamentariers Miljukow in Sachen der Armenier vorgelegt erhalten. Wie mir Herr Dr. Lepsius mitteilte, fehlte in der französischen Wiedergabe der Miljukowschen Rede die Angabe des Datums und der näheren Umstände. Ich habe das Stück in dem Dumabericht der Zeitung "Rjetsch", Nr. 70 vom 25. März d.Js., aufsuchen und übersetzen lassen.
Dabei möchte ich mir gestatten, die Aufmerksamkeit Euerer Exzellenz auf den ungemein wichtigen Schlusspassus bei Miljukow hinzulenken, wo deutlich gesagt ist, dass die russische Regierung die Besiedelung des eroberten Gebiets in Türkisch-Armenien mit Kosaken, also mit einer militärisch organisierten russischen Grenzerbevölkerung, beabsichtigt. Die gleichfalls von Miljukow erwähnten Bemühungen russischerseits, die Kurden ansässig zu machen, dürften so zu erklären sein, dass man daran denkt, das türkische System, nach dem die Kurdenstämme zu einer irregulären berittenen Miliz organisiert waren, zu übernehmen und in russischem Sinne auszubauen. Schon vor dem Kriege befolgte die russische Regierung die Praxis, die Kurden mit Waffen und Geld zu versehen und sie sowohl gegen die Türkei als auch gegen die Armenier aufzuhetzen, während umgekehrt den Armeniern Schutz vor den Kurden in Aussicht gestellt wurde, sobald sie für ihre Rettung auf Russland bauen würden.
Wieweit die Pläne der russischen Regierung bereits in der Ausführung begriffen sind, geht aus der Mitteilung Miljukows hervor, der von den Einwohnern (d.h. also auch von den geflüchteten Armeniern) hinterlassene Besitz - es ist damit natürlich der unbewegliche Besitz, der Grund und Boden gemeint - sei als russisches Staatseigentum erklärt worden.
Dr. Paul Rohrbach.
Anlage
Wie wir sehen, haben sich diese beiden taktischen Pläne - einerseits der türkische, der die Aussiedelung der Armenier aus ihrer angestammten Heimat bezweckte und andererseits der deutsche, der auf ihre Übersiedelung in das zukünftige Gebiet deutscher Kolonisation hinarbeitete - mit so traurigem Erfolg im vergangenen Jahr vereinigt. Jetzt ist dieser Politik durch die Einnahme Erzerums und anderer armenischer Städte - wie sehr zu hoffen ist - ein Ende bereitet. Die russischen Truppen stehen jetzt bereits in jenem Teil des Gebietes, auf welchem die armenische Bevölkerung besonders dicht war. Was sollen wir nun tun?
Es scheint, dass hier kein Zweifel walten kann - die christliche Bevölkerung, welche für ihre Treue zu Russland gelitten hat, muss wiederhergestellt werden, und Russland, welches diesem Volke bereits während des türkischen Regimes die Autonomie versprochen hat, muss dieses Versprechen jetzt erfüllen, jetzt, wo das Land der armenischen Vilajets sich zum grössten Teil in seinen Händen befindet. Das Geschick Armeniens und der Armenier ist uns nicht weniger teuer und nah, als das Geschick anderer Völkerschaften, die uns freundschaftlich gesinnt und gemeinsam mit uns kämpfend im Kriege gelitten haben. ("Bravo" links)
Leider sind Anzeichen vorhanden, die dafür sprechen, dass sich auch hier wiederum Dinge wiederholen können, die die traurige Erinnerung an die galizische Epopöe wachrufen. Diese Anzeichen treten bereits in die Erscheinung: es ist das viel zu leichtfertige Verhalten zu dem von den Einwohnern hinterlassenem Besitz, welcher aus irgend welchen Gründen als Staatseigentum erklärt wurde (Stimme von links: "Januschkewitsch") ... Ja, das ist Januschkewitsch, das ist die Politik Januschkewitschs - das ungleichmässige Verhalten zu den Völkerschaften. Wir sind geneigt, die Kurden, diese unverbesserlichen Nomaden, zu unterstützen, und bemühen uns sogar, Ackerbauer aus ihnen zu machen - auf Kosten ihrer alten Opfer, - der Armenier. Vor noch nicht langer Zeit nahm der Kurde dem Armenier Land fort, entführte ihm Weib und Tochter, beraubte und erschlug ihn, - aber jetzt wird diesem Feinde von gestern aufgewartet, wie einem Freunde, und es wird ihm sichtlich der Vorzug vor dem alten und treuen Freunde, dem Armenier, gegeben. Erinnern wir uns, meine Herren, der Worte Doumergues an die Adresse der Armenier: Mögen die Opfer der Toten den Lebenden angerechnet werden. Wir wollen nicht die Früchte der Plünderung und des Landraubs sanktionieren was nur auf dem Boden der alten Türkei möglich war. Aber noch weniger dürfen wir an eine Umwandlung des angestammten armenischen Landes in irgend ein Territorium eines Neu-Euphratischen Kosakentums denken. Setzen wir nicht die Arbeit der Türken fort! Entsagen wir wenigstens hier - im feierlichen Moment der Wiederherstellung des verletzten Rechtes und der Gerechtigkeit - den engen Plänen des nationalistischen Egoismus.